Wie der Name GoEuro schon nahelegt liegt der Fokus auf Europa. Weshalb?

Das hat mit meiner persönlichen Erfahrung zu tun. 2010 bin ich vier Monate lang durch 14 europäische Länder gereist und habe dabei festgestellt, dass die Infrastruktur mit den Flugverbindungen, Bussen, Eisenbahnen, auch den Hochgeschwindigkeitszügen, zur Besten der Welt gehört. Dem steht aber entgegen, dass der Zugang zu Informationen über Reisemöglichkeiten eher kompliziert ist. Wenn ich in Deutschland jemanden fragen würde, welches die fünf wichtigsten überregionalen Bus-Unternehmen sind, so könnten mir vermutlich nur wenige darauf antworten. Das wäre in Großbritannien oder Spanien nicht anders. Weil in Europa die unterschiedlichen Transportmöglichkeiten nahe beisammen liegen, geht es uns darum, auch die Informationen darüber zusammenzubringen.

Und was ist mit den USA und Asien?

In den USA liegen Ausgangs- und Zielort oft weit auseinander, in Südamerika gibt es kaum eine mit Europa vergleichbare Eisenbahn-Infrastruktur und in Asien nur in einigen Ländern wie China, Indien oder Japan. Aber Europa ist ein interessanter Markt, in dem man ein großes Unternehmen aufbauen kann. Das ist der Grund, weshalb wir hier sind und unser Start-up GoEuro nennen. Natürlich verfügen wir auch über weltweite Flugdaten. Wenn Sie also von Zwickau nach Sidney reisen wollen, dann können Sie die Reisemöglichkeiten ebenfalls über unsere Suchmaschine abfragen. Flugreisen sind global. Aber unser Business-Konzept ist auf Bodenverkehrsmittel innerhalb Europas fokussiert.

Um an all die Daten zu kommen, brauchen Sie jede Menge Business-Partner. Wie sieht da die Situation aus?

Derzeit sind wir in Deutschland und Großbritannien aktiv. In Großbritannien haben wir bereits alle 21 Eisenbahn-Unternehmen als Partner, die Bus-Unternehmen werden demnächst folgen. In Deutschland sind bereits die Deutsche Bahn sowie Hamburg Köln Express (HKX) dabei sowie alle überregionalen Bus-Unternehmen. Und in den nächsten Monaten wollen wir in fünf weitere Länder expandieren.

Ihr Angebot befindet sich noch in der Beta-Phase. Wann erfolgt der offizielle Launch?

Das wird ein fortlaufender Prozess sein. Da die Infrastruktur in Europa so gigantisch ist, läuft es darauf hinaus, dass wir Land für Land vorgehen. Wenn wir also in Deutschland in einiger Zeit die Beta-Phase verlassen, wird zugleich in einem anderen Land die Beta-Phase starten, es ist also sozusagen eine rollierende Beta.

An welche Zielgruppe wendet sich GoEuro?

Eigentlich an jeden, der in Europa reisen möchte. Auf unserer Plattform erhalten die User gebündelt alle notwendigen Informationen, ganz gleich, welche Transportmittel sie nutzen wollen und ob es sich um eine Geschäfts- oder Urlaubsreise handelt. Aber natürlich ist der internationale Tourismus ebenfalls sehr wichtig für uns, also Menschen in den USA, Südamerika oder Asien, die eine Reise nach Europa planen.

Weshalb haben Sie sich für Berlin als Sitz des Unternehmens entschieden?

Es gab zwei Optionen: London oder Berlin. Letztlich war die Entscheidung aber leicht, denn wir sind ein Technologie-Unternehmen, das den Zugang zu großen Datenmengen von Transportunternehmen ermöglicht. Das gab den Ausschlag für Berlin, denn hier gibt es hervorragende Programmierer, hier können wir Talente sowohl aus Ost- als auch Westeuropa finden. Wenn man eher in die Bereiche Fashion, Marketing oder Social Media geht, dann ist möglicherweise London der bessere Standort, denn dort ist in der Regel die Finanzierung einfacher. Das ist in Deutschland teilweise schwierig.

Sie haben an der Harvard University studiert, haben jahrelang in New York gelebt. Inwiefern unterscheidet sich die amerikanische von der deutschen Start-up-Szene?

Da gibt es durchaus große Unterschiede. Deutschland hat zwar ein stark wachsendes digitales Öko-System, befindet sich aber dennoch in einer noch frühen Phase. Für die erfolgreiche Entwicklung dieses Öko-Systems gibt es mehrere wichtige Faktoren. Erstens braucht man risikobereite junge Start-up-Gründer, Programmierer, Talente, die bereit sind, ihr eigenes Projekt durchzuziehen. Zweitens braucht man Zugang zu Risikokapital, und zwar in allen Stadien eines Unternehmens, von der Seed-Phase bis zu Spätphasen-Finanzierungen. Und drittens muss das Öko-System so weit reifen, dass es auch zu einigen erfolgreichen Exits kommt.

Zumindest Talent gibt es aber doch genügend in Deutschland.

Ja. Dies ist ein Aspekt, bei dem ich die eigentliche Stärke von Deutschland sehe. Hier gibt es unglaublich viele intelligente, kreative und talentierte Gründer und Mitarbeiter. Selbst im Vergleich zu den USA halte ich Deutschland in diesem Bereich für absolut gleichrangig. Was die schnelle Weiterentwicklung der Start-up-Szene aber noch etwas hindert, ist der Mangel an Venture Capital. In den USA gibt es da ein etwas langfristiger ausgerichtetes Denken, es geht dort nicht so sehr darum, ein Start-up schon nach kurzer Zeit für 30 oder 40 Millionen Dollar zu verkaufen, sondern es zu einem Milliarden-Dollar-Unternehmen aufzubauen. Das ist eine andere Mentalität.

Sie sprechen von der Mentalität der Venture Capitalists?

Genau. In den USA hat es bereits jede Menge Exits gegeben. Dadurch konnten die Venture Capitalists Erfahrungen mit den verschiedenen Lebenszyklen eines Start-ups sammeln. In Deutschland gibt es mittlerweile zwar keine Probleme mehr bei der Frühphasen-Finanzierung, denn es gibt unzählige Inkubatoren und Acceleratoren. Das ist auch gut so, aber was wir wirklich brauchen, sind Investitionen in Höhe von zehn oder auch 50 Millionen Euro in den folgenden Entwicklungsphasen. Das fehlt hier noch.

Deshalb spricht man derzeit von einer Serie-A-Krise.

Es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit ein Start-up eine Serie-A-Finanzierung erhält. So muss das Produkt bereits von den Nutzern angenommen werden. Außerdem braucht man ein Venture-Capital-Unternehmen, das die Finanzierungsrunde leitet und auch selbst einen Zwei-Millionen-Euro-Scheck ausstellt. Dafür muss es aber über einen Fonds von mindestens 200 Millionen Euro verfügen, denn nur so kann es in der nächsten oder übernächsten Finanzierungsrunde weitere zehn oder 20 Millionen Euro nachschießen. In Deutschland gibt es nur sehr wenige VC-Unternehmen, die dies tatsächlich können.

Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?

Ich denke, dass man schon in frühen Finanzierungsrunden versuchen muss, mit amerikanischen VC-Unternehmen wie Sequoia Capital oder Kleiner Perkins zu kooperieren. Die amerikanischen Venture Capitalists wollen ja gern in Deutschland investieren, weil sie längst erkannt haben, dass hier das Talent, die Ideen, die Kreativität und die Exekution vorhanden sind. Solche Partnerschaften müssen jetzt intensiviert werden.


Autor: Franz Scheele

Schreibt als freier Autor für W&V Online. Unverbesserlich anglo- und amerikanophil interessieren ihn besonders die aktuellen und langfristigen Entwicklungen in den Medien- und Digitalmärkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.