
Studie: 55 Prozent der Deutsch-Türken haben Vertrauen in den Staat verloren
Die Neonazi-Morde an Mitbürgern mit interkulturellem Hintergrund und die höchst fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Rechtsradikale haben das Vertrauen der Deutschtürken in den deutschen Staat schwer erschüttert, wie eine Umfrage der Uni Ankara und des Berliner Markt- und Meinungsforschungsinstituts SEK-POL/Data 4U ergeben hat.
Die Neonazi-Morde an Mitbürgern mit interkulturellem Hintergrund und die höchst fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Rechtsradikale haben das Vertrauen der Deutschtürken in den Staat schwer erschüttert, wie eine Umfrage der Uni Ankara und des Markt- und Meinungsforschungsinstituts SEK-POL/Data 4U ergeben hat.
Bei der Studie, die das Zentrum für Migrations- und Politikforschung der Hacettepe Universität Ankara gemeinsam mit dem in Berlin ansässigen Meinungsforschungsinstitut SEK-POL/Data 4U durchgeführt hat, wurden die Probanden (1.058 in Deutschland lebende türkische Migranten) zu ihren Gefühlen, Meinungen und Vorstellungen zu den seit 2000 ausgeübten rassistischen Angriffen der Neonazis befragt.
Hier die Kernergebnisse der Studie:
- 87 Prozent der türkischen Migranten verfolgen die Ereignisse sehr interessiert, ihre Quellen sind überwiegend türkische Medien.
- Die in Deutschland lebenden türkischen Migranten nehmen die durch die Neonazis begangenen Morde trotz populistischer Aussagen mit großer Gelassenheit und Reife auf. Sie setzen diese Ereignisse nicht mit der deutschen Gesellschaft in Verbindung und vermeiden somit Anschuldigungen gegen die Deutschen.
- Die Mehrheit der türkischen Migranten (78 Prozent) bringt die Morde nicht mit der deutschen Gesellschaft als Ganzes, sondern mit einer radikalen Gruppierung in Verbindung. Nur etwa 2 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass „die Morde durch die deutsche Gesellschaft begangen wurden“, und nur etwa 7 Prozent glauben, dass „ein großer Teil der deutschen Gesellschaft“ für die Morde mitverantwortlich ist.
- Die türkischen Migranten haben das Vertrauen in den deutschen Staat in großem Maße verloren. Die Frage „Wurden Ihrer Meinung nach die Mörder vom deutschen Staat gefördert oder gar beschützt?“ wird zu 55 Prozent mit „ja“ beantwortet. Nur etwa 21 Prozent glauben dies nicht. Hintergrund des großen Misstrauens der türkischen Migranten gegenüber dem deutschen Staat ist insbesondere die Tatsache, dass die Täter der seit 2000 ausgeübten Morde nicht gefasst wurden und die Nachrichten und Informationen über Beziehungen der Neonazis zu einigen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes.
- Über zwei Drittel der türkischen Migranten befürchten weitere rassistisch motivierte Morde in Deutschland, und fast 40 Prozent haben konkret Angst davor, dass sie selbst oder Freunde und Bekannte Opfer des Neonazi-Terror werden könnten.
- Trotz dieser Besorgnis überwiegt bei den türkischen Migranten als generelle Reaktion auf die Mordserie nicht Angst (8 Prozent) oder Wut (12 Prozent), sondern mit 74 Prozent Trauer.
- Annähernd 60 Prozent der türkischen Migranten sind der Ansicht, dass die deutschen Politiker die Ereignisse am liebsten vertuschen und unter den Teppich kehren möchten.
- Der Anteil der türkischen Migranten, die daran glauben, dass die deutschen Politiker betroffen sind und versuchen eine Lösung zu finden, liegt bei etwa 35 Prozent.
- Nur etwa ein Drittel der türkischen Migranten sehen die „Entschuldigung“ des Bundestags als Reue und glaubhafte Trauer der deutschen Verantwortlichen. Fast 60 Prozent hingegen stimmen dem Statement „Die Deutschen sind wegen der Ereignisse traurig und erklären ihre Trauer glaubhaft“ nicht zu.
- Trotz dieses aktuellen Stimmungsbildes zeigen türkische Migranten, dass sie ein unzertrennlicher Teil Deutschlands geworden sind: Ein großer Teil der türkischen Migranten (77 Prozent) wollen ihr Leben weiterhin in Deutschland führen. Trotz dieser Vorfälle liegt der Anteil derjenigen, die aufgrund der Vorkommnisse „sicher in die Türkei zurückkehren” wollen bei nur 4 Prozent. Eines der Hauptziele der Mörder, die türkischen Mitbürger zu verunsichern und somit ihre Rückkehr in ihr Heimatland zu erzwingen, ist damit also gescheitert, so die Forscher.
- Türkische Migranten haben ihre Zugehörigkeit zu Deutschland trotz der Neonazi-Aktionen und trotz der Ansicht, dass die Neonazis vom deutschen Staat unterstützt und geschützt werden, erneut unterstrichen. 75 Prozent der Türken glauben daran, dass sie sich in die deutsche Gesellschaft mehr oder weniger vollständig integriert haben.
„Es zeigt sich also, dass türkische Migranten trotz der Geschehnisse nicht den Konflikt, den Hass und die Angst, sondern das gemeinsame Zusammenleben in den Vordergrund rücken“, so das Fazit von Umut Karakas, Geschäftsführerin von Data 4U, „dieses Ergebnis der Studie gibt den Integrationsdebatten in Deutschland eine neue Dimension.“ Das Problem sollte, empfiehlt Karakas, statt in der angeblichen Integrationsunwilligkeit vielmehr in der gesellschaftlichen Akzeptanz der Türken gesucht werden.