
Thomas Koch über Medienstrategien:
"Was habt ihr in den letzten 20 Jahren eigentlich gemacht?"
Nach vier Jahrzehnten Mediabranche ist Thomas Koch nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber was Kollegen 2016 ernsthaft diskutieren, das macht selbst "Mr. Media" fassungslos. Eine Replik.

Foto: TEDX Münster
Nach vier Jahrzehnten Mediabranche ist Thomas Koch nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen. Aber über was die Kollegen 2016 diskutieren, das macht selbst "Mr. Media" leicht fassungslos. Eine Replik.
Da lese ich interessiert den Text einer frischgebackenen Mediaagentur-Chefin, geht es doch immerhin um den ausgeklügelten Media-Mix der Zukunft für die Generationen Y und Z. Denn da muss ja nun etwas bahnbrechend Neues kommen. Stattdessen erfahre ich, dass man die wichtige Frage stellen muss: "Was kostest mich ein Kontakt in diesem Medium?" Ebenso dass Kontakt nicht gleich Kontakt ist. Und dass Kinowerbung für Mobilfunkangebote zwar die höchste Wirkung erzeugt, aber Radio die günstigeren Kontakte. Womit Kino offenbar als zu teuer abqualifiziert wird.
Da hat es mich erstmal hingesetzt. Ganz ruhig bleiben, dachte ich mir. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, fragte ich mich, was die Kollegen in den letzten zwanzig Jahren eigentlich gemacht haben. Zumal der Text von der Erkenntnistiefe her arg zu wünschen übrig lässt. Am Ende des Beitrags geht es noch kurz um die inhaltliche Ansprache (oha!), um "motivatorische Passung" (bitte?) und (hört, hört!) um relevante Touchpoints. Außerdem erfahren wir kryptisch, dass sich der Inhalt vom Endgerät emanzipieren muss.
Liebe Mediaplaner, wisst ihr nicht, dass wir das alles schon in den 90er Jahren gemacht haben? Nein, sie wissen es nicht. Sie glauben gerade, das Rad neu zu erfinden. Und stecken dabei intellektuell in der Steinzeit der Mediaplanung.
Media hat heutzutage weiß Gott Probleme genug. Sie kaufen TV-GRPs nach dem Sender-TKP. Sie bewerten Zeitschriften, als wären sie wie austauschbare Werbeinseln bei Kabeleins. Und sie sollten wissen, dass die meisten ihrer Online-KPIs wertloser Müll sind. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den Daten zu glauben, die auf den Bildschirmen vor ihren Augen flimmern. Wenn Der Spiegel 6 Prozent Auflage verliert und gleichzeitig 10 Prozent Leser gewinnt, dann lacht die ganze Branche. Nur die Mediaplaner bleiben ernst. Und stur wie eh und je. Sie nehmen jede Zahl, in ihnen aus ihren Rechnern entgegenpurzelt, für bare Münze.
Deshalb glauben sie auch ganz fest an Big Data und Programmatic. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass das nur Tools, Instrumente und Mechanismen sind, die ihnen nicht einmal die Arbeit abnehmen werden. Und die erst recht nicht in der Lage sind, die Kommunikationsprobleme ihrer Kundschaft zu lösen.
Von der Hand in den Mund
Die Probleme könnten größer nicht sein. Es wird Zeit, dass sich die Medialeute wieder mit dem großen Bild beschäftigen, anstatt im Kleinklein ihrer KPIs zu versinken. Das große Bild nämlich zeigt uns das derzeitige Dilemma, in dem fast alle Marken stecken: Sie leben von der Hand in den Mund und eiern zwischen Promotion und Exekution. Grundlegendes wie Positionierung und Markenwert liegen brach.
Kaum eine Marke sagt mehr, wer sie ist, wofür sie steht, was sie unterscheidet und warum man sie kaufen soll. Spricht man darauf die Werber an, zucken sie mit den Achseln und geben Antworten wie "Das können immer weniger Leute" und "Das will kaum ein Kunde mehr bezahlen".
Also ist Media gefragt. Schließlich behaupten die Planer seit über einem Jahrzehnt, angebliche "Kommunikationsberater" zu sein. Doch sie verstecken sich heute mehr denn je hinter reiner Performance - und bald hinter Programmatic. Doch ein bisschen mehr Performance hat noch nie einen einzigen Marktanteilspunkt gewonnen. Noch mehr digitaler Content? Noch mehr Online? Nur weil es besser messbar ist? Davon gewinnt die Marke nicht an Boden. Das alleine baut keine Markenwerte auf. So ist die Mediaarbeit für die Marken kein Gewinn.
Note: Mangelhaft!
Daraus muss man schließen, dass die Media der Gegenwart ihre Aufgabe geradezu sträflich vernachlässigt. Sie verdient dafür die Note "mangelhaft". Sie hat sich in ihr Media-Silo zurückgezogen und rechnet und zählt irgendwas. Am liebsten versteckt sie es noch (ohne Namen nennen zu wollen) in einer Black Box, damit ja keiner sieht, welcher Unfug darin verborgen ist.
Wer hat für die Lösung der Markenprobleme eine Mediastrategie? Wo bleiben die Strategien, die Menschen erreichen, begeistern, bewegen? Zu sehen sind sie nicht. Zu schreiben, "Einfache Mediaplanung war einmal", ist keine Lösung.
Media neu erfinden
Media muss völlig neu erfunden werden. Die Branche befindet sich auf dem Holzweg. Die Daten, mit denen Media arbeitet - die Leserdaten, die GfK-Quoten, ja selbst die "Kontakte" und "Reichweiten" der digitalen Angebote und sozialen Netzwerke - geben noch weniger die Wirklichkeit wieder als noch vor zwanzig Jahren. Statt die Daten qualitativ aufzuwerten, einigte man sich auf Konventionen, die niemand wehtun. Zur Auswahl von Medien und Werbeträgern sind sie jedenfalls nicht geeignet. Selbst die medienübergreifende OWM-Wirkungsstudie ist kläglich gescheitert. Weniger am OWM selbst, eher an den Medien und Agenturen, die eine Vergleichswährung nicht wünschen.
So kann es unmöglich weitergehen. Schließlich bewegt die Branche zwischen Werbungtreibenden, Agenturen und Medien die stolze Summe von jährlich 25 Milliarden Euro.
Weg mit dem Datenmüll
Wenn die Daten so wertlos sind wie beschrieben, dann müssen wir sie vom Thron stoßen. Und zwar jetzt, bevor die Rechner von Xaxis, SAP & Co. die Verteilung der Werbegelder gänzlich übernehmen. ("Programmatisch" heißt übrigens laut Duden "richtungsweisend, einem Konzept folgend". Nur mal so.) Wir werden nicht umhinkommen, in dieser für Marken und Mediapläne existentiellen Frage ein sinnvolles Konzept zu entwickeln und ihm zu folgen (= "programmatisch") - statt einfach nur blind das zu tun, was gerade technisch möglich ist.
Also weg mit den Daten aus der Steinzeit. Her mit neuen, die uns ein realistisches Bild von der Wirklichkeit vermitteln. Ja, ich sagte "Bild". Ganz bewusst. Denn die Nachkommastelle, die der deutschen Gründlichkeit geschuldet ist, hat uns das ganze Dilemma eingebrockt.
Her mit Ideen. Mit mehr Kreativität. Her mit Konzepten. Strategien, die das Wort verdienen. Her mit Differenzierung. In fast allen werbenden Branchen, gleich ob FMCG, Kosmetik, Handel, Telekommunikation, Automobil oder Finanzdienstleistung, existiert der gleiche, gegenseitig abgekupferte, fast identische Media-Mix. Wie die Lemminge belegen alle Wettbewerber die gleichen Medien und fahren, quasi zur Krönung des Unsinns, auch den identischen (TV-) Werbedruck.
Ausbruch. Jetzt.
Nur wer aus diesem Media-Verlies ausbricht, nur wer sich out-of-the-box traut, hat Chancen auf einen Markterfolg, der über "Wir-haben-ein-Prozent-höhere-Klickraten-als-im-Vorjahr" hinausgeht. Alle großen Markterfolge bei Umsatz und Marktanteil beruhen auf einem kreativen Konzept, auf einer Strategie, die aus dem Einerlei ausbricht. Das steht in jedem Lehrbuch. Doch nur wenige halten sich daran. Und genau darin besteht die Chance: Wenn alle den gleichen Fehler begehen, ist Differenzierung einfach. Logisch?
Der Media-Mix der Zukunft heißt dann nicht, Print aus den Mediaplänen zu eliminieren. Nicht jedes Jahr mehr Geld in TV zu investieren. Nicht Online und Mobile um jeden Preis. Nicht abzuwarten, bis sich Out-of-Home vollständig digitalisiert hat. Nicht Kino zu diskreditieren, nur weil die höhere Wirkung eine höhere Investition erfordert. Und nicht Radio nur dann einzusetzen, wenn die nächste Preispromotion ansteht. Das alles langweilt zu Tode. Und es bringt keine Marke, keine Kampagne weiter.
Der Media-Mix der Zukunft ist für jede Marke individuell. Weil jede Marke vor einer ganz individuellen Situation steht und daher ganz eigene Ziele formuliert. Als es deutlich weniger Medien und Plattformen gab, war es schwierig, sich medial zu differenzieren. Aber mit der Auswahl, die den Mediaplanern heute zur Verfügung steht, ein Kinderspiel.
Es wird Zeit, den Holzweg zu verlassen. Er schimmelt bereits.