
Dieselgate:
Hallo, Volkswagen! Ist da jemand?
"Tote Hose und keine Ahnung": So fasst W&V-Blogger Thomas Koch die Kommunikationsstrategie von Volkswagen zusammen. Warum die Krise auch auf Marketing und Werbung übergreift. Und was jetzt passieren muss.

Foto: Medientage München.
"Tote Hose und keine Ahnung": So fasst W&V-Blogger Thomas Koch* die Kommunikationsstrategie von Volkswagen zusammen. Warum die Krise auch auf Marketing und Werbung übergreift. Und was jetzt passieren muss.
Dank Volkswagen erleben wir das wohl spektakulärste Desaster, das einem deutschen Unternehmen, ja womöglich der gesamten, deutschen "Made in Germany"-Wirtschaft je widerfahren ist. Die Ausmaße und Konsequenzen sind selbst eine Woche nach Veröffentlichung der Vorwürfe gegen den größten Automobilkonzern der Welt noch lange nicht abzusehen.
Es gibt niemanden, der darüber nicht entsetzt ist. Es ist jedoch mehr als reines Entsetzen: Wir schämen uns. Auch wir Werber sollten uns schämen. Denn aus Sicht der Kommunikationsbranche ist #dieselgate eine einzige Katastrophe. Werblich tönte es "Clean Diesel" aus Wolfsburg auf allen Kanälen, während im Hintergrund der wohl größte Betrug, der jemals an den Verbrauchern weltweit begangen wurde, seinen Lauf nahm. Damit wird auch die Werbung zu einem Handlanger des Betrugs. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Konsumenten der Werbung nicht glauben. Sie haben es zu oft erlebt.
Die nächste Katastrophe ist die nicht vorhandene Krisen-Kommunikation der Wolfsburger. Nachdem Martin Winterkorn den Betrug zwangsläufig zugeben musste, veröffentlichte man eine Video-Botschaft, die grottenschlechter nicht hätte ausfallen können. Ok, dem Mann fehlt jedes Charisma und jeder Charme, aber das Video zeigt auch auf peinlichste Weise, wie ungern Volkswagen mit der Öffentlichkeit und seinen Kunden redet. Selten hat man einen Großkonzern erlebt, der so unbeholfen agiert.
Natürlich war es richtig, die Diesel-Werbung zu stoppen und Websites, die das hohe Lied auf die Dreckschleudern sangen, zu löschen. Aber alles löschen, ohne dies durch neue Kommunikation zu ersetzen? Nein. Das geht nicht.
Sicher war ich nicht der Einzige, der nach Auslösung des Tsunami-haften Debakels fest mit einer ganzseitigen Anzeige in allen Zeitungen rechnete - mit einer öffentlichen Entschuldigung für dieses in der deutschen Automobilwirtschaft einzigartige Fehlverhalten. Auch das blieb aus. In Wolfsburg ist man tatsächlich nicht gewohnt, mit seinen Kunden zu reden. In Zeiten digitaler und Social Medien ein geradezu weltfremdes, kafkaeskes Verhalten. Im digitalen Zeitalter ist Volkswagen definitiv nie angekommen.
In den darauffolgenden Tagen wiederholte sich das Spiel. Mühsam mussten Journalisten recherchieren und dem verschlossenen Konzern jedes Detail aus der Nase ziehen. Von einer offensiven Kommunikation Volkswagens keine Spur.
Eine derartige Krise, die man gewiss schwerlich zuvor proben kann, erfordert Kommunikation. Zusammen mit Vorstand und Marketing sind es die PR- und Werbe-Profis, die noch retten können, was zu retten ist. Daher ist falsch, was der geschätzte Kollege Markus Biermann im W&V-Interview empfiehlt: "Alles stoppen und die Klappe halten." Das genaue Gegenteil ist richtig. Augenblicklich müsste ein Kommunikations-Feuerwerk gezündet werden, um zu verhindern, dass das letzte bisschen Vertrauen in die Marke verloren geht.
Tote Hose und keine Ahnung
Stattdessen tote Hose. Was passiert, ist vorhersehbar: Mit jedem täglich neuen Detail, das ans Tageslicht gefördert wird, steigt die Wut der Menschen. Während man in diesen Tagen nach und nach die 2,8 Millionen deutschen Diesel-PKWs der Marken VW, Audi, Seat und Skoda überholt, denkt man über jeden ihrer Fahrer: Wieder einer dieser armseligen Hinters-Licht-Geführten. Wieder einer, der unsere Luft unabsichtlich verpestet, weil er der Werbung des Volkswagen-Konzerns auf den Leim ging.
Warte. Der Werbung? Die kann doch nichts dafür! Die Betrüger sitzen doch in der Entwicklungsabteilung, in der IT, in der Softwareentwicklung. Das mag stimmen, aber die Menschen werden auch Marketing und Werbung dafür verantwortlich machen. Dafür, dass sie wieder einmal keine Ahnung hatten, ob das Produkt wirklich hält, was es verspricht.
Damit hat Volkswagen nicht nur den Ruf der deutschen Automobilhersteller und den der gesamten deutschen Industrie nachhaltig beschädigt, sondern auch unseren gleich mit. Man spricht dabei von einem Bärendienst. Danke dafür, Volkswagen.
Wenn wir den ohnehin bereits hinlänglich strapazierten Ruf der deutschen Werbung retten wollen, muss Volkswagen handeln. Es muss eine Kampagne her. Sofort. Eine, die den Namen "Kampagne" wirklich verdient. PR, Werbung - analog, digital - Social, die ganze Bandbreite. Eine offensive und intelligente Initiative, die die Glaubwürdigkeit der ehemaligen Marken-Ikone Volkswagen wiederherstellt. Vertrauen, schreibt Michael Reidel zum Thema, "kann man über Nacht zerstören, die Wiederherstellung aber dauert Jahre."
Was ist, Volkswagen? Hört ihr noch zu? Seid ihr noch wach? Während diese Zeilen nachts um zwei entstehen und ich mich echauffiere, liegen die Vorstände von Volkswagen, Ihre Marketingverantwortlichen, ihre Werber und PRler wahrscheinlich schon längst im Bett. Dann schlaft gut. Aber wundert euch nicht, wenn die Marke VW baden geht. Schuld daran hatten nicht nur die Software-Betrüger. Eine Mitschuld trägt jeder von euch. Gute Nacht, Volkswagen.
* Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, "Wirtschaftswoche"-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt für W&V. Er ist "Mr. Media".