
Aigner: Verbraucher stürmen Lebensmittelklarheit.de
Den "Nerv der Verbraucher" treffe das von ihr gesponserte Portal, sagt die Verbraucherministerin Ilse Aigner in der 100-Tage -Bilanz.
Bis zu 20.000 Zugriffe in der Sekunde hatten das Verbraucherportal lebensmittelklarheit.de zum Start im Juli lahmgelegt. 100 Tage später bescheinigt Verbraucherministerin Ilse Aigner dem von ihr mit 775.000 Euro gesponserten Transparenzportal für Lebensmittel den "Nerv der Verbraucher getroffen" zu haben. In einem ersten Schritt werde man die Probleme sammeln und in einem zweiten Schritt prüfen, ob es auch Änderungsbedarf bei den rechtlichen Grundlagen, etwa beim Thema "Kennzeichnung" gebe, so die Ministerin.
3.800 Produktmeldungen von Menschen, die sich bei der Werbung, Kennzeichnung oder Verpackung von Produkten getäuscht fühlen, sind inzwischen eingegangen. 900 davon wurden von dem Redaktionsteam in der verantwortlichen Verbraucherzentrale Bundesverband (VBZV) und Verbraucherzentrale Hessen geprüft und an die Unternehmen zur Stellungnahme geschickt. Um die Anfragen schneller bearbeiten zu können, wurde das bisher vierköpfige Redaktionsteam um weitere vier Mitarbeiter aufgestockt.
Die Bearbeitung hinkt dem Ansturm hinterher. Nur 72 Produkte sind bisher mit Kommentar und Reaktion der Unternehmen eingestellt, davon 43 in der Rubrik "getäuscht". Vor allem die irreführende Verwendung von sogenannten "clean labels", die vorgebe ein Produkt sei "zuckerfrei", "ohne Konservierungsstoffe" oder "ohne Geschmacksverstärker", wird von den Verbrauchern kritisiert. Beispiel: ein Müsli wird als zuckerfrei beworben, obwohl es Zuckerstoffe in einer anderen Form zugesetzt hat. Oder: Die Verbraucher erwarten von einer "Kalbswiener", dass sie mindestens 50 Prozent Kalbfleisch enthält. Tatsächlich enthalten sind aber nur 15 Prozent, was bisher gesetzlich erlaubt ist.
Weil die Verbraucher das anders wollen, soll sich mit dieser Frage die Lebensmittelbuchkommission beschäftigen, verspricht die Ministerin. Doch das könnte ein zahnloser Tiger sein: Dort haben die Unternehmen bei Entscheidungen Blockaderecht.
Immerhin: 27 Hersteller haben als Reaktion auf das öffentliche soziale Verbrauchernetz bisher Aufmachung oder Bezeichnung ihrer Produkte geändert. Die ersten Erfahrungen zeigten, dass "einige Hersteller das Prinzip verstanden haben, dass es nur mit den Verbrauchern geht, die ihre Kunden sind," sagt Aigner.
Die Industrieverbände waren anfangs Sturm gelaufen gegen den vermeintlichen "Pranger". Doch es scheint sich etwas zu bewegen. Von Seiten der Unternehmen selbst gebe es inzwischen "weniger Widerstand als von deren Interessensverbänden", sagt VZBV-Vorstand Gerd Billen. Billen erklärt sich das so: "Die Unternehmen sehen das pragmatisch. Sie möchten ganz einfach zufriedene Kunden haben." Die Maxime dabei ist eigentlich simpel, wie der Wiener Wirtschaftspsychologe Arnd Florack in einem Interview mit der LZ formuliert hat: "Die Produkte müssen halten, was sie versprechen."