Dass Kohl im Frühjahr vor Gericht die Herausgabe der Tonbänder erstritt, ist seiner zweiten Frau zu verdanken, die in die Produktion der offiziellen Biografie gegrätscht war. Maike Richter ahnte, was passieren würde, würden die Hasstiraden eines Tages öffentlich. Und Kohl? Dafür, dass sein Ghostwriter den ganzen Senf zu Einheit, Euro und Europa in lesbare Form zu bringen hatte, spendierte er ihm eine Salve Häme für namhafte Parteifreunde. Was Deftiges für zwischendurch.

Wer gegenüber einem Journalisten solche Bombe platzen lässt, muss mit einer Veröffentlichung rechnen. Wenn nicht sofort, dann irgendwann von hinten durch die kalte Küche. Das ist nun mal der Job von Journalisten: schreiben, nicht verschweigen. Und nichts könnte Kohls oft erahnte Verbitterung besser belegen als O-Töne á la "Die Merkel konnte nicht mal mit Messer und Gabel essen." Respektloser, abschätziger, absoluter geht es nicht.

Die losgebrochene "Darf man das?"-Debatte über die vor Gericht einkassierten und nun im Heyne-Verlag unautorisiert veröffentlichten "Kohl-Protokolle" nützt in jedem Fall einem: Kohls Ex-Intimus Schwan. Der kalkulierte Tabubruch wird ein Vielfaches mehr an Kasse machen, als es die glatt redigierten "Erinnerungen", die auf den frei gegebenen Gesprächspassagen basieren, geschafft haben.

Das Verhalten des früheren WDR-Manns Schwan mag Moralwächtern aufstoßen – am Ende hat er exakt das getan, wovon wohl jeder Redakteur schon mal geträumt hat: unter Quellenangabe aufschreiben, was "unter drei" tatsächlich gesagt wurde. Autorisierung hin, Autorisierung her: Für Schwan galt das gesprochene Wort. Nicht fein, aber konsequent.

Ob das legal ist, müssen Gerichte entscheiden. Das Urteil werden sich Medien ebenso wie Zitatgeber aus Politik und Wirtschaft sehr genau ansehen.

Aus der Welt zu klagen sind die Beleidigungen ja ohnehin nicht mehr – zum einen ist ihre Authentizität unstrittig, zum anderen sind sie dank des Vorabdrucks im "Spiegel" (der erste Scoop seit langer, langer Zeit) medial in alle Winde verlinkt.

Biograf Schwan dürften nicht nur die von Kohl Abgewatschten dankbar sein: Wenn es noch eines Beweises für die verlorene Bodenhaftung des Altkanzlers bedurfte, so hat er ihn nun selbst geliefert.

Es ist schon paradox: Kohls glücklosem Amtsvorgänger Helmut Schmidt klebt die Nation heute an den Lippen, dem großen Nachfolger wünscht man in Tagen wie diesen, seine Frau würde ihm selbige zupflastern. Als Schutz vor sich selbst.

* W&V-Kolumnist Matthias Onken war Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost" und  Redaktionsleiter von "Bild Hamburg". Heute arbeitet er als Kommunikationaberater in Hamburg.