
Gastbeitrag:
Medaillen-Flut und Goldideen: Der ADC braucht einen Plan B
Die Jahreshauptversammlung des ADC Deutschland ist ein Termin, der für die Kreativen inzwischen "offenbar so attraktiv ist wie ein Batik-Kurs von Tante Helga in der Rhön", meint Ex-Vorstandsmitglied Hans-Peter Albrecht. Dabei gäbe es einiges zu bereden, etwa über Goldideen, die Steigerung der Kategorien und die Inflation der ADC-Medaillen. Dazu sein Befund eines "Mittäters".
Freitag, den 22. November ruft der ADC Deutschland zur Jahreshauptversammlung nach Berlin. Ein Termin, der für die Kreativen inzwischen "offenbar so attraktiv ist wie ein Batik-Kurs von Tante Helga in der Rhön", meint Hans-Peter Albrecht. "Erfahrungsgemäß haupt-versammeln sich höchstens 70 ADC-lerInnen, was die Cluboberen auch bereits zu Satzungsänderungen zwang. Anliegende Entscheidungen werden seit einiger Zeit nicht mehr von der Mehrheit der Mitglieder, sondern von der Majorität der Anwesenden gefällt."
Dabei - so Albrecht - gäbe es einiges zu bereden, im elitären Club der Kreativen. Denn mit der Steigerung seiner Kategorien und der Inflation der ADC-Medaillen verblasse der Stern "der ehemals so glitzernden Bling-Bling-Marke" Jahr für Jahr. Hans-Peter Albrecht war jahrelang Mitglied des ADC-Vorstandes - heute „Präsidium“. Er zeichnet somit für die Entwicklung mit verantwortlich. Hier der Befund von einem "Mittäter":
Konstantin ist schuld. Konstantin Jacoby hat die „Goldidee“ erfunden. Allerdings wollte er damit ganz und gar nicht den ADC schwächen. Sondern seine Agentur stärken.
Die Goldidee war als besondere Aufmerksamkeit für den Kunden gedacht. Als ein „out-of-the-box“-Denken, das S&J-Kunden beweisen sollte, dass sie die richtige Agentur gewählt haben. Auch, wenn die Tagesarbeit vielleicht mal eher bleiern denn goldig war.
Beweis und Trophäe für dieses geniale „out-of-the-Tagesgeschäft-box“-Denkens war dann die Anerkennung durch die anderen Kreativen. Also durch den ADC.
Konstantin-Jünger haben diese seine Gold-Idee begeistert aufgenommen und in den Jahren bzw. Jahrzehnten danach ordentlich pervertiert.
Inzwischen steht am Anfang oft die Gold-Idee, dann wird ein passendes Problem dazu gesucht und schlussendlich ein „Kunde“, der die Arbeit gewissermaßen legitimiert.
Eigentlich super. Kreative können sich austoben und zeigen, was sie drauf haben. Und ihre Agenturen können im letzten verbliebenen Ranking Punkte sammeln.
Denn nachdem Paul Sarbanes und Michael Oxley 2002 den Aktiengesellschaften ihre Gold-Ideen verboten hatten, war ja unter anderem Schluss mit dem Agentur-Ranking nach Income.
Schon lustig. Eine Branche gestand über Nacht, dass sie davor getrickst und geschummelt hat, als gäbe es kein Morgen. Und kein Hahn krähte danach.
Wie auch immer. Eine andere Währung musste her. Die einzige, die der Sarbanes-Oxley-Act nicht zu gnadenloser Ehrlichkeit verpflichten konnte war – das Ranking nach Medaillen. Das ja – bis der Gold-Ideen-Virus sich reinbohrte – auch relativ sauber war. Schauen Sie nach – in den älteren Jahrbüchern gibt es von vorne bis hinten nur echte Arbeiten. Unglaublich, aber wahr.
Tempi passati. Und zwar weltweit. Dieser Award-Virus hat sich auf dem gesamten Kreativ-Globus durchgesetzt. Da kann sich ein kleiner Hanswurst oder –Peter in Deutschland noch so aufregen.
Die offensive Verteidigung (aus dem Hause JvM, wenn ich das recht entsinne), sagt: „Prototypen sind toll und wichtig. Sie zeigen, was geht. So, wie die Prototypen auf der IAA.“
Gut gewiehert. Fatal ist nur, dass heute auch das kleinste Kreativ-Lichtlein weiß, wie das trojanische Pferd, pardon, der Hase läuft. Investment. Die Agentur, die ins Medaillenmachen investiert, gewinnt Medaillen. Hier schießt Geld Tore. Wie viel entging dem ADC durch die letztjährige JvM-Abstinenz? 300.000? 200.000? 400.000? Und da reden wir nur von den Einsendegebühren. Nicht vom Lohn/Honorar der Kreativen und Berater, nicht von der Exekution, pipapo.
Die Kreativen wissen also, dass nicht nur ihre Idee entscheidet, sondern auch die Knete und Bereitschaft ihrer Agentur, im Award-Monopoly ordentlich zu setzen.
Der Unterschied zum „alten“ System – da musste ein Kunde überzeugt werden. Ein Kunde, dessen Marke, Marktanteile, Firma, Karriere, dessen Familie und Mitarbeiter vielleicht durch die geile kreative Idee in den Himmel kommen konnte. Oder in die Hölle.
Diese Chance oder Gefahr gibt es bei der sensationell inszenierten Eröffnung einer Coladose oder beim der bisher ungesehen kreativ aufgerüschten Bedienungsanleitung natürlich nicht.
Womit wir beim zweiten Inflationstreiber der Medaillen sind. Neben den Goldideen entstehen fast täglich neue Kategorien, dass einem schwindlig wird. Dem Vernehmen nach sollen im nächsten Jahr die Herz- oder Blatt-Formen auf dem Cappuchino-Schaum eine eigene Jury bekommen. Unterteilt in Frisch-, H- und Soja-Milch. Ist ja auch ein wichtiges POS-Werbemittel. Und Cannes denkt über eine Kategorie „Frisuren“ nach.
Fazit. Die Medaillen und Auszeichnungen haben dramatisch an Wert verloren. Damit verliert der ADC ebenso dramatisch an Wert und Bedeutung. Abzulesen übrigens auch an den Einsende-Zahlen, die, um neue Kategorien bereinigt, sich eher im Sturz- als im Sinkflug befinden.
Die Reaktion des ADC (auch durch den Verfasser mit angestoßen) ist, nach Subventionen zu schielen. Die können in der Tat kurzfristig Löcher stopfen. Doch wie las man vor einiger Zeit im "Spiegel"? „Ein Unternehmen, das auf Subventionen aufgebaut ist, hat seinen wirtschaftlichen Zweck verloren.“ Oder so. Ja, der ADC hat (hatte) einen wirtschaftlichen Zweck, sollte wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt werden. Werber, pardon, Kommunikationsfachleute, die von der öffentlichen Hand leben – das wäre ja nun absurd zum Quadrat.
Denkt der ADC darüber nach? Gibt es im ADC eine Strategie-Diskussion? Bekennt sich der ADC zur neuen Geschäftspraktik, dem Beheizen des Inflations-Ofens oder der Subventions-Ernte? Arbeitet der ADC an einem Plan B?
Die Agentur, in der die Goldidee erfunden wurde, die höchstdekorierte, die „beste Agentur von allen“ ist heute Geschichte. Leider. Das hat bestimmt mit dem ADC und den Medaillen nix zu tun.
Also wird es zur Jahreshauptversammlung in Berlin um neue Jury-Regeln gehen. Um neue Einsende-Bedingungen. Darum, dass wir uns freuen, jetzt auch die Werbefilm-Produzenten als Mitglieder aufnehmen zu dürfen.
Jahreshauptversammlungen waren aus bekannten Gründen mal ein fixer Hinkelstein in meinem Kalender. Aber ob ich wohl dieses Jahr dafür eineinhalb Tage meines Lebens opfere?