Benedikt Holtappels:
Shitstorms: Der harmlose Protest der Couch-Potatoes
Benedikt Holtappels hat genug von der Shitstorm-Hysterie: Der Mitgründer der Hamburger Grimm Gallun Holtappels erklärt in einem Gastbeitrag für W&V Online, warum Marketer souveräner mit der Netz-Empörung umgehen sollten.
Benedikt Holtappels hat genug von der Shitstorm-Hysterie: Der Mitgründer der Hamburger Grimm Gallun Holtappels erklärt in einem Gastbeitrag für W&V Online, warum Marketer souveräner mit der Netz-Empörung umgehen sollten.
Die unbegründete Angst der Marketer vor Shitstorms
von Benedikt Holtappels
Unter Deutschlands Unternehmen geht die Furcht um. Shitstorm heißt das Gespenst in den Marketer-Etagen, das viele für eine echte Bedrohung für die Marke halten. Kaum eine Woche vergeht, wo nicht ein digitaler Proteststurm die Communities und teils auch die Schlagzeilen der Medien dominiert. Wenn es nach den Netz-Protestlern der Anti-Markus-Lanz-Fraktion gehen würde, wäre der ZDF-Moderator schon längst entlassen worden. GlossyBox, der Versender von Überraschungspaketen, sieht sich gerade mit einem Shitstorm konfrontiert, weil er seit langem offene Rechnungen anmahnte.
Meine Prognose für beide Fälle: Lanz wird auch die kommenden "Wetten...dass?"-Sendungen moderieren und Glossy Box schön weiter Päckchen verschicken. In weniger als einem halben Jahr wird man sich in beiden Fällen kaum noch an den jeweiligen Shitstorm erinnern können. So wie wir jetzt schon viele Shitstorms der Vergangenheit vergessen haben. Oder wissen Sie noch, worum es genau bei dem Nowitzki-Spot der ING Diba 2011 ging und bei dem etwas daneben gegangenen Design-Flaschenwettbewerb der Henkel-Marke Pril?
Shitstorms können jeden jederzeit treffen. Aber treffen sie Unternehmen wirklich im Kern und zum Schaden der Marke? Ich kenne keinen einzigen Fall, wo das eingetreten ist. Selbst Unternehmen wie Telekom, die Bahn oder Otto, die immer wieder mit Shitstorms konfrontiert sind, haben keinen nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden davon getragen. Um von einem kritischen Kommentar zu einem veränderten Einkaufsverhalten zu gelangen, gehört eben doch mehr als ein paar digitale Gewitterwolken abzusonden.
Allein in meinem Umfeld regen sich gerne Leute auf Facebook und Twitter über den angeblich schlechten Service von Air Berlin auf und verkünden dann, "nie wieder" mit dieser Airline fliegen zu wollen. Man trifft sie trotzdem das nächste Mal wieder am Gate und kann hinterher erneut kritische Kommentare im digitalen Newsfeed lesen. Der Otto-Versand hat schon mehrfach mit Shitstorms zu tun, zuletzt wegen eines Mädchen-T-Shirts, das wegen des Spruchs "In Mathe bin ich Deko" als sexistisch auf Facebook abgestraft wurde. Interessanterweise war das T-Shirt am Ende ausverkauft, weil es viele witzig fanden. Soviel zu den Folgen von Boykott-Aufrufen.
Früher mussten die Leute noch echt was tun, nämlich auf die Straße gehen, um zu protestieren. Und da ging es meist um große Themen wie Frieden oder Abrüstung. Heute reicht es, auf dem Sofa rumzulümmeln und im Netz ungefiltert Kommentare abzugeben. Für die digitalen Kommentatoren selbst hat das wenig Konsequenzen und viele mögen eine gewisse Macht darüber spüren. Doch mehr als eine lärmende Betroffenheits-Haltung kommt bei Shitstorms nicht heraus. Ist etwa Amazon in die Knie gegangen, weil ein Shitstorm die Arbeitsbedingungen nach einer TV-Sendung anprangerten? Ich vermute viel mehr, dass einige der Protestler sogar hinterher wieder beim Allround-Versender bestellt haben, weil es vom Sofa eben schön bequem ist.
Natürlich sollte man als Unternehmen Proteste grundsätzlich ernst nehmen und sich damit auseinandersetzen. Aber im Moment reagieren zu viele Unternehmen mit Panik und machen damit Proteste größer als sie eigentlich sind. Meist flacht der digitale Sturm nach wenigen Tagen von alleine ab und wandert zum nächsten Thema ohne große Konsequenzen für das beschimpfte Unternehmen.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Der ADAC erlebt gerade eine Protestwelle ohnegleichen und hat schon fast 50.000 Mitglieder verloren. Man muss aber hier klar sagen, dass der Automobilclub kein Fettnäpfchen ausgelassen hat. Von gefälschten Wahlen über merkwürdige Beitragserhöhungen bis zu Urlaubsflügen mit ADAC-Hubschraubern und einer scheibchenhaften Infopolitik war alles dabei, um sich selbst in Aus zu manövrieren. Normalerweise lassen sich Proteste aber mit ein paar klaren Regeln gut in den Griff bekommen:
- Kritische Stimmen grundsätzlich ernst nehmen und eine schnelle Rückmeldung zum vermeintlichen Problem geben.
- Sich entschuldigen, aber nur, wenn es auch etwas zu entschuldigen gibt.
- Kommentare auch mal laufen lassen, kritische Posts aushalten und maßvoll Foren moderieren. Auf keinen Fall Kommentare löschen. Dadurch heizt man die Proteste noch stärker an.
- Auf die eigene Fan-Basis setzen. Wer im Vorfeld ein gutes Community-Management betrieben hat, wird sehen, dass eigene Fans dem Unternehmen zur Seite springen und mit den Protestlern diskutieren. Meist flaut der Shitstorm bereits dadurch ab.
- Agendasetting betreiben und selbst mit neuen eigenen Themen rausgehen, die interessant für Öffentlichkeit und Fans sind.
Die höhere Kunst im Umgang mit Shitstorms ist es, für das Unternehmen sogar etwas Positives aus der Situation zu erreichen. So hat der Otto-Versand viele Sympathien gewonnen, als das Unternehmen bei einem Model-Contest auf Facebook akzeptierte, dass die Community einen Mann in Frauenkleider sehen wollte. Statt das Votum zu ignorieren oder das Mode-Shooting unter dem Radar stattfinden zu lassen, drehte Otto am großen PR-Rad und holte das Maximale aus dem eigentlich schief gegangenen Foto-Wettbewerb raus. Der Versender hat sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, humorvoll reagiert und selbst wieder die Kontrolle über den Prozess übernommen.
Ein souveräner Umgang mit Protesten schließt zwar künftige Shitstorms nicht aus, aber es macht gelassener für den nächsten. Gleichzeitig rückt er die Wirkung von Shitstorms in eine realistische Perspektive, die wesentlich undramatischer ist als häufig angenommen.