
Spiegel-Interview:
Edathy-Kommunikation: "Facebook als alleiniges Krisen-Instrument ist falsch"
Im aktuellen "Spiegel" gibt der untergetauchte SPD-Politiker Sebastian Edathy ein langes Interview. "Längst überfällig" findet Krisen-Kommunikationsexperte Christian Maertin im Interview mit W&V-Online. Aber was Facebook betrifft, hat Edathy seiner Meinung nach einiges falsch gemacht.
Im aktuellen "Spiegel" gibt der untergetauchte SPD-Politiker Sebastian Edathy ein langes Interview zu den Pädophilie-Vorwürfen gegen ihn. Die Reaktion im Netz ist gespalten. Der Krisen-Kommunikationsexperten Christian Maertin von Siccma Media in Köln sieht dessen Stellungnahme aber als "mehr als überfällig". Trotzdem sieht er viele Fehler in der Krisen-Kommunikation des Politikers.Besonders, was Facebook betrifft.
W&V Online: Der Vorwurf der Pädophilie ist ein kommunikativer Supergau. Kaum ein Thema, das einen Ruf gründlicher ruinieren kann. Ist es da nicht besser in Würde zu schweigen und weiter abgetaucht zu bleiben?
Christian Maertin: Nein, auf keinen Fall! Egal, welcher Taten man beschuldigt wird, aus kommunikativer Sicht ist es immens wichtig, von Anfang an daran zu arbeiten, mit der eigenen Meinung und den eigenen Aussagen in den Medien vertreten zu sein. Die Stellungnahme von Herrn Edathy ist daher mehr als überfällig. Denn bislang hatte er selbst kommunikativ überhaupt nichts zur Aufklärung beigetragen, sondern sich nur via Anwalt und Facebook über andere beschwert.
Was ist mit einem solchen späten Interview überhaupt gewonnen? Die Deutungshoheit ja wohl nicht mehr?
Nein, die Deutungshoheit haben nach Edathys langem Schweigen natürlich längst andere übernommen. Genau dieses Schweigen hat ja erst dazu geführt, dass die Situation derartig eskaliert ist. Wer zu Vorwürfen keine klare Stellung bezieht, öffnet natürlich Spekulationen Tür und Tor. Trotzdem trägt das Interview – wenn auch sehr spät - in einigen Punkten zur Aufklärung bei. Eine Reihe von Aussagen hätte ich allerdings anders formuliert.
Welche Aussagen beurteilen Sie in dieser Krisen-Kommunikation als kritisch?
Wer mit dem Rücken zur Wand steht, sollte eine solche Gelegenheit einerseits nutzen um aufzuklären, andererseits aber auch um ein Stück weit auf die Kritiker zuzugehen. Letzteres tut Herr Edathy nur mit einem einzigen Satz: "Wenn jemand sagt, ich finde das nicht gut, kann ich das verstehen." Der Rest besteht maßgeblich aus Vorwürfen gegen die Staatsanwaltschaft und seine eigene Partei. Ich sage nicht, dass diese Vorwürfe unberechtigt sind, aber die Gewichtung ist falsch. Den Kauf von Bildern nackter Kinder mit der langen Tradition von Aktmalerei zu vergleichen, halte ich darüber hinaus für sehr gewagt.
Auf der Facebook-Seite von Herrn Edathy gibt es noch jede Menge Fotos von ihm in Kindergärten/mit Jugendlichen etc. Wie sinnvoll erachten Sie es, diese Facebook-Seite noch weiter zu unterhalten?
Ich halte es grundsätzlich für wenig sinnvoll, in einer Krise wie dieser praktisch ausschließlich auf das Instrument Facebook zu setzen. Das ist der Kardinalfehler, der in fast allen Krisenkommunikationsfällen - von Christian Wulff über Uli Hoeneß und Alice Schwarzer bis hin zum ADAC – zu erkennen ist: Es handelt sich fast immer um erfolgreiche Menschen, Organisationen oder Unternehmen, die sich über viele Jahre positiv in den Medien vermarktet haben. In schweren Stürmen erweist sich die eigene Kommunikation aber plötzlich als größte Schwachstelle. Wären zeitnah auch professionelle Kommunikationsberater engagiert worden, wäre keiner dieser Fälle derart eskaliert.
Wie sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang auch von Herrn Edathy, eine missglückte Kommunikation mit der "Bild"-Zeitung über Facebook zu streuen?
Wichtig wäre gewesen, eine wirklich durchdachte Kommunikationsstrategie zu entwickeln, anstatt sich mit Medien und der Öffentlichkeit über Facebook auszutauschen.
Welche Lehren lassen sich prinzipiell für das Eigenmarketing in Krisensituationen daraus ziehen – muss ein Politiker/Promi wirklich immer in die Medien-Offensive gehen?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber für viele Menschen ist die Öffentlichkeit ja das Kapital von dem sie leben. Jeder der sich dafür entscheidet, sollte sich immer bewusst sein, dass der Aufzug bei "Bild", "Bunte" & Co. eben nicht nur nach oben, sondern sehr häufig und unerwartet auch nach unten fährt.
Handeln die Medien angemessen bei diesem Thema? Immerhin beruft sich Edathy auf sein Recht auf Privatsphäre.
Herr Edathy zieht sich immer konsequent auf die rechtliche Beurteilung seines Falls zurück. Es gibt aber auch eine moralische Dimension – und die blendet er konsequent aus. Für Prominente gilt das Recht auf den Schutz der Privatsphäre eben nur eingeschränkt - ansonsten wären Bild, Bunte, Gala und so weiter immer nur halb so dick. Dies gilt umso mehr für Politiker, die vom Volk gewählt sind und von denen die Wähler erwarten, dass sie nicht nur formaljuristisch, sondern auch moralisch in ihrem Privatleben ein Vorbild sind.