Berliner Radiomarkt: Ex-Omasender steigt auf
Die Verhältnisse unter den Berliner Mainstream-Radios drehen sich. Ex-Platzhirsch rs2 soff ab, die frühere Schlagerstation Spreeradio schwimmt obenauf.
Der Berliner Radiomarkt wurde schon oft, und nicht zu Unrecht, als Haifischbecken bezeichnet. Vor allem die Massengeschmack-Dudelfunker, im Fachjargon Adult Contemporary (AC) genannt, schenken sich nichts. Wer im fragmentierten und umkämpften Berliner Radiomarkt Fehler macht, oder gar mehrere, der wird dafür gnadenlos bestraft.
Wie tief man in wenigen Jahren stürzen oder aufsteigen kann, zeigt das Beispiel von rs2 und Spreeradio. Sechs Jahre ist es her, seit die damalige Dauer-Nummer-eins 94,3 rs2 ihren Morgenmoderator Jochen Trus zum damals als „angestaubten Oma-Sender“ geltenden Spreeradio ziehen ließ – und damit ihren unaufhaltsamen Abstieg einläutete.
Erst zog der Dauerkonkurrent um die Spitzenposition, 104,6 RTL, an rs2 vorbei. Weitere Sender folgten. Nervös wechselten die rs2-Gesellschafter die Geschäftsführer aus. Erst musste Stefan Hampe gehen, zwei Jahre später sein Nachfolger Marco Brandt. X-mal tauschte der Sender zudem in den vergangenen Jahren die Moderatoren der Morgenshow aus und schraubte am Konzept. Es ging immer weiter bergab.
Stattdessen schob sich das einst scheintote Spreeradio in Berlin auf Platz zwei – ein Platz, den der Sender noch nie inne hatte. Auch dank Morgenmann Jochen Trus, mit dem die Hörerzahl kontinuierlich wuchs. Das Image des Oldie-Kanals abzustreifen, dauerte etwas länger – doch es klappte. Nun gelang Spreeradio ein Quantensprung: Die Hörerzahl verdoppelte sich in der aktuellen Media-Analyse vom Sommer im Vergleich zum Vorjahr. Und nicht nur das: Mit 220 Minuten hören sie bei Spreeradio auch länger zu als bei allen anderen Radiosendern in Berlin. Selbst Konkurrenten erkennen neidlos an, dass Geschäftsführer Stephan Schmitter, der auch den Marktführer 104,6 RTL steuert, viel richtig gemacht hat.
Beispielsweise die Verpflichtung der richtigen Moderatoren: Mit dem Duo Jessica Witte-Winter und Fabian Meier investierte Schmitter 2009 in ein Nachmittagsprogramm. Bei den 30- bis 59-jährigen Hörern kommen auch die regelmäßigen Expertentipps gut an. So testet der von Vox und RTL-TV bekannte Heinz Horrmann regelmäßig Berliner Restaurants, für Filmtipps ist Hans-Ulrich Pönack (N24, Sat.1) zuständig, Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, empfiehlt Bücher. „Musik spielen können wir ja alle. Was den Unterschied ausmacht, sind die Inhalte, die man anbietet“, sagt Schmitter. Zudem trafen Events wie die Spreeradio-Vereinsolympiade – eine Art Spiel ohne Grenzen unter 50 Berliner Vereinen – mitten ins Herz der Zielgruppe und lockten bei den Konkurrenten Hörer weg.
Nun reagiert auch die Konkurrenz. Der Berliner Rundfunk stellte sich mit dem Morgen-Duo Simon Kober und Nicole von Wagner neu auf – Vorgänger Thomas Koschwitz ging zu RTL am Nachmittag – und verjüngte sich musikalisch. Christian Schalt, Geschäftsführer von rs2, will Kontinuität ins durchgerüttelte Senderprofil bringen. Flugs warb er Morgenmann Alexander Purucker aus Arno Müllers Morgenshow bei RTL ab. Purucker moderiert nun mit Katrin Schifelbein bei rs2 die Morningshow, Ex-Morgen-Talkerin Steffi Fiedler führt durch den Vormittag. „Konstanz hilft ungemein. Ein konstant falsches Programm zu machen, hilft allerdings auch nicht“, so Schalts Analyse. Mit Titeln von Rihanna, Lady Gaga oder Justin Timberlake verjüngte Schalt den Musikmix, um bei der werberelevanten Zielgruppe, etwa jungen Familien, wieder Raum zu gewinnen.
Ende August wird eine stark „echtzeit- und blogbasierte“ (Schalt) Website den derzeitigen Auftritt ablösen. Dann soll auch eine interaktive iPhone-App die Hörer als Reporter einspannen und für mehrkanalige Hörerbindung sorgen. Schalk ist überzeugt: „Die Anstrengungen wird man schon in der nächsten MA sehen.“