Eigentlich ist das nicht mal eine Überraschung, sondern die logische Entwicklung aus einer sich beschleunigenden Marketingkommunikationsspirale, die sich über Jahrzehnte aufgebaut hat.

Denn je größer Unternehmen und Marken wurden, egal ob durch organisches Wachstum oder Zusammenschlüsse, desto mehr verlernten sie, mit ihren Kunden zu kommunizieren. Immer größer wurden die zu bedienende Käuferzahlen, so dass die individuelle Betreuung von Kundenanliegen und -wünschen nicht mehr handhabbar war. Folge: Die Unternehmen konzentrierten sich auf das Senden von Markenbotschaften über Massenmedien. Anschließend redeten sie sich ein (gern gestützt durch eine interne Marktforschung, die als Vorgabe erhielt, dass seine Kampagne "ein Erfolg werden muss") jeder Konsument aus der Print-Reichweite oder TV-Einschaltquote habe ihre Werbung inhaliert und sei berauscht zum Point of Sale gehastet. 

Und was war und ist mit jenen Menschen, die tatsächlich ein Anliegen haben? Ihnen blieb die Hotline: ein Biotop der schlecht Bezahlten und mies Behandelten, die anhand eines vorgefertigten Ablaufplans versuchen, den Anrufer möglichst schnellt von der Leitung zu bekommen. Dass Call Center so sind, weiß heute jedermann. Wer ruft trotzdem noch dort an? Jene, die wütend, verzweifelt und/oder dumm genug sind. Gleichzeitig ist dies für viele Unternehmen der einzige Rückkanal zum Verbraucher, weshalb Entscheider glauben, all die Käufer ihrer Produkte seien ihnen feindlich gesonnen.

Dann tauchte Social Media auf, einst noch "Web 2.0" genannt. Mit einem Mal sollten Unternehmen (oder ihre Dienstleister) täglich mit ihren Kunden reden. Wie das geht – hatten sie vergessen. Das Ergebnis war oft erbärmlich. "Hallo ihr Schnuffis - wie war Euer Wochenende?" (versehen mit einer Smiley-Zwinkerfresse) gehörte in den Bereich der überdurchschnittlich intellektuellen Postings der Jahre 2009 und 2010. 

Das konnte nicht gut gehen, erst recht nicht, als Facebook den Newsfeed immer stärker nach Engagement zu filtern begann.

Die sinkenden Reichweiten führten vor rund vier Jahren zu der Erkenntnis, dass die Konversation mit der Zielgruppe Gesprächsanlässe und -inhalte benötigt: die Geburt des Content Marketing. Bald stürzten sich Werbetreibende wie Dienstleister alle auf diese Vokabel – meist, ohne sie zu definieren.Vor allem die Anbieter von Corporate Publishing witterten fette Beute und ernannten sich zu den Marktführern des Content Marketing. Dabei ist ihr Geschäft das exakte Gegenteil von Content Marketing: Letzteres erfordert eine exakte und möglichst granulare Definition der zu erreichenden Zielgruppen. Corporate Publishing dagegen will vor allem vorhandene Kunden mit breitflächig angelegten Inhalten erreichen. Man kann sogar sagen:Corporate Publishing muss sich Content Marketing unterordnen. 

Die nötige Parzellierung der aktuellen Kunden und Hoffentlich-bald-Kunden ist eine große Herausforderung. Denn die Digitalisierung hat soziodemographische Faktoren immer unwichtiger gemacht. Wir leben in einer Zeit, in der Eltern und Kinder sich eine iTunes-Bibliothek teilen und gemeinsam "Game of Thrones" schauen; in der 50-Jährige Skateboard und 16-Jährige Auto fahren; nach dem Abitur (mit 17) nicht mehr das Interrail-Ticket sondern der Asien-Trip lockt; Senioren bei McDonald’s speisen während Studenten das niedertemperaturgegarte Wagyu-Filet beim Streetfood-Festival anhimmeln – und kaufen. Die alte Segmentierung der Gesellschaft nach Alter, Geschlecht und Sinus-Milleu muss an diesen Verschiebungen scheitern.

Gefragt ist nun eine Filterung nach Interessen sowie die Ansprache der zugehörigen Communities. Und hier wird es anstrengend. 

Denn wer sich in ein bestimmtes Gebiet vertieft wird Teil der zugehörigen Community mit einer ganz eigenen Sprache und Kodifikation. Das ist nicht neu: Der befreundete Lehrer versteht auch nur Bahnhof, verfällt der konzernige Product Manager in denglischen Marketing-Slang. Marken, die mit Inhalten eine solche Community erreichen wollen, sind meist überfordert. Sie beherrschen die Tonalität einzelner Interessensbereiche, doch (handelt es sich um Massenprodukte) bei weitem nicht die sämtlicher Zielgruppen. 

Der Einkauf von Know-how in Form von Mitarbeitern ist eine Option – doch sie ist teuer. Wirtschaftlicher ist die Zusammenarbeit mit digitalen Influencern, die in spezifischen Segmenten der Gesellschaft Multiplikatoren sind: Youtuber, beispielsweise, Blogger oder Podcaster. Dabei genießen Youtuber einen gehörigen Vorsprung: Netzwerke wie Mediakraft ermöglichen eine effizientere Ansprache und Abwicklung – dies fehlt vor allem in der Blogosphäre.

Deshalb auch ist Krise bei Mediakraft keine Szene-Käbbelei: Entschließen sich die reichweitenstarken Youtuber, künftig ohne Vermarkter aktiv zu werden, droht weniger bekannten Videomachern, vor allem denen, die erst am Anfang stehen, ein Finanzierungsproblem. Denn die Markenverantwortlichen werden nicht ein, zwei Dutzend Youtuber ansprechen, recherchieren, anschreiben und dann mit ihnen Preise aushandeln. Sie werden sich dann auf die großen Namen konzentrieren. 

Dies aber ist noch Zukunftmusik. Für das laufende Jahr sollten Marketers sich dringend mit Influencer Marketing beschäftigen – und die Titelgeschichte der W&V noch einmal intensiv nachlesen. 

* Thomas Knüwer ist Gründer der digitalen Strategieberatung Kpunktnull, Autor des Medien- und Marketingblogs Indiskretion Ehrensache und des Reise- und Gourmetblogs Gotorio.

Was bei Mediakraft schief gelaufen ist und was man daraus lernen kann, lesen Sie in der Titelgeschichte von W&V 4/2015. Hier geht's zur Einzelheftbestellung.