Die Neutralität gegenüber allen Marktteilnehmern - eine der Grundlagen des jetzigen Grosso-Systems - ließe sich so kaum mehr aufrechterhalten. Marktmächtige Verlage könnten einzelne Grossisten gegeneinander ausspielen und sich so zu günstigen Konditionen die besten Plätze im Kiosk sichern. "Wenn Verlage bilateral mit einzelnen Grossounternehmen verhandeln, ist die Neutralität ernsthaft gefährdet," fürchtet der Grosso-Vorsitzende Frank Nolte.

Kartellrechtler im Wirtschaftsministerium hatten früh davor gewarnt, Grundlagen des Grosso-Systems vor Gericht zu verhandeln. Denn es beruht auf kartellrechtlich geduldeten Absprachen zwischen Verlagen und dem Grosso. Zugrunde liegt die Annahme, dass in einem wettbewerbsfreien Vertriebsnetz die Überallerhältlichkeit und Vielfalt des Kulturgutes Presse am effizientesten gesichert werden kann. Rechtlich einklagbar ist das allerdings nicht.

Auf Appelle des Verlegerverbands VDZ, sich außergerichtlich zu einigen, hatte Bauer nicht reagiert. Dem Verlag, der den Verband Ende 2010 verlassen hat, geht es darum, entgegen des eingeübten Branchenkonsenses betriebswirtschaftliche Vorteile durchzusetzen. Damit gerät das politisch gewollte System ins Wanken.

Politiker aller Parteien haben sich deswegen bereits damit befasst, das Grosso-System im Notfall gesetzlich abzusichern. Die Verlegerverbände VDZ, BDZV und das Grosso wollen dazu einen Vorschlag für einen Gesetzestext in die derzeit laufende Kartellrechtsnovelle einbringen.


Autor: Judith Pfannenmüller

ist Korrespondentin für W&V in Berlin. Sie schaut gern hinter die Kulissen und stellt Zusammenhänge her. Sie liebt den ständigen Wandel, den rauhen Sound und die thematische Vielfalt in der Hauptstadt.