Moment, das Auto muss also als Statussymbol herhalten. Aber es kann sich doch nicht jeder das Auto leisten, das dem Status, den er vorgeben möchte, auch entspricht …

Nein, es geht nicht um ein Statussymbol. Man will ein bestimmtes Bild von sich erzeugen …

… was aber manchmal nicht geht, weil das Kleingeld fehlt.

Da könnte ich mich richtig aufregen. Gutes Design ist überhaupt keine Frage des Budgets. Es gibt günstige Autos, die toll aussehen, und sehr teure Autos, die mir überhaupt nicht gefallen …

Ja?

Da werde ich Ihnen jetzt keine Beispiele nennen …

Versuchen wir es anders – und bleiben wir dabei: Nicht immer kann ich mir das Auto kaufen, das ich toll finde. Präferenz und Kaufentscheidung klaffen mitunter auseinander. Wie soll der Konsument damit umgehen, wenn Design unerfüllbare Begehrlichkeiten weckt?

Es gibt einen Mechanismus in uns, der uns das „Erreichbare“ schönredet. Mir gefällt dann eben auch das Auto, das ich mir kaufe, weil es irgendwie doch zu mir, zu meinen Umständen passt. Es ist wie in Beziehungen: Männer träumen von Angelina Jolie, Frauen von George Clooney, aber nur die wenigsten würden in der Realität einen Partner wählen, der so ganz anders rüberkommt als sie selbst.

Das haben Sie galant formuliert. Aber dann gibt es so ein Auto wie den Golf, der einfach allen gefällt und den auch jeder fährt, egal welcher Provenienz. Wie geht das? Haben in dem Fall die Designer alles richtig gemacht?

Es ist natürlich ein unausgesprochenes Diktat der Autohersteller an das Design, dass ein Auto möglichst vielen gefallen soll. Schließlich soll sich ein Auto vor allem möglichst gut verkaufen. Und das ist für mich als Designer absolut okay so. In der Tat gefällt der Golf vielen und vor allem sehr unterschiedlichen Menschen – weil man sehr viel hineininterpretieren kann: Der junge Mann least unter Verzicht auf andere Dinge einen Golf GTI, weil er weiß, dass er dann der Chef im Revier ist, die betuchte Mittvierzigerin kauft das gleiche Auto cash, weil sie es einfach schick findet, wie ein Accessoire. Übrigens planen Männer für den Autokauf einen größeren Teil ihres Gesamtbudgets ein, als es Frauen bereit sind zu tun.

Junge Leute stehen ja gar nicht mehr so auf Autos zum Leidwesen der Autoindustrie. Kann da Design noch etwas retten?

Ich denke schon. Bei dem Thema müssen wir auch stark zwischen Stadt und Land differenzieren. Auf dem Land haben Autos für die junge Zielgruppe noch immer eine große Bedeutung und sind zwingend notwendig, um von A nach B zu kommen. Allerdings ist ein Autokauf heute kein Ereignis mehr, so wie es etwa in meiner Jugend war. Das war ein regelrechter Familien-Event, sehr emotional. Die Jugendlichen heute sind gewohnt, dass das Auto immer zur Verfügung steht, es gehört zum normalen Alltagsinventar. Aber gerade das Design könnte mit neuen Mobilitätskonzepten hier entgegensteuern. Der Twizy von Renault, so ein ganz anderes Auto, kommt dem schon nahe. Autos müssten für die junge Zielgruppe ein regelrechtes Must-Have werden – am besten müsste Apple ein Auto bauen.

Wie ist das eigentlich, wenn man als Designer immer wieder neue wunderbare Ideen hat – und dann kommen die ganzen Spaßbremsen aus Marketing, dem Controlling, der Vorstandsebene, abgesehen von den Einschränkungen der gesetzlichen Sicherheitsvorgaben? Können Sie Ihre Designideen noch wirklich durchsetzen?

In der Tat gibt es oftmals für die Autodesigner nur noch wenig Spielraum für Interpretationen wegen aller möglichen Vorgaben, erst recht, wenn man an der Weiterentwicklung eines Serienautos arbeitet. Was die Sicherheitsvorschriften angeht – die sind äußerst sinnvoll: Die Stoßstange muss auf einer bestimmten Höhe sein, der Abstrahlwinkel muss so und so liegen et cetera. Aber gerade diese Herausforderungen machen unseren Job auch so interessant. Etwas schwieriger ist es mit anderen Vorgaben. Einmal sprechen oftmals die Techniker mehr mit als die Designer. Und was die Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines neuen Modells auch nicht leichter macht, ist, dass vom Marketing oder anderen Abteilungen im Vorfeld jede Menge getestet wird, was der potenzielle Autokäufer so alles will. Dabei gewinnt auch Social Media immer mehr Einfluss. Das Problem ist, dass all diese Erkenntnisse das Jetzt betreffen. Das Auto aber, das wir „jetzt“ planen, kommt erst in fünf Jahren auf den Markt, die Entwicklung ist eben sehr langwierig – und da kann sich jede Menge in den Einstellungen der Konsumenten gewandelt haben. Diese Schranken tun der Autobranche nicht gut.

Aber wenn sich das Auto dann nicht verkauft, sind nicht die überholten Prognosen, sondern das Design schuld, oder?

Ja, das wird einem Designer gern vorgeworfen. Und irgendwie ist auch etwas Wahres dran. Das Design ist mit einer der mächtigsten Faktoren im Kaufentscheidungsprozess. Zumal sich ein Kunde ja in einem Bruchteil von Sekunden entscheidet, ob ihm ein Auto gefällt oder nicht. Gerade deswegen ist es mir auch ein Anliegen, dass in den Planungen und Verhandlungen aller möglichen Abteilungen rund um ein neues Auto die Designer und ihre Vorstellungen Gewicht haben.  

Bereiten Sie an Ihrem Lehrstuhl an der Hochschule Pforzheim die Designstudenten bei aller Ästhetik auch auf diese vergleichsweise raue Realität vor?

Ja, das tun wir. Wir machen auch immer deutlich, dass ein Auto kein l’Art-pour-l’Art-Produkt ist, sondern sich verkaufen muss. Und da sprechen eben viele Menschen mit. Übrigens gibt es bei uns im kommenden Semester erstmals ein Projekt, das den Einfluss von Social Media auf die Designentwicklung zum Thema hat.

Woran machen Sie dann fest, wie ein Auto aussehen muss, um sich zu verkaufen? In den späten 50er-Jahren etwa waren die immer größeren Heckflossen der noch dazu knallbonbonfarbenen „Amischlitten“ Ausdruck einer Wende hin zur konsumorientierten Gesellschaft. Ist also Design Abbild des Zeitgeists?

Sicher drückt Autodesign Lebensgefühl aus. Die „Amischlitten“ mussten darüber hinaus wettmachen, dass in ihnen noch Vorkriegstechnik steckte. Ihre Optik aber sollte Parallelen ziehen zu faszinierenden Entwicklungen wie etwa der Raumfahrttechnik. Es war deutlich mehr Schein als Sein …

Und heute? Was kann man da an den Autos ablesen?

Momentan leben wir in einer sehr konservativen Zeit, das hat sich nach dem Mauerfall noch gefestigt. Es gibt keine wirklichen Revolutionen. Die Autos sind vom Volumen immer größer geworden. Das ist aber nicht von den Designern betrieben worden. Es liegt eher daran, dass mehr Volumen mehr Sicherheit gibt, aber auch, weil man sofort PR bekommt, wenn man beim Folgemodell mit einem noch etwas größeren Kofferraum dagegen hält. Aber um noch mal auf die vorige Frage nach der Inspiration zurückzukommen: Jeder Designer ist ein Kind des Zeitgeists und nimmt viele, viele unterschiedliche Strömungen auf. Über Social Media ist es für uns leichter geworden, uns auch international auszutauschen, zu inspirieren. Ich zum Beispiel liebe den kleinen Blog lecontainer-blog.de, wo ein paar verrückte Renault-Designer Fotos zu allem Erdenklichen sammeln, Autos, viel Architektur – das bringt mich auf Ideen.

Wenn Design verkaufen muss – wie finden Sie in dem Zusammenhang den neuen Elektro-BMW, den i3. Schafft er das?

Der i3 ist ein sehr wichtiges Experiment. BMW beweist damit viel Mut, zumal gegenwärtig in der eher gesättigten Automobilbranche keine Stimmung für Veränderungen herrscht. Das Design signalisiert, dass etwas anders ist als bei herkömmlichen BMWs, in Volumen, Proportion und vielen Details wie der Seitenlinie, aber es sagt auch ganz klar, dass es sich – gucken Sie auf die vertraute Niere am Kühler – immer noch um einen BMW handelt. Wenn Sie im Markt der Elektroautos wirklich etwas bewegen wollen, dürfen die Autokäufer auf keinen Fall das Gefühl haben, dass ihr E-Auto anderen Autos in der Attraktivität hinterherhinkt. Im Gegenteil. Ich denke, das BMW-Experiment wird Signalwirkung auf die Branche haben.

Sie gelten als der deutsche Papst unter den Autodesignern …

Ist das nicht ein wenig dick aufgetragen? Den Segen „Urbi et Audi“ habe ich jedenfalls noch nie erteilt …

Was macht einen „echten Fügener“ aus? Müsste man da ein Auto kennen?

Ein Auto, das ich vollständig entworfen  habe, ist der Sportwagen Melkus RS 2000 – ein Flügeltürer. Leider ist die Rennsportsparte von Melkus 2012 in Insolvenz gegangen …

Und das Design war schuld?

Ich hoffe nicht, das hatte andere Gründe. Ich arbeite gerade wieder an einem besonderen Auto, aber das wird erst nächstes Jahr spruchreif.

Also schlägt Ihr Herz doch auch für die große kreative Freiheit?

Natürlich ist es schön, frei zu denken. Aber ich entwerfe auch Busse und Straßenbahnen. Und wenn ich dann in einem dieser Verkehrsmittel sitze und sehe, dass die Menschen die Dinge, die ich gestaltet habe, genauso annehmen und nutzen, wie ich es mir vorgestellt habe, mein Design also funktioniert, dann ist das schon eine sehr schöne Befriedigung.

Das Interview mit Lutz Fügener erschien im großen W&V Extra über die "Automobil-Trends zur IAA 2013". Wenn Sie mehr wissen wollen über die Zukunft des vernetzten Autos, die wahren Wünsche automobiler Zielgruppen oder die Wirkung eines starken Markenerbes: W&V Extra blickt hinter die IAA-Trendthemen - in der aktuellen Ausgabe von Werben & Verkaufen (Nr. 37), die am 9. September erschien. 

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