
Christoph Kappes:
"Precht schlägt den Sack und meint den Esel"
"Pöbelkultur" und das Ende von Facebook ist nahe: TV-Philosoph Richard David Precht hat die Branche mit seinen Social-Media-Thesen polarisiert. Blogger und "FAZ"-Autor Christoph Kappes hält dagegen. Ein Interview.
"Pöbelkultur" und das Ende von Facebook ist nahe: TV-Philosoph Richard David Precht hat die Branche mit seinen Social-Media-Thesen polarisiert. W&V Online hat darüber mit Christoph Kappes gesprochen. Der Agenturgründer und frühere Pixelpark-Manager arbeitet heute als Unternehmensblogger und Autor (u.a. "FAZ").
Herr Kappes, Sie haben auf Twitter Zweifel daran geäußert, ob Precht sich wirklich so geäußert hat wie wir es hier geschrieben haben. Warum so skeptisch?
Christoph Kappes Weil Precht, wenn er wirklich die Relevanzfunktion der Printmedien gegen eine "Pöbelkultur" stellt, gleich mehrere Argumentationsfehler macht. Zum einen vergleicht er ein Sollen – die Relevanzfunktion - gegen ein Sein – die "Pöbelkultur", dabei ist doch schon auf der Seinsebene die Frage, ob nicht das eigentliche Totalversagen bei Boulevard- und Klatschmedien zu suchen ist, die in zweistelliger Millionenhöhe die Lesergehirne mit Soap und Irrelevanz vermatschen. Natürlich kann ich gut verstehen, wenn er als intelligenter Mensch berechtigte Forderungen stellt; man muss dann aber auch diskutieren, ob es an der Komplexität der Gesellschaft liegt, dass Menschen immer mehr nach einfachen Erklärungen suchen. Aber auch das Internet kommt zu schlecht weg, weil es, wo es aus Pöbelei besteht, einfach nur bestehende Kultur abbildet, er schlägt also den Sack und meint den Esel.
Der Idee von der Leitfunktion des Printmediums stimmen Sie also nicht zu.
Ich finde, der Begriff ist falsch gewählt. Jeder einzelne Mensch braucht ein Außenbild, um seine Identität zu bilden, und Gesellschaften brauchen Leitgedanken und -diskussionen, damit sie überhaupt friedliche Gesellschaften sind, bei denen die Menschen sich aufeinander beziehen. Aber diese Funktion ist nicht an das Werkzeug "Printmedium" gekoppelt, sondern kann auch von digitalen Werkzeugen erfüllt werden. Wenn eine Funktion "Fortbewegung" ist, dann können Sie das auch mit verschiedenen Techniken erreichen. Und ein "Leiten" findet ja schließlich auch längst im Internet statt - Print-Inhalte prägen ja seit 15 Jahren auch online crossmediale Leitdiskussionen.
Das heisst, Sie würden sagen, dass Medien ihre Aufgaben nun crossmedial erfüllen und Kritik nicht gerechtfertigt ist?
Nein, ich sehe wie Precht, dass da viel im Argen ist. Und ich führe das sogar auf Digitalisierung zurück. Das werbefinanzierte Geschäftsmodell hat uns Lesern im Print noch nicht die Aufmerksamkeit gestört, online zu lesen ist aber durch Animation, Linkwerbung, SEO-Texte, Teaser und Seitenstreckung vielfach eine Zumutung geworden. Mit Messungen und A/B-Auswahlen wird alles auf Aufenthaltsdauer und Reichweite optimiert. Redaktionen machen daher Vorgaben von maximal 5.000 Zeichen, das reicht nur bei Tages-News. Ich würde ganz hart sagen: Es ist das werbefinanzierte Geschäftsmodell, was durch die neuen digitalen Möglichkeiten tief in die redaktionellen Inhalte hineinstrahlt und zusammen mit der bestenfalls schwachen Ertragskraft die Qualität häufig an zweite Stelle rücken lässt. Kostendruck ist nicht gut für Qualität, so einfach ist das, dann gehen kurzfristige Ziele den langfristigen vor.
Das klingt aber auch nicht so, als wenn Sie dem Internet mehr zutrauen würden als Precht das tut.
Nein? Gerade das, was Precht wünscht, nämlich "ideologisch nicht vorformatiertes Wissen", finden Sie im Internet mehr als in deutschen Leitmedien, Stichwörter "Wikipedia", also crowd-qualitätsgesicherter Content, und "OpenData" sowie "BigData", siehe auch "Data Journalism" – neben irrwitzigen Verschwörungstheorien. Und wenn irgendetwas außer der großen Wissenschaftler – und Intellektuellenreplik die Dinge geraderückt, dann der Leserkommentar, der die Vielfalt der Meinungen erschließt und auf Fehler hinweist, und das täglich bei zigtausenden von Texten, nur diese Mikro-Replik skaliert wirklich gut. Den Gedanken "Reflektieren statt Kommentieren" finde ich gut, aber gerade Webangebote, die keine Kommentare zulassen, stehen bei mir inzwischen unter Manipulationsverdacht. Ich fürchte, dass ständige Gesabbel im Netz ist nur die Nachahmung der neuen Talk-Show-Kultur, das wäre ganz typisch, wenn ein neues Medium kommt, das man das alte nachahmt. Und die Filter-Bubble-Theorie übersieht immer wieder, dass das Web den Zugang zur ungefilterten Quelle immer belässt und obendrein durch Verlinkung von Einzeltexten gut auffindbare Diskussionsräume strukturiert. Was Qualität angeht, bin ich auch nicht skeptisch, da Bezahlmodelle kommen – siehe Metered Modelle in den USA und E-Book-Verbreitung - und man mit Innovationswillen auch mehr bewirken könnte.
Was sagen sie zur These, Facebook sei ein Modephänomen?
Das kann Precht nur auf das Unternehmen bezogen haben, nicht auf Soziale Netzwerke allgemein. Menschen operieren schon seit der tribalen Gesellschaft in Netzwerken, das ist ein Organisationsprinzip älter als das Christentum und die griechische Philosophie. Menschen leben mit Geben und Nehmen, mit Gabe und Gegengabe, mit Verbindlichkeit und Schuld in Beziehungen und mit den Möglichkeiten, die sich aus den Beziehungen derjenigen ergeben, die sie kennen. Das ist der Grund für Facebook, auch wenn die Umsetzung schlecht ist. Und das gilt auch für Inhalte, mich schüttelt es manchmal sogar bei meinen eigenen Postings, da kann ich Precht sehr gut verstehen. (lacht)