Gegenüber vom Süddeutschen Verlag hängt - ein wenig schief um ein Verkehrsschild gewickelt - ein Werbeplakat für die FDP. Woran man das erkennt? Nun, Gelb ist die vorherrschende Farbe. Und das mit dem schief passt ja auch irgendwie. Und was steht drauf? Keine Ahnung, ich hab die Brille heute nicht dabei. Aber vermutlich nichts, wofür sich ein Blick lohnt. So geht es mir mit den meisten Werbeplakaten vor Bundestags- oder Landtagswahlen. Da wird man penetrant an jeder Straßenecke von Klein- und Großplakaten niedergelächelt und mit Slogans beworfen, bis die ganze Grinserei zu einer einzigen, ununterscheidbaren Politikerköpfemasse verschwimmt. Und man höchstens noch an den Markenfarben (siehe FDP-Plakat) erkennt, welche Partei denn da eigentlich wirbt. Da sehnt man sich Wahlen fast herbei, damit das grenzdebile Zähneblecken ein Ende hat.

Deshalb gefällt mir das Plakat von Christian Ude. Der SPD-Kandidat zeigt ebenfalls sein breitestes, in langen Jahren an der Bierzeltfront geformtes Politikerlächeln, aber durch den buchstäblichen Wortwitz entfaltet es doch eine andere - ironische - Wirkung. Und ja, auch Werbewirkung. Man spürt die Lust des Kabarettisten Ude, sich selbst und den ganzen Politikerzirkus etwas von seinem Sockel zu holen. Dadurch fällt das Plakat auf und verführt, gewollt oder ungewollt, zum kreativen Buchstabenspiel, dem sich etwa der SZ-Jugendkanal "Jetzt.de" unter http://udeholdingthings.tumblr.com/ leidenschaftlich - und witzig - widmet. Das Plakat schafft also Aufmerksamkeit und verführt junge Menschen zur Interaktion. Dafür geben viele Marken viel Werbegeld aus. Inhaltliche Tiefe und Glaubwürdigkeit vermittelt das Plakat natürlich nicht, aber das ist auch nicht seine Aufgabe.

In Zeiten, in denen Rainer Brüderle im Internet mit Hohn und Spott überzogen wird, weil er unglücklich stürzt und sich mehrere Knochen bricht, ist es fast schon mutig, sich als Politiker mit so einer Steilvorlage dem Social Web zum Fraß vorzuwerfen. Denn das Risiko besteht: Irgendein Witzbold findet sich immer, der Ude noch ganz andere Worte in die Hand modelliert.

In der Mittagspause doch noch mal ein Blick auf das FDP-Plakat geworfen, von wegen Grundlagenrecherche und so. Oben steht "Fakten, Fakten, Fakten" und unten zeigt Parteimitglied Helmut Markwort seine Zähne. Um was es geht? Auf dem Weg in den 5. Stock schon wieder vergessen.   


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.