
Mainzelmännchen:
"Kein TV-Zuschauer fiebert der Werbung entgegen"
Am 2. April 1963 - einen Tag nach dem Sendestart - waren im ZDF erstmals Mainzelmännchen zu sehen. Und Werbespots. Die drei bisherigen Leiter des ZDF Werbefernsehens Horst Buckwitz, Wolfgang Köhler und Hans-Joachim Strauch kamen für ein GEspräch zusammen und blicken zurück auf mehr als 50 Jahre TV-Werbung.

Foto: ZDF Werbefernsehen
Am 2. April 1963 - einen Tag nach dem Sendestart - waren im ZDF erstmals Mainzelmännchen zu sehen. Und Werbespots. 1967 sendeten die Mainzer den ersten Spot in Farbe ("4711"), 2007 Deutschlands ersten Spot in 16:9 (Deutsche Bank), 2010 den ersten HD-Spot ("Persil"). Stationen der Werbegeschichte. Die drei bisherigen Leiter des ZDF Werbefernsehens Horst Buckwitz (1963-1989), Wolfgang Köhler (1989-2001) und Hans-Joachim Strauch (ab 2002, seit 2009 Geschäftsführer der Werbefernsehen GmbH) blicken zurück auf mehr als 50 Jahre TV-Werbung.
Herr Buckwitz, Sie haben die Anfänge des Werbefernsehens im ZDF erlebt. Hat TV-Werbung 1963 das Publikum schon deshalb gefesselt, weil sie im Fernsehen lief?
Horst Buckwitz Fernsehen war etwas Neues und erregte in der Tat viel Aufmerksamkeit. Werbung jedoch war auch in den 1960ern kein TV-Ereignis, dem Zuschauer entgegenfieberten. Sie gehörte schlicht zum Alltag. Damals standen uns im ZDF Werbefernsehen zwölf Minuten am Tag zur Verfügung, und um die Werbeblöcke attraktiver zu machen, haben wir die Mainzelmännchen eingeführt, die nach jedem Spot laufen.
Wolfgang Köhler Wie man's auch dreht und wendet: Kein Zuschauer schaltet den Fernseher ein, um Werbung zu gucken. Das war damals nicht anders als heute.
Buckwitz Die Werbung war, wenn ich mich recht entsinne, damals sogar deutlich anstrengender als heute. Man versuchte regelrecht, Werbebotschaften und Markennamen in die Köpfe der Zuschauer zu hämmern. Heutige TV-Werbung gefällt mir besser. Sie ist informativer und kurzweiliger.
Und kürzer.
Buckwitz Das stimmt. Ich erinnere mich an einen "4711"-Spot aus der Schwarzweiß-Ära, der fünf Minuten dauerte.
Für "4711" warb im ZDF 1967 auch der erste TV-Spot in Farbe.
Buckwitz Trotzdem musste Werbung damals auch in Schwarzweiß funktionieren. Die wenigsten Zuschauer verfügten 1967 über einen Farbfernseher. Nicht mal Schwarzweiß-Geräte standen in sämtlichen Haushalten. Unsere technische Reichweite lag in den Anfangsjahren unter 50 Prozent.
Köhler Das bedeutet nicht, dass TV-Werbung damals weniger wirkungsvoll war als heute. Im Gegenteil. Ich war Mitte der 1960er Marketingverantwortlicher der Firma Eckes und rang dem ZDF vier Spots pro Woche für den Weinbrand Mariacron ab. Mit TV-Werbung schafften wir es damals, die Marke zur Nummer eins des Segments zu machen.
Buckwitz Werbungtreibende waren stark interessiert an begleitender Marktforschung. Die wollten wissen, was sie für ihr Geld kriegen. Wir haben daher von Anfang an gemeinsam mit der ARD Marktforschung angeboten.
In den 1970ern entdeckte die Werbung: Sex sells. Nackte Haut von Fa bis Creme 21. Eine sexuelle Revolution in den Werbeblöcken?
Köhler Vielleicht ein Akt der Befreiung. In den 1960ern war TV-Werbung ausnehmend prüde. Einen BH am Oberkörper einer Frau zu zeigen statt am Torso einer Schaufensterpuppe? War undenkbar.
Das änderte sich in den 1970ern. Den Charme damaliger Werbung sucht man heute vergeblich. Gilt ebenso für Ikonen wie Ariels Klementine, den Persil-Mann oder das HB-Männchen.
Köhler Kampagnen sind heute kurzlebiger. Damals lief ein Spot mitunter Jahre, Werbefiguren begleiteten ganze Lebensphasen der Zuschauer. Das hat sich geändert. Genau wie die Präsentation der Werbung. Sponsoring und andere Sonderwerbeformen hielten Einzug und gewannen an Bedeutung. Nehmen Sie die "heute"-Uhr, die wir am 1. Januar 1991 starteten: Die war auf Anhieb und ist bis heute einer der wertvollsten Werbeplätze im ZDF-Fernsehen. Nicht unbedingt zur Freude der "heute"-Redaktion. Es brauchte einige Gespräche, um Zweifler von der Bedeutung dieser Sonderwerbeform zu überzeugen.
Anfang der 1990er begann der Siegeszug des Internet. Haben Sie die Konkurrenz damals schon gespürt?
Köhler Einige Werbungtreibende waren fasziniert und experimentierten herum. McDonald’s gehörte dazu. Aber die Fastfood-Kette hat in ihren Filialen schnell gemerkt, dass Online-Werbung nicht so verkaufsfördernd wirkte wie erhofft. Also kehrte sie reumütig zur TV-Werbung zurück.
Hans-Joachim Strauch Im digitalen Raum lässt sich Werbewirkung bei weitem nicht so zuverlässig erforschen, wie es im Fernsehen seit den ersten TV-Spots möglich ist. Auch deshalb kehren viele Werbungtreibende nach einer Experimentierphase zum TV zurück. Wir beobachten hier allerdings Verschiebungen in der Bildschirmpräsenz: weniger Markenindustrie, vor allem weniger FMCG-Marken, mehr Werbeauftritte des Handels.
Ein aktueller Trend heißt Second Screen: die Hinwendung des Zuschauers zu Smartphone oder Tablet während des Werbeblocks im TV. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?
Strauch Nein. Manche Studien fragen Fernsehzuschauer, ob sie jemals parallel ein Smartphone in der Hand hatten, und leiten daraus dann so etwas wie einen Trend ab. Tatsache ist: Im Schnitt beläuft sich die Parallelnutzung laut Massenkommunikationsstudie 2010 auf zwölf Minuten am Tag. Und das bei mehr als dreieinhalb Stunden TV-Nutzung. Fernsehwerbung behauptet sich auch in der sich wandelnden Medienlandschaft.