
Pro & Contra:
Platt oder plausibel: Wie wirkt Udes Wahlwerbung?
Unfreiwillig komisch oder erfrischend anders: Die Brachial-Bebilderung von Christian Udes Wahlplakat sorgt im Netz für Diskussionen - und für jede Menge Persiflagen. In der W&V-Redaktion gehen die Meinungen dazu weit auseinander. Ein kontroverser Doppel-Kommentar von Frauke Schobelt und Frank Zimmer.
Unfreiwillig komisch oder erfrischend anders: Die Brachial-Bebilderung von Christian Udes Wahlplakat sorgt im Netz für Diskussionen - und für jede Menge Persiflagen. In der W&V-Redaktion gehen die Meinungen dazu weit auseinander. Ein kontroverser Doppel-Kommentar von Frauke Schobelt und Frank Zimmer.
Frank Zimmer findet das Motiv schlecht und die Reaktionen von Ude und der Agentur Platzl zwei peinlich:
Jede einzelne Werbeagentur, die in ihrem Firmennamen das Wort "Kreativ" verwendet und es mit "C" schreibt, bitte ich hiermit um Entschuldigung. Denn ich habe sie (beziehungsweise ihre Praktikanten) zu Unrecht verdächtigt, auf eigene Faust das Worthalte-Plakat mit Christian Ude entworfen zu haben. Dass ein so bühnen- und parkettsicherer Medienprofi wie Christian Ude ganz offiziell mit einem solchen Motiv wirbt, das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Jetzt weiß ich es besser. Müssen wir hier noch über die Kreatividee an sich diskutieren? Über die peinliche Brachial-Bebilderung eines einfallslosen Slogans? Wahrscheinlich nicht. Reden wir lieber darüber, was im Augenblick passiert, denn das ist noch peinlicher als das Motiv selbst. Klaus Moser von der SPD-Agentur Platzl zwei redet sich öffentlich ein, einen viralen Erfolg gelandet zu haben ("Mit einer solchen Wirkung hätte ich nicht gerechnet", Süddeutsche Zeitung), Christian Ude biedert sich im Social Web an ("Fabelhaft, selten so gelacht"), und über allem schwebt jetzt das Totschlag-Argument von Agenturchef Moser: Hauptsache, man spricht drüber. Wirklich? Ist das jetzt der neue Wahlkampfstil? Wir machen schlechte Werbung, hoffen darauf, dass sie persifliert wird, und amüsieren uns dann alle drüber? Immerhin würde das die politische Kommunikation deutlich vereinfachen. Der Wahlkampfmanager müsste nur noch miserable Kreationen abnicken und sich jeden Morgen auf dem Weg ins Büro ganz feste wünschen: "Hoffentlich verarschen sie uns heute wieder!"
Frauke Schobelt freut sich über Abwechslung von der handelsüblichen 08/15-Wahlwerbung:
Gegenüber vom Süddeutschen Verlag hängt - ein wenig schief um ein Verkehrsschild gewickelt - ein Werbeplakat für die FDP. Woran man das erkennt? Nun, Gelb ist die vorherrschende Farbe. Und das mit dem schief passt ja auch irgendwie. Und was steht drauf? Keine Ahnung, ich hab die Brille heute nicht dabei. Aber vermutlich nichts, wofür sich ein Blick lohnt. So geht es mir mit den meisten Werbeplakaten vor Bundestags- oder Landtagswahlen. Da wird man penetrant an jeder Straßenecke von Klein- und Großplakaten niedergelächelt und mit Slogans beworfen, bis die ganze Grinserei zu einer einzigen, ununterscheidbaren Politikerköpfemasse verschwimmt. Und man höchstens noch an den Markenfarben (siehe FDP-Plakat) erkennt, welche Partei denn da eigentlich wirbt. Da sehnt man sich Wahlen fast herbei, damit das grenzdebile Zähneblecken ein Ende hat.
Deshalb gefällt mir das Plakat von Christian Ude. Der SPD-Kandidat zeigt ebenfalls sein breitestes, in langen Jahren an der Bierzeltfront geformtes Politikerlächeln, aber durch den buchstäblichen Wortwitz entfaltet es doch eine andere - ironische - Wirkung. Und ja, auch Werbewirkung. Man spürt die Lust des Kabarettisten Ude, sich selbst und den ganzen Politikerzirkus etwas von seinem Sockel zu holen. Dadurch fällt das Plakat auf und verführt, gewollt oder ungewollt, zum kreativen Buchstabenspiel, dem sich etwa der SZ-Jugendkanal "Jetzt.de" unter http://udeholdingthings.tumblr.com/ leidenschaftlich - und witzig - widmet. Das Plakat schafft also Aufmerksamkeit und verführt junge Menschen zur Interaktion. Dafür geben viele Marken viel Werbegeld aus. Inhaltliche Tiefe und Glaubwürdigkeit vermittelt das Plakat natürlich nicht, aber das ist auch nicht seine Aufgabe.
In Zeiten, in denen Rainer Brüderle im Internet mit Hohn und Spott überzogen wird, weil er unglücklich stürzt und sich mehrere Knochen bricht, ist es fast schon mutig, sich als Politiker mit so einer Steilvorlage dem Social Web zum Fraß vorzuwerfen. Denn das Risiko besteht: Irgendein Witzbold findet sich immer, der Ude noch ganz andere Worte in die Hand modelliert.
In der Mittagspause doch noch mal ein Blick auf das FDP-Plakat geworfen, von wegen Grundlagenrecherche und so. Oben steht "Fakten, Fakten, Fakten" und unten zeigt Parteimitglied Helmut Markwort seine Zähne. Um was es geht? Auf dem Weg in den 5. Stock schon wieder vergessen.