Marlis Prinzing:
Medienethik: "Täterfilme gehören nicht in die Öffentlichkeit"
Täterfilme wie jener vom Live-Mord in Moneta gehören nicht in die Öffentlichkeit, auch keine Ausschnitte daraus. Aus Prinzip. Und weil Kapitalverbrecher kein publizistisches Forum für die Propaganda ihrer Taten erhalten dürfen. Ein Gastkommentar von Journalistik-Professorin Marlis Prinzing.
Das Video des Täters, der am Mittwoch in Moneta im US-Bundesstaat Virginia eine Lokalreporterin und ihren Kameramann erschoss, gehört nicht in die Öffentlichkeit, auch keine Ausschnitte daraus. Aus Prinzip. Und weil Kapitalverbrecher kein publizistisches Forum für die Propaganda ihrer Taten erhalten dürfen. Ein Gastkommentar von Journalistik-Professorin Marlis Prinzing*.
Wegschauen!
Von Marlis Prinzing
Den Filter von einst gibt es nicht mehr. Die sozialen Medien ermöglichen auch Tätern, Informationen, Bilder oder Videos selbst ins Netz stellen; nichts davon bleibt mehr im Medienfilter hängen, dem einzelnen Medienkonsumenten bleibt überlassen, ob er sich auf solches Material einlässt. Das gilt für politische getriebene Tätergruppen, wie etwa die Terrormiliz Islamischer Staat ebenso wie für Einzeltäter, wie für den Mörder von Moneta: Er filmte selber, wie er Kollegen seiner ehemaligen Redaktion hinrichtete, und lud das Video auf seinen Twitter- und seinen Facebook-Account. Die Accounts sind zwar abgeschaltet, aber der Film bleibt auffindbar, Screenshots der Schussszene aus dem Film werden verbreitet mit Agenturkennzeichen dpa / AP; die Online-Plattform des Schweizer Boulevardblatts "Blick"bringt gleich drei Bildausschnitte, einer illustriert, wie der Täter abdrückt.
Aber auch wenn in der digitalen Gesellschaft jeder von uns selber zumindest eine Teilöffentlichkeit bedienen kann und keiner mehr ausschließlich auf die Medienöffentlichkeit angewiesen ist, bleiben publizistische Medien in der Pflicht. Auch wenn heute ein Bekennervideo ins Netz gestellt werden kann, obwohl eine Redaktion dieses nicht veröffentlicht hätte, ist das nicht dasselbe. Im Gegenteil. Gerade heute sollten Journalisten aus ihrer Professionalität heraus unterlassen, solcherlei Material zu verbreiten mit der Rechtfertigung, es sei sowieso irgendwie schon öffentlich und verfügbar, und andere verwendeten es auch. Professionelle Journalisten tragen weiterhin die Verantwortung dafür, welchen Inhalten sie auf ihren Plattformen Öffentlichkeit und damit maximale Aufmerksamkeit geben, so verschaffen sie sich und ihren Plattformen Glaubwürdigkeit. Das ist Kern ihres Berufes; dafür hat sich die Branche im Pressekodex einen Katalog mit Empfehlungen gegeben zum Beispiel für die Berichterstattung über Straftaten, Täter und Opfer. Die Arbeit von Journalisten, aber auch ihre Person steht in der Öffentlichkeit, aber auch dies nicht grenzenlos: Selbst wenn das Opfer eine öffentlich auftretende Moderatorin ist, ist dies kein Grund, öffentlich zu Schau zu stellen, wie sie niedergeschossen wird.
Bei Täterfilmen wie jenem von Moneta sollten wir sogar bewusst wegschauen. Aus drei Gründen.
Täter-Rechtfertigung
Erstens. Keiner muss sich Bilder ansehen, wo Menschen vor laufender Kamera ermordet werden. Schlimm genug, dass das Publikum des Morgenmagazins des Senders WDBJ ein paar Sekunden lang zwangsläufig zusah, weil die Morde ja während einer Live-Schalte geschahen; schon diese Ausschnitte muss man nicht wiederholen. Und nur zeitweise notwendig als eine Art Fahndungsfoto war das Bild des geflohenen Täters, das auf der herabfallenden Kamera des erschossenen Kameramanns eingefangen war. Das Tat-Selfie des Mörders zu veröffentlichen und sei es nur als Bildschirmfoto, lässt sich hingegen überhaupt nicht begründen.
Der Fakt, von einem Mord Kenntnis nehmen zu müssen, ist verstörend genug und braucht kein Echtzeit-Bild als Akzentuierung. Ein Publikum, das sich auf journalistisch professionellen Plattformen informiert, sollte darauf vertrauen dürfen, dass ihm solcherlei dort nicht zugemutet wird. Das ist eine Frage der Qualität und damit der ethischen Abwägung. Pflichtethisch betrachtet, also davon ausgehend, ob aus einem Vorgehen ein "allgemeines Gesetz" oder eine generell anzuwendende Regel werden müsste, ist der Befund eindeutig: kein Mensch wird zur Regel erheben, dass publizistische Medien künftig Täter-Rechtfertigungen, möglichst noch im Originalton, verbreiten sollten (– vom noch zusätzlichen Schmerz, den dies für Angehörige bedeutet, ganz zu schweigen).
Folgenethisch ist das Ergebnis gleich: Der Anblick der Mordszene ist eine Zumutung, aber eine ohne sinnstiftende Folgen, wie dies etwa bei den ebenfalls schwer zumutbaren Bilder aus dem Gefängnis in Abu Ghraib war. Sie zeigten, wie amerikanische Soldaten irakische Insassen folterten, und man konnte argumentieren, dass diese Bilder einen zuvor nicht bekannten Missstand öffentlich machten und die Veröffentlichung bewirkte, dass sich die Verhältnisse änderten. Wer das Tat-Selfie des Mörders von Moneta oder einen Ausschnitt daraus zeigt, der kann diese Zumutung nicht mit erwartbar positiven Folgen für die Allgemeinheit rechtfertigen, sondern richtet allenfalls Schaden an und belegt, wie rasch und unbedacht manche Medien in die Hände von Tätern arbeiten.
Propaganda der Tat: Medien als Instrument
Das bringt uns auf den zweiten Punkt, das Phänomen der "Propaganda der Tat". Der zunächst teils positive besetzte Begriff entstand im späten 19. Jahrhundert und wurde zu einer Beschreibung für Terror- und Gewaltakte, die so konzipiert waren, dass die Medien sie breit aufgriffen: Eine grauenhafte und schockierende Tat sollte Aufmerksamkeit für das erzeugen, was die für diese Tat Verantwortlichen umtrieb. Ein Beispiel: Vor einem Jahr setzte die Terrormiliz Islamischer Staat in Umlauf, den vermissten Journalisten James Foley enthauptet zu haben, und stellte dazu ein Video mit dem Titel "Botschaft an Amerika" ins Netz; Foley, so die Dschihadisten, sei hingerichtet worden, weil US-Präsident Barack Obama den Befehl zu Luftangriffen gegen Stellungen des IS gegeben habe. Es war die Absicht der Terrormiliz, durch das Video diese Botschaft und die eigene Wehrhaftigkeit zu propagieren; Nachrichtenmedien stellte sich die Frage, wie detailliert sie auf die mediale Strategie der Terroristen eingingen – ein Hintergrund, vor dem etliche entschieden, das Video nicht zu zeigen.
Der Mörder von Moneta (er hat sich mittlerweile umgebracht) war hingegen ein Einzeltäter und ob seine Tat auch politisch motiviert war, ist unklar. Eindeutig und entscheidend ist aber seine Intention, dieses Video und damit seine Tat sowie seine Motive öffentlich zu machen. Er hat die Morde nicht nur gefilmt, sondern dieses Tat-Selfie über soziale Medien verbreitet, sich ausdrücklich zu seinem Verbrechen bekannt, Kommentare und Posts dazu abgegeben. Über den Kontext der sozialen Medien konnte er selbst den Impuls setzen und durch diese mediale Strategie für seine Tat hohe Aufmerksamkeit erhalten. Und als ehemaliger Journalist konnte er zudem mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ein "Medienreflex" greifen würde: eine solche Art Film hat es vermutlich noch nie gegeben, er war via soziale Medien leicht verfügbar – Gründe, weshalb wohl zumindest einige klassische Medien seinen Film über seine "Tat" weiterverbreiten würden; auch ihm mag also die "Propaganda der Tat" eine Triebfeder gewesen sein.
Genau an der Stelle müssen wir einhaken. Dieser Mörder belegt mit seinem bislang wohl einzigartigen Vorgehen, wie die Möglichkeiten, über soziale Medien zu kommunizieren und zu propagieren, was man öffentlich mitteilen will, künftig gerade auch Kapitalverbrechern mehr Aufmerksamkeit geben könnte denn je. Wenn Medien nicht bewusst gegensteuern, sondern sich instrumentalisieren lassen.
Gefahr der Nachahmung
Das führt auf den dritten Punkt. Wiederum folgenethisch betrachtet: Wer zeigt, wie der Täter gerade – selbst aufgenommen – auf die Reporterin zielt, animiert damit möglicherweise Nachahmer. Bei Amokläufen ist bekannt, dass eine detailreiche, den Täter über seine Untat in gewisser Weise heroisierende Berichterstattung jene, die sich mit solchen Gedanken schon tragen, aufstacheln können. Ähnlich könnte dies bei jenen Kapitalverbrechen sein, die, wie im vorliegenden Fall, etwa aus Unzufriedenheit heraus begangen werden, weil jemand sich von einem Arbeitgeber, einer Behörde, einem Gericht ungerecht behandelt fühlt, sich diskriminiert sieht – und glaubt, nun selber richten zu müssen, sozusagen grundsätzlich: Denn offenbar hatte der Täter von Moneta zumindest keinen näheren Kontakt zu den Kollegen, die er erschossen hat, und war schon seit langem nicht mehr Mitglied der Redaktion.
Um Missverständnissen vorzubeugen. Selbstverständlich muss über solche Verbrechen berichtet werden. Wir müssen uns zumuten zu erfahren, was hier genau geschehen ist und was wohl den Täter bewogen hat, so zu handeln. Dies sogar erfahren zu wollen, entspringt dem Bedürfnis, auch das im Grunde nicht Verstehbare zumindest einordnen zu können. Oder ob daraus weitere Schlüsse zu ziehen sind und eine solche Tat Anlass ist für eine (tatsächlich in den USA bereits aufgeflammte) Debatte, ob die amerikanische Gesellschaft an Waffengesetzen, die den Waffenbesitz schützen, festhalten oder sie verschärfen möchte. All dies sind Themen, über die berichtet werden und für die in Medien ein Forum bestehen muss. Aber bei Filmen, die ein Täter macht, um sich letztlich für eine Untat zu rühmen, dürfen, ja, müssen wir wegschauen und uns mit Grausen abwenden.
*Über die Autorin:
Marlis Prinzing arbeitet als Freie Journalistin, Moderatorin ("Das rote Sofa") und Forscherin. Sie ist Professorin an der Hochschule Macromedia in Köln, Fachbereich Journalistik.
Ergänzung der Redaktion: Wie wichtig die medienethische Diskussion ist, zeigt auch der Umgang der Medien mit dem Flüchtlingsdrama in Österreich. Für viel Kritik sorgte die österreichische Zeitung "Krone", die ein Foto abdruckte, das die toten Flüchtlinge im LKW zeigt. Beim Presserat gingen dazu mehrere Beschwerden ein. Die "OÖNachrichten" reagieren dagegen so:
Beste Titelseite heute. Danke @nachrichten_at - Unglaublich: @krone_at druckt ein Bild der toten Flüchtlinge im Lkw pic.twitter.com/uS6wpgWKVR
— Christoph Schlemmer (@schlemmer) 28. August 2015