Mit viel Feuerwerk und sonstiger Pyrotechnik begann das Spektakel, die vier Finalistinnen traten auf, Heidi Klum ließ sich vom Himmel herab, die Qual nahm ihren Lauf. Ich stellte mich auf Stunden der Lebenszeitvergeudung ein, freute mich jedoch daran, dass all die jungen Menschen um mich herum so viel Spaß hatten.

Und schon kam die erste Werbepause. In der Halle keinerlei Monitore, die den 10.000 Fans die teuer gebuchte Werbung gezeigt hätten. Rein von Berufs wegen hätte mich genau das interessiert. Stattdessen wurden 5- bis 12-Jährige auf die Bühne gerufen, geschminkte Kinder auf Stöckelschuhen, die irgendwie von Geburt an GNTM gesehen haben mussten, jedes Detail jeder Staffel kannten und dann vor tosendem Applaus auf dem Catwalk stolzierten. Und dann erzählten diese wahllos aus dem Publikum generierten Kinder tatsächlich noch, dass sie eines Tages bei Topmodel mitmachen und auch gewinnen wollten. Ein Moment der Unwürde, des Fremdschämens, des Ekels.

Kurz nach der Werbepause wurde im Hintergrund der nächste Show-Act aufgebaut. Zwei Astronauten stellten sich bereit, meine Tochter mutmaßte, dass Olly Murs nun auftreten würde. Doch Heidi Klum las vom Teleprompter zu ihrer eigenen Überraschung ab, dass nun wieder Werbung komme. Während Klum in der ersten Unterbrechung winkend und das Publikum luftküssend die Halle verließ, eilte sie diesmal in Begleitung von vier Sicherheitskräften im Stechschritt aus der Arena. Weitere Sicherheitsmenschen bohrten sich nervös eine Gasse in Richtung Jury-Couch, das Publikum merkte nichts, ging werbepausenmäßig auf die Toilette oder zum Getränke holen.

Ewig ging die Pause. Diesmal wurden keine kleinen Kinder auf den Catwalk gelockt – ach ja, es gab für die Kids übrigens Lutscher zur Belohnung und einen Mini-Ventilator. Immer mehr Menschen erstürmten von sich aus die Laufstege, machten wie wild Selfies. Ex-Juror Rolf Scheider tauchte vor Block 212 unten auf, ließ sich Mädel für Mädel per Selbstbildnis ablichten, während die Pause dauerte und dauerte. Die billigen Ränge ganz oben waren längst wieder komplett gefüllt, als es hieß, es gebe eine Unterbrechung wegen technischer Probleme. Fast heimlich wurde der gesamte VIP-Bereich um die Bühnen herum evakuiert, während die euphorisierte Jugend noch keine Ahnung von der Bombendrohung haben konnte.

Erst eine knappe halbe Stunde nach Heidi Klums Evakuierung wurde per Durchsage zum Verlassen der Halle aufgefordert. Die Laune war gut, man tänzelte links und rechts, man ließ Jacken und Utensilien am Sitz, doch unser Fluchtweg führte durch ein viel zu kleines Loch, in das viel zu viele Menschen von oben, unten, rechts und links in die Sicherheit gespült werden wollten. Die Flucht war kein wirkliches Vorankommen, sie war ein ewiges Stehen.

Die Stimmung wurde nervös, von wegen "technische Probleme", hieß es, die jungen Menschen flüsterten was von Bombendrohung, man begann zu drücken, zu schieben, ein Besucher brach sich das Bein, Bilder von Duisburgs Loveparade schoben sich für Sekunden ins Hirn, dann waren wir endlich durch das viel zu kleine Nadelöhr gekommen, von da an waren die Wege frei, die Ordnungskräfte hatten alle Türen geöffnet, auch den durch den VIP-Bereich, der längst geräumt war.

Draußen dann Massen von Menschen, die ziellos und hilflos herumstanden. Keine Durchsage, keine Polizei, kein Nichts. Noch dachten die meisten, es gehe gleich wieder weiter. Plötzlich kamen Durchsagen, man solle doch bitte weggehen und nicht stehenbleiben, zumal die riesige Halle immer noch Menschenmengen ausgoss und der Platz immer enger wurde. Wir gingen zu einem Shuttle, der uns mit anderen Gästen zusammen ganz langsam durch die vielen Menschen weg brachte. Die Parkhäuser sollten noch geschlossen bleiben, hieß es.

Social Media funktionierte den gesamten Abend über so gut wie gar nicht. Durch die 10.000 kontinuierlich tippenden flinken Fingerchen waren wohl sämtliche Sendemasten überlastet, Nachrichten oder Fotos wechselten zuweilen erst nach Stunden die Smartphonebesitzer. Auch die Reihenfolge der gesendeten und empfangenen Nachrichten wurden durcheinander gewirbelt. So entstand noch mehr Konfusion. Geht es nun doch weiter? Sind schon wieder welche in der Halle? Doch keine Bombendrohung? Warum höre ich nun gar nichts mehr?

Eigentlich war es klar: Im Einladungsschreiben zu Germanýs next Topmodel von Sponsor Opel war wörtlich ein "ereignisreicher Abend" angekündigt worden. Auf dem Ticket steht: "Änderungen vorbehalten".


Autor: Jochen Kalka

ist jok. Und schon so lange Chefredakteur, dass er über fast jede Persönlichkeit der Branche eine Geschichte erzählen könnte. So drängt es ihn, stets selbst zu schreiben. Auf allen Kanälen.