
WDR:
Katastrophen-Brennpunkt: "Wir wollen nicht spekulieren, aber ..."
Der ARD-Brennpunkt zum Germanwings-Absturz in Frankreich sei spekulativ gewesen und übermäßig in die Länge gezogen, wird in Sozialen Medien moniert. WDR-Vize-Chefredakteur Udo Grätz nimmt dazu Stellung.

Foto: WDR / Sachs
Seit 1971 gibt es den ARD-Brennpunkt, und ob einer gesendet wird, entscheidet die ARD-Chefredakteursrunde. Der Maßstab dafür ist der Nachrichten- und Gesprächswert eines Ereignisses. Der 150 Tote fordernde Absturz einer Germanwings-Maschine am Dienstag in Frankreich war mit Sicherheit so ein Ereignis. In Sozialen Medien kritisiert wurde allerdings der teilweise spekulative Charakter der Sendung vom Dienstag. Moderatorin Ellen Ehni sagte darin: "Heute ist der Tag der Trauer und des Gedenkens an die Opfer. Es soll nicht der Tag der Spekulation über die Unfallursache sein."
Spekuliert wurde dann dennoch. Darüber, dass die Auswertung des Flugschreibers bald vorliegen werde. Oder dass "womöglich" die ersten Leichen schon bald geborgen, "wohl" in einer Schulhalle aufgebahrt werden und "womöglich" von den Angehörigen ein letztes Mal angesehen werden können.
Weiter wollte Ehni von WDR-Luftfahrtexperte Horst Kläuser wissen, was denn im Cockpit ablaufen hätte können und was denn die Besatzung versucht haben könnte. Sind solche Spekulativfragen journalistisch zielführend? Eher nicht. Wenigstens Teile des Publikums wünschen sich weniger Berichterstattung, solange die Fakten unklar sind.
Wer sagt Journalisten, dass es manchmal die beste Entscheidung ist, nicht zu berichten?
— Sascha Stoltenow (@BendlerBlogger) 25. März 2015
Bitte nur Fakten, Emotionen habe ich selber. #4U9525
— Stephan Maus ✏ (@stephanmaus) 25. März 2015
Wenn Journalisten so weiter machen, freut es die Werber. Nie mehr am Ende der glaubwürdigsten Jobs-Liste. #PageviewJournalismus
— Kai Thrun (@KaiThrun) 25. März 2015
Auf Anfrage nimmt Udo Grätz, stellvertretender Chefredakteur des WDR, Stellung: "Gerade wenn die Faktenlage und die Ursachen noch sehr unklar sind, stellen sich viele Fragen. Diese zu erörtern, gehört zu unserer journalistischen Aufgabe an einem solchen Tag, der wir mit großer Sorgfalt nachgekommen sind. Alle Reporter kennen die Richtlinien unserer Berichterstattung genau. Spekulation heißt: auf bloßen Annahmen, Mutmaßungen beruhende Erwartungen aufbauen, und die Behauptung aufstellen, dass etwas eintrifft. Genau das haben wir nicht getan. Einen Flugexperten zu fragen, welche Handlungsabläufe von Piloten eingeübt sind, sehen wir keineswegs als Spekulation."
Ob in den WDR-Brennpunkten der letzten beiden Tage die Moderatoren oder ihre Gesprächspartner öfters gesagt haben, nicht über eine bestimmte Frage spekulieren zu wollen, um dann doch ein bisschen darüber zu spekulieren, ist schwierig zu entscheiden. Scheinbar ernst genommen wurde der Schutz der Opfer und ihrer Angehörigen. Vor der Schule in Haltern am See, die eine ganze Klasse verloren hatte, waren die Reporter wie unkontrollierbare Gaffer mit einem rotweißem Absperrband von den Trauernden abgegrenzt. Udo Grätz sagt: "Wir haben keine Angehörigen gezeigt, werden das ohne ihre Zustimmung auch nicht tun und nähern uns ihnen mit großem Respekt und Zurückhaltung."
Ein Youtube-Zusammenschnitt sagt allerdings anderes aus:
Für viele Zuschauer war am Dienstag nach 15 Minuten "Brennpunkt" alles Wichtige gesagt. Doch die Sendung dauerte fast 48 Minuten. Mit Grund, findet Grätz: "Wir haben uns zu einer 45-minütigen 'Brennpunkt'-Ausgabe entschieden, da der Flugzeugabsturz einer deutschen Airline mit vielen deutschen Opfern ein Ereignis ist, das die Menschen im ganzen Land bewegt und auf das auch die Politik mit großer Betroffenheit reagiert hat. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass es ein Flug nach Düsseldorf war und Germanwings von Millionen (deutschen) Passagieren genutzt wird."
Der Brennpunkt vom Mittwoch war kürzer und nüchterner. Aber "nicht spekuliert" wurde auch da. Moderator Markus Preiss fragte ARD-Flugexperte Michael Immel: "Wir wollen nicht spekulieren, wir wissen ohnehin nicht, warum dieser Flug abgestürzt ist. Aber können Sie uns nochmals die Ungereimtheiten auf diesem Germanwings-Flug erklären?"