
Thomas Koch:
"Medien, ihr könnt es einfach nicht"
Die goldene Regel des Marketings lautet: "Erst Positionierung, dann Kommunikationskonzept, dann Werbung". Man kennt diese Regel überall - außer in der Medienbranche selbst, denn da ist es oft umgekehrt. Thomas Koch alias "Mr. Media" über Medien als Marketing-Versager.

Foto: Sabine Hörold
Die goldene Regel des Marketings lautet: "Erst Positionierung, dann Kommunikationskonzept, dann Werbung". Man kennt diese Regel überall - außer in der Medienbranche selbst, denn da ist es oft umgekehrt. Thomas Koch* alias "Mr. Media" über Medien als Marketing-Versager.
Werbung ist bekanntlich eine Kunst. Eine scheinbar sehr hohe Kunst, wenn man betrachtet, wie Medien für sich werben und wie sie sich in Szene setzen.
Auf dem soeben stattgefundenen Horizont-Medienkongress erklärte Martin Krapf, Geschäftsführer von Wirkstoff TV, das Fernsehen mit den Worten: "Warum schaut der Hund ins Wasser, obwohl er keinen Durst mehr hat? Weil es sich bewegt." Hübsche Metapher gewiss, doch ich verstehe sie nicht.
Sind die TV-Protagonisten im digitalen Zeitalter beim Argument der multisensorischen Ansprache stehengeblieben? Der USP ist (gähn…) mindestens 40 Jahre alt. In Zeiten der Aufmerksamkeits-Ökonomie und des Second Screen dürfen wir von TV deutlich mehr erwarten. Der letzte TV-Wirkungstag eierte ungelenk um das brennende Thema herum. Bleibt zu hoffen, dass uns der Wirkungstag 2015 mehr über die Position des Fernsehens im digitalen Zeitalter verrät.
Wenigstens haben wir die Fachkampagne der IP, die auf das Thema Emotion setzt. Das könnte noch eines der treffenderen Argumente sein, die TV als Werbemedium von Online - also zumindest von Suchmaschinen, Vergleichsportalen, Online-Shops und drögen News-Websites - unterscheidet. Wenigstens ein kleiner Lichtblick im Positionierungsgefasel.
Von Eiern und blinden Hühnern
Apropos rumeiern. Das können die Onliner noch besser als TV. Kunden und Agenturen reden von nichts anderem mehr als von der digitalen Transformation, wie sich Marken durch die digitale Welt bewegen sollten und von Innovation und den unvorstellbaren Chancen, die sich uns hier bieten. Während uns fehlende oder mangelhafte (Kontakt-) Währungen, Adblocker, Klickraten und Digital Fraud das Leben schwer machen, treiben die Online-Vermarkter was? Sie feilen an ihren Rabatten. Auch hier reichlich room for improvement.
Während wir händeringend nach neuen Online-Werbeformen suchen sollten, die von den Usern goutiert werden, scheinen sich die Vermarkter mit der Welt der 0,0-Klickrate zufrieden zu geben. Eine Gattungs-Kampagne, die erklärt, was Online besser kann als jedes andere Medium? Fehlanzeige. Kein Wunder, dass die Internetwerbung stagniert.
Wollen wir noch über die Positionierung und werblichen Aktivitäten der Printmedien sinnieren? Besser nicht. Denn das wird schmerzhaft. Hier finden nicht einmal blinde Hühner ein Korn.
Erinnern Sie sich noch an die großen TV-, Plakat- und Print-Kampagnen von Zeitungen und Magazinen? Dann sind Sie ziemlich alt. Das ist vorbei. Diese Etats sind längst eingespart. Entweder ist man auf den Trichter gekommen, dass Werbung doch nicht wirkt (eine Erkenntnis, die man den Werbekunden besser vorenthalten sollte), oder man betreibt mit den spärlichen Anzeigen reine "Nielsen-Kosmetik". Denn in vielen Magazinen sind die meisten Anzeigen inzwischen Eigenanzeigen für Blätter aus dem eigenen Haus. Deren Wirkung dürfte sich in Grenzen halten. Aber sie füllen zumindest die Hefte und werden in den Berichten der Bruttowerbeaufwendungen mitgezählt.
Immerhin macht der "Stern" wieder eine TV-Kampagne für sein "Reporter-Magazin“. Ob das jedoch die Zuschauer von "Ich bin ein Star" verstehen, bleibt abzuwarten. Wenn Gruner + Jahr seine (teuren) Agenturen nun vor die Tür setzt und durch preiswertere ersetzt, wird bestimmt alles besser. Da lob ich mir doch die Kampagne der "Apotheken Umschau" in ARD und ZDF. Die ist ehrlich, relevant und trifft dort auf die gewünschte Zielgruppe.
Betrachtet man den Content oder gar die Usability der vermeintlichen Vertriebs-Maßnahmen der Verlage, laden auch sie keinesfalls zur Nutzung ein. Das Netz ist voller Posts über versuchte Online-Abo-Abschlüsse und Downloads, die misslangen. Print-Abonnenten, die sich bemühen, eine Online-Ausgabe zu erstehen, erleiden oft Schiffbruch. Wenn es selbst prominenten Chefredakteuren nicht gelingt, eine Online-Ausgabe zu bestellen und erfolgreich herunterzuladen, dann wird es Lieschen Müller erst recht nicht schaffen. In der digitalen Welt scheinen die Printmedien tatsächlich in jeder Hinsicht rat- und hilflos.
Medien sind doch keine Marken
Was völlig fehlt, sind Kampagnen für Zeitungen. Die Abo-Auflagen sinken. Man möchte meinen, die Zeitungsverlage reagieren wie Marken und lancieren fulminante Kampagnen, um die Auflagen-Erosion aufzuhalten. Man könnte den Menschen erklären, warum sie Zeitung lesen sollen, welchen Vorteil sie sich davon erhoffen dürfen. Also ein Wörtchen zum "reason why". Doch weit gefehlt.
Es bleibt daher nur eine Interpretation: Den Verlegern muss es wohl immer noch so gut gehen, dass sie der Auflagenrückgang nicht kratzt. Und wenn, dann werden halt Redakteure auf die Straße gesetzt. Aber in Kommunikation investieren? Nein. Wozu? Auch hier ist kein Vertrauen in das Instrument Werbung zu erkennen, von dem sie ihre Anzeigenkunden seit über hundert Jahren so gern zu überzeugen trachten.
An Peinlichkeit wird das von der kaum mehr stattfindenden, dem Rotstift zum Opfer gefallenen Fachwerbung übertroffen. Wenn Werbeträger überhaupt noch in Fachmedien um die Entscheider buhlen, treffen sie dort bekanntlich auf Profis, die den Markt und seine Entwicklung kennen. Der "Spiegel" kündigt seine neue Erscheinungsweise am Samstag mit dem Argument "Stärker erinnern. Mehr umsetzen" an. Leere Floskeln ohne jegliche Beweiskraft.
"Bild der Frau" zitiert ihre Chefredakteurin: "Nähe bedeutet für mich, mit Inhalten zu bewegen." Nicht besonders alleinstellend. "Cosmopolitan" headlined "Schalten Sie Cosmofantastisch" und berichtet von einer Auflagensteigerung. Hat jeder Planer im Rechner. "Apotheken Umschau" titelt sinnig "Nicht nur, sondern auch." Niemand liest weiter. Die Reichweite verschwindet im Fließtext. Ist wohl nicht so wichtig.
"H.O.M.E." ("Das Magazin für digitalen Lifestyle" - was bitte ist das denn?) kündigt eine Jubelausgabe an und hat "360° Print und digital" im Angebot, was auch immer damit gemeint ist. Das Hauptargument von "Flair" (der "Comeback-Newcomer"?) ist eine Auflage von 92.820. Ja, und? Der Axel Springer Auto Verlag bringt es gar fertig, die Auflagen seiner (sechs) Titel auf die stolze Summe von über 700.000 aufzuaddieren. Rechnerisch eine reife Leistung. Und gestalterisch, wie die meisten Fachanzeigen, grottenschlecht.
Keine Angst vor der Wahrheit
Die Fachmedien sind auf diese Anzeigen angewiesen. Wäre es nicht dennoch schön, wenn sie Aussagen enthielten, mit denen die Entscheider bewegt würden? Auch hier gibt es gottlob eine Ausnahme: Die aktuelle "Spiegel"-Kampagne, die den Claim "Spiegel-Leser wissen mehr" durch "Keine Angst vor der Wahrheit" ablöst. Mit Fotos, die unter die Haut gehen, die berühren und die neue (alte) Botschaft unters Entscheidervolk bringen. Geht doch.
Sehen wir der Wahrheit also ins Auge: Es gibt kaum Medienkampagnen. Und die überwiegende Mehrzahl ist unterirdisch schlecht. Die meisten Medien können einfach keine Werbung. Weil sie Positionierung nicht beherrschen. Daher hier noch einmal für die ganz blinden Hühner die Reihenfolge: Erst Positionierung, dann Kommunikationskonzept, dann Werbung. Nicht umgekehrt.
Und liebe Medien, wenn ihr partout keine Lust auf Kommunikation und Werbung habt, dann lasst die Werbungtreibenden und Agenturen bitte einfach in Ruhe. Wenn ihr selbst nicht mehr an die Kraft der Werbung glaubt, dann erwartet nicht, dass der Werbemarkt an die Kraft eurer Medien glaubt.
* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, "Wirtschaftswoche"-Kolumnist, Buchautor und Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt seit 2013 für W&V. Er ist "Mr. Media".