Bereits 2011 stellte eine Studie an der University of Oregon fest, dass Printleser signifikant mehr Inhalte und Details merken als Nutzer der gleichen Inhalte online. Bezeichnend ist, dass sich im deutschsprachigen Raum bislang kein Verleger bereitfand, diese Studie hierzulande zu wiederholen. Entweder trauen sie dem Braten nicht oder aus Angst um die Vermarktung der eigenen Websites. Also bleibt nichts übrig, als weiter im Ausland nach Antworten zu suchen.

Online ist Flachbaggern?

Der US-Wissenschaftsjournalistin Annie Sneed haben wir die Zusammenstellung aller bisherigen Forschungserkenntnisse  zu verdanken, die sich mit der Veränderung unseres Leseverhaltens off- und online beschäftigen. Unterm Strich: Wir lesen heute mindestens dreimal so viel wie noch in den 80er Jahren. Allerdings führt unsere Wanderung von Print in Richtung nicht-linearem Lesen zu "skimming" (auch "Flachbaggern"), also zu einem verstärkten Überfliegen der Inhalte.

Wir browsen, scannen, suchen Keywords, wir lesen selektiver. Dieses neue Leseverhalten hat seinen Preis: Eine erhöhte Ablenkung und sinkende Aufmerksamkeit. Man hat festgestellt, dass das Verständnis der Inhalte bei Personen leidet, die an Screens lesen. Printleser waren besser imstande den Plot einer Geschichte wiederzugeben. Annie Sneed schließt ihre Ausführungen mit der weisen Empfehlung: "Forget your smartphone and computer, sit down, and read a book."

Das alles ist nachvollziehbar. Doch für die Mediaplaner hat es bislang keine Konsequenzen, ebenso wenig wie die Veränderung der TV-Nutzung. Unzählige Studien zeigen uns, dass die Nutzung von Second Screens explosionsartig zugenommen hat. Dennoch zweifeln die Mediaplaner nicht an der Aufmerksamkeit der Zuschauer während der langen Werbeblöcke. Dabei wird Aufmerksamkeit zum höchsten Gut.

Wieso stirbt Print nicht?

Die Mediaplaner interessiert nicht, dass zur IVW 2015-I stolze 165 Zeitschriften steigende Auflagen meldeten. Allem zum Trotz zogen sie ihnen im 1. Halbjahr 2015 erneut vier Prozent der Werbespendings ab und machten Zeitschriften zum großen Verlierer. Gut, das muss man ihnen nachsehen. Welche Rolle Print in einer Mediastrategie spielen könnte, gehört zum verloren gegangenen Wissen. Auch dass vernachlässigenswerte 45 Millionen Menschen täglich Zeitung lesen, kann man mal übersehen. Print stirbt, das war schon beschlossene Sache.

Wer aber könnte die unwissenden Mediaplaner darüber aufklären, wie sie mit den Veränderungen in dem Markt, den sie am besten kennen sollten, umzugehen haben? So, dass die Werbekunden aufhören darüber zu klagen, dass der ROI sinkt. Dass dafür dummerweise gleichzeitig die Illoyalität gegenüber den Marken, die sie tagein tagaus betreuen, steigt.

Wir können schlecht von den TV-Vermarktern erwarten, dass sie Forschungsergebnisse vorlegen, die eine sinkende Aufmerksamkeit vor dem Bildschirm nachweisen. Oder von den Online-Vermarktern, dass der Klick-Betrug steigt und werbliche Inhalte am Screen nicht sonderlich gut wahrgenommen werden. Und dass auch deshalb die Klickraten immer weiter sinken.

Mediaplaner haben Aufgaben?

Nein, das ist Aufgabe der Mediaagenturen, die erkennen müssen, dass sie Schuld haben am Dilemma. Ja, werte Mediaplaner, ihr habt tatsächlich Aufgaben. Sie bestehen keineswegs darin, die Vermarkter unter Druck zu setzen und zu eurem Vorteil gegeneinander auszuspielen. Nicht darin, euren Kunden Medieninventar unterzujubeln, das sie für ihre Kommunikation nicht benötigen. Auch nicht alleine darin, eure Renditen zu steigern. Warum will das nicht in eure Köpfe? Schluss jetzt mit diesem business as usual.

Die Aufgabe der Mediaplanung war immer und bleibt ganz besonders in diesen digitalen Umbruchzeiten die Kunden zu beraten. Ihnen die Strategie, den Media-Mix und die Werbeträger zu empfehlen, die die Marketing- und Kommunikationsziele der anvertrauten Marken erreichen helfen. Leider muss man die Planer heute daran erinnern, dass einzig diese Ziele höchste Priorität besitzen - auch wenn es nicht ausdrücklich im Vertrag steht. Als Präambel wäre es jedoch ganz nützlich. Zum Einrahmen, über den Schreibtisch hängen und hinter den Spiegel stecken.

Dazu gehören - wenn die alten Daten nicht genügend Transparenz über das Mediaverhalten der Zielgruppen liefern - auch Forschungsinitiativen. Früher haben wir es jedenfalls so gemacht. Und ja, mit eigenem Geld. Weil es Spaß machte, proprietäre Insights lieferte, unsere Kunden begeisterte und uns zu vertrauensvollen Partnern machte. Aber davon ist nichts mehr zu sehen. Wer jetzt nicht umdenkt, kann bald die Löffel abgeben.

Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt für W&V. Er ist "Mr. Media".


Thomas Koch  Foto: Clap Bruchhaus&Ingenweyen
Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.