
Lesetipp:
"Deadline": Warum ein Werbetexter das beste Buch zum Journalismus schrieb
Der Schweizer Journalist Constantin Seibt listet in seinem Blog "Deadline" die sechs "besten Bücher zum Journalismus" auf. An erster Stelle steht dabei für ihn das fast fünfzig Jahre alte Werk des Werbetexters Howard Luck Gossage.
Der Schweizer Journalist und Autor Constantin Seibt schreibt seit Mai 2012 in seinem Blog "Deadline" für den "Tagesspiegel" über den "Journalismus im 21. Jahrhundert". Dort listet er aktuell die sechs "besten Bücher zum Journalismus" auf, dazu zählt er Werke von Raymond Chandler, Francois Truffaut, Robert Neumann, Robert Gernhardt und Truman Capote. An erster Stelle steht für Seibt jedoch das fast fünfzig Jahre alte Werk eines Werbetexters.
"Es ist – da gehe ich jede Wette ein – das kühnste und trickreichste Buch zum Handwerk des Schreibens. Und es enthält mehr Ideen für die Zukunft des Journalismus im Netzzeitalter als ein paar Tausend Verlegerkongresse", schwärmt Seibt. Das gepriesene Werk stammt von dem US-Werber Howard Luck Gossage und heißt "Ist die Werbung noch zu retten?".
Gossage sorgte in den 60er Jahren für Aufsehen - unter anderem mit drei Protestanzeigen, die letztlich den bereits beschlossenen Bau eines Staudamms im Naturdenkmal Grand Canyon verhinderten. Darin kritisierte er für einen Naturschutzverein die Industrie und die zuständigen Beamten und prangerte die geplante "Ver-dammung" unter anderem so an: "Die künstlichen Seen werden als 'Verbesserung' bezeichnet, weil Touristen dann näher an die Felswände herankommen. Sollten wir auch die Sixtinische Kapelle unter Wasser setzen, damit Touristen näher an die Deckengemälde kommen?"
Berühmt wurde der spätberufene Gossage - er wurde erst mit 36 Jahren Werbetexter - nicht nur für diesen Erfolg. Laut Seibt stammten "9 der 10 erfolgreichsten Kampagnenrückläufe der 60er Jahre von ihm". Auch seine kritischen Äußerungen über Werbung sorgten für Aufsehen. Der "Spiegel" beschreibt ihn in einem Porträt 1966 als "Branchen-Kabarettist" und zitiert ihn mit folgender Aussage: "Die Werbung ist ein goldener Vorschlaghammer im Wert von vielen Milliarden Dollar, mit dem versucht wird, eine Reißzwecke einzuschlagen."
Gossages Anzeigen und Essays wurden 1967 erstmals in Deutschland als Buch verlegt, erst zwanzig Jahre später erschien es auf dem US-Markt. Der schmale Band zeigt den eigenwilligen Gossage-Stil. Seine humorvollen Anzeigen waren oft als Serie wie ein Fortsetzungsroman angelegt, sie bestanden aus viel Text, langen Sätzen und sie forderten den Betrachter immer zu einer aktiven Teilnahme auf, sei es mit einem Coupon oder Gewinnspiel. Dadurch war der Kampagnenerfolg beweisbar. "Gossages Anzeigen verkauften ihre Produkte exakt mit dem, was im Rest der Branche als Erfolgskiller galt: Intelligenz, Charme, Ironie, persönlichem Stil", schreibt Seibt.
Von Gossages Haltung dem Publikum und der Branche gegenüber können heutige Journalisten und Werber noch viel lernen, ist Seibt überzeugt. "In beiden Branchen dominieren gern routinierte Einpeitscher. Sie sind überzeugt, dass dem Publikum die Ware in möglichst hohem Rhythmus eingehämmert werden muss, da es sonst flüchten könnte." Ob Waschmittelwerbung, traditionelle Zeitungen oder aktuelle Online-Seiten: "Fast alle setzten auf die Materialschlacht. Man bolzt Nachrichten, Schlagzeilen, Skandale, Klicks nach Rezept." Das Publikum würde dabei verkannt, in der falschen Annahme es wolle immer "mehr von dem immer Gleichen".
"Die Leute lesen keine Anzeigen. Sie lesen, was sie interessiert – und manchmal ist es eine Anzeige." Diese Aussage von Gossage ist auch heute noch sehr wahr. Warum der Werber konsequent nur jede Anzeige einmal schalten ließ, auf welche Weise er als erster Werbung der Konkurrenz parodierte und weitere Beispiele seiner Texterkunst lesen Sie im Blog "Deadline".