
Lesetipp:
Bernd Ziesemer: Native Advertising ist eine Gefahr
Die Medien klagen darüber, dass sie Leser verlieren. Bei einer Diskussion in Berlin plädierte Ex-"Handelsblatt"-Chef Ziesemer klar gegen Trends wie "Native Advertising".
Die Leser bleiben weg. Und alle Verleger und Redakteure fragen sich, wie man mit Journalismus noch die Rezipienten begeistern - und damit vielleicht sogar Geld verdienen - kann. Mit kaschierten Pressetexten schon einmal nicht, ist Bernd Ziesemer überzeugt. "Native Advertising ist die größte Gefahr, die es jemals für seriösen Journalismus gab", sagte der langjährige Chefredakteur des "Handelsblatts" auf der Podiumsdiskussion "Journalismus zwischen Content und Crowd". Eingeladen hatten die rheinland-pfälzische Staatsministerin Margit Conrad und der Mainzer Medien-Disput nach Berlin, die Debatte moderierte SWR-Chefreporter Thomas Leif. Der Nachrichtendienst Newsroom hat Ziesmers Rede "Wer ist King in der Content-Produktion?" im Original dokumentiert.
Darin warnt Ziesemer: "Eine Gefahr für unabhängige Medien entsteht erst dann, wenn sie anfangen, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Wenn aus Redaktionsangeboten selbst versteckte und verschwiemelte Content-Marketing-Angebote werden." Der Grund dafür ist gleich erklärt: "Was ist eigentlich Journalismus? News is what someone somewhere wants to supress - the rest is advertising (Übers.: Nachrichten sind das, was jemand anders lieber unterdrücken würde - der Rest ist Werbung). Dieser alte angelsächsische Spruch gilt heute mehr denn je", sagt Bernd Ziesemer. "Mein alter Freund und Kollege Arno Balzer hat kürzlich den schönen Spruch hinzugefügt: 'Recherchieren statt kuratieren'. Ich glaube er hat verdammt recht: Wir müssen als Journalisten wieder mehr übers Recherchieren und weniger übers Kuratieren von Nachrichten reden." Zunehmend werden aber Themen mehr verwaltet und betreut als selbst gefunden und gesetzt.
Die "neuen Vermarktungsmethoden" nennt Ziesemer "nicht nur journalistisch verwerflich, sondern letztlich auch ökonomisch erfolglos. Wer sich billig macht, um kurzfristig Geld zu verdienen, ruiniert mittelfristig seine eigene Geschäftsbasis. Kann mir irgendjemand auf dem heutigen Podium erklären, wieso Leser künftig Geld für Publikationen ausgeben sollen, die qualitativ immer schlechter werden und deren Inhalte zunehmend mit verdeckter Werbung aller Art durchmischt sind?" Denn das sei schließlich die Frage in der Medienkrise: Für welche journalistischen Inhalte wollen die Leser künftig noch Geld bezahlen.
Seine Schlussfolgerung: "Wenn sich Werbeinhalte im redaktionellen Umfeld wie journalistische Inhalte gerieren, verlieren letztlich beide Seiten: Die Medien ihre Unabhängigkeit und damit ihre eigentliche gesellschaftliche und ökonomische Daseinsberechtigung - und die beteiligten Unternehmen ihre Reputation. Um ein Bild aus der Biologie zu gebrauchen: Der Parasit bringt am Ende sein eigenes Wirtstier um. Medien berichten unabhängig - oder sie hören auf, Medien zu sein."
Crowdfunding ist für Bernd Ziesemer nicht die Lösung; er glaubt nicht daran, dass daraus "eine neue Ökonomie breitflächiger journalistischer Angebote entstehen kann." Allerdings könnten "Projekte wie die Krautreporter als Seismografen dienen, was Menschen künftig von Journalisten erwarten. Und was ihnen Journalismus wert ist. Deshalb wäre es gut, wenn es mehr solche Projekte gäbe - zum Beispiel im Wirtschaftsjournalismus", sagte Ziesemer in Berlin.
Das allgegenwärtige Modewort "Content" erklärt der Journalist kurz mit "das sind alle Inhalte, die uns umgeben", 95 Prozent davon seien im Web jederzeit und weltweit frei verfügbar. "Nur ein Bruchteil dieses Contents verdankt seine Entstehung Journalisten – und nur ein Bruchteil dieses Bruchteils stammt aus klassischen Verlagen und Medienhäusern", fasst er zusammen. Und da Marketing sich heute mehr und mehr aufs Digitale verlagere und sogar Journalisten anheuere, um eigene Inhalte zu produzieren, nehme der reine Journalismus, "die professionelle, unabhängige Beobachtung des Geschehens um uns herum mit dem Ziel, Nachrichten und interessante Geschichten aus der Wirklichkeit herauszufiltern und schreiberisch für Medien aller Art zu verarbeiten", anteilig immer mehr ab. Denn ein journalistisches Monopol auf die Nachrichtenvermittlung gebe es heute nicht mehr.
Auch die Chefredakteurs-Personalkarussells der letzten Tage waren dem Ex-Chefredakteur eine Anmerkung wert: "Ich bin ein Ex! Da ich neun Jahre lang Chefredakteur einer überregionalen Tageszeitung war, aber es nicht mehr bin, rangiere ich in der aktuellen Mediendebatte stets unter dieser Vorsilbe: Ex! Und gehöre damit zu einer schnell wachsenden Zielgruppe – 'Wirtschaftswoche', 'Stern', 'Focus' – wie die letzten Wochen gezeigt haben." (ots)