W&V: Dennoch: Mit Tequila ist CRM- und Online-Kompetenz abhanden gekommen. Wie wollen Sie diese Lücke schließen?

Becker: Das Thema Digital ist von zentraler Bedeutung. Weltweit hat die TBWA das Thema in das Leistungsangebot der Kernmarke integriert. TBWA ist digital. In Deutschland gehen wir noch einen Schritt weiter und bauen in Berlin ein Digital-Arts-Team auf. Neben New York und Tokio wird Berlin damit ein zentraler Standort sein, der eine entscheidende Rolle innerhalb des Networks übernehmen wird. Wir haben gerade zwei Leute aus New York eingestellt, um das Thema deutlicher zu gewichten. Wobei wir hier schon gut aufgestellt waren, gerade was Social Media und digitales Zielgruppenverständnis angeht. CRM und E-CRM sind sehr wichtige Themen, keine Frage. Wir sind hier in Gesprächen mit einer Agentur, mit der wir bereits zusammenarbeiten und das Thema auf einer deutlich substanzielleren Basis angehen wollen.

W&V: Heißt, Sie planen eine Akquisition?

Becker: Das heißt zunächst, dass wir mit einem Partner dieses wichtige Thema sehr gut abbilden. Ob wir uns beteiligen oder ein Joint Venture gründen, werden wir im Laufe des Jahres klären.

W&V: Was das Thema Digital angeht, ist manche Inhaberagentur weiter als TBWA.

Becker: Die waren früher bei der Erkenntnis, dass sie Digital-Know-how selbst aufbauen müssen. Wir haben Zeit verloren, indem wir versucht haben, Agenturen zu kaufen. Aber den Vorsprung holen wir schnell auf. Allein in Berlin werden wir mit 15 Leuten eine signifikante Größe haben.

W&V: Sie dürfen also trotz anhaltender Krise einstellen?

Becker: Ja, wir tun das. Ich weiß, dass sich andere Agenturen Praktikanten in New York oder Paris genehmigen lassen müssen. Wir nicht. Wir haben einen Business-Plan abgegeben mit Income-Zielen und einer Personalkostenstruktur, die vorsieht, dass wir Positionen besetzen.

W&V: Ohne Neugeschäft dürften Ihre Ziele nicht zu erreichen sein. Den Pitch um Eckes-Granini haben Sie an JWT verloren.

Becker: Wir müssen uns hier keine Vorwürfe machen. Wir haben ein Fünf-Gänge-Menü präsentiert, der Kunde wollte diesmal aber lieber Currywurst. Das muss man akzeptieren. Davon abgesehen: Die New-Business-Pipeline ist gut gefüllt. Einen internationalen Etat, über den ich noch nicht sprechen darf, haben wir gerade aus Berlin heraus gewonnen. Wir haben nicht nur Tassimo als neuen globalen Kunden gewonnen, wir führen den Etat auch aus unserer Berliner Agentur weltweit. Axel Springer hat uns zu einer seiner Roster-Agenturen ernannt. Für den Kunden Visa global, den wir von Los Angeles aus international betreuen (exklusive Europa), machen wir in Berlin die gesamte Aktivierung für die Fußball-WM in Südafrika. Das ist in Deutschland nicht sichtbar, bedeutet für uns aber signifikantes Income. Dadurch, dass wir in den letzten Monaten an der Struktur gearbeitet haben, nimmt die ganze Gruppe Fahrt auf, das Produkt ist besser geworden. Natürlich braucht man auch ein Quäntchen Glück.

W&V: Weniger Glück haben Sie in Düsseldorf. Executive Creative Director Kai Röffen verlässt TBWA, um mit Kempertrautmann eine Niederlassung in Düsseldorf zu gründen. Er gilt als starker Mann beim Kunden Schwarzkopf & Henkel. Konnten Sie ihm keine Perspektive bieten?

Becker: Wir haben mit ihm über verschiedene Optionen gesprochen. Ich hätte gerne mit Kai an der Zukunft von Düsseldorf gearbeitet. Dennoch, an der ein oder anderen Stelle hätte ich mir gewünscht, unsere Philosophie Disruption und Media Arts wäre in Düsseldorf mehr verankert gewesen. Bei der Neubesetzung legen wir sehr viel Wert darauf, dass das stärker gelebt wird. Wir führen gerade intensive Gespräche mit mehreren Kandidaten.

W&V: Sowohl Schwarzkopf & Henkel mit Kempertrautmann als auch Ihr Kunde Beiersdorf haben neue Agenturen geholt, gegen die Sie pitchen müssen. Schmerzt das?

Becker: Es ist ein legitimer Wunsch des Kunden. Bei Beiersdorf pitchen wir um ein Projekt für Nivea Visage gegen Jung von Matt. Sollten wir verlieren, liefert die Gewinner-Agentur das kreative Produkt, wir bringen es dann in die Länder. Damit ist das Thema dann aber auch wieder zu Ende.

W&V: Bei Ihrem Antritt hatten Sie das Ziel, nach der Auflösung des Joint Ventures mit G.V.K. den Bereich Global Shopper zu etablieren. Seitdem war es ruhig. Was wurde daraus?

Becker: Wir wollten das nicht an die große Glocke hängen, aber da sprechen wir heute über eine echte Perle. Wir haben Shopper Marketing an allen drei Standorten mit über 20 Mitarbeitern integriert und deutlich an Geschäft hinzugewonnen. Es gibt drei Bereiche, die man abdecken muss, weil sie im Marketing an Wichtigkeit gewinnen: Shopper Marketing, Digital und CRM. In allen drei Bereichen haben wir heute ein gutes Angebot.

W&V: Was hat für Sie außerdem Priorität? Es heißt, sie sprechen mit der Stuttgarter Pharma-Agentur Schmittgall, um das Thema Healthcare zu verstärken.

Becker: Von diesen Gerüchten habe ich auch gehört. Fakt ist: Pharma ist für uns am Hamburger Standort ein wesentlicher Geschäftsbereich geworden. Wir haben ein tolles Portfolio mit Kunden wie Merck, Johnson & Johnson und als Neukunde Glaxo SmithKline. Bei Roche Diagnostics kooperieren wir sehr gut und partnerschaftlich mit Schmittgall. Wir streben in Deutschland ein Modell an, mit dem wir Kommunikation für OTC- und verschreibungspflichtige Produkte anbieten und neue Geschäftsfelder erschließen können. Wir verfolgen hier mehrere Optionen.

Im August 2009 trat Sven Becker die Nachfolge von Hubertus von Lobenstein als CEO von TBWA Germany an. Davor war er seit 2005 Strategiechef der TBWA Werbeagenturen. Der 43-Jährige gilt im Network als gut verdrahtet. Er hat in Münster, London und Glasgow BWL und Marketing studiert. Berufliche Stationen: Red Spider, BMP DDB London, DDB Deutschland und Springer & Jacoby.