Konkret sieht das dann so aus wie auf der Startseite von Lebensmittelklarheit: Eine anonyme Kalbswurst enthält nur 15 Prozent Kalbfleisch. Rechtlich in Ordnung - für den Konsumenten offensichtlich verwirrend. Statt Pranger darum eine Abstimmung auf der Plattform: Mit wie viel Prozent Kalbfleischanteil empfindet der Verbraucher eine Kalbswurst als Kalbswurst?

Genau hier offenbart sich wohl die Schwäche des Portals, liegt der Grund, warum die Industrie nicht begeistert ist: Recht kontra Gefühl - das kann auf Dauer nicht gut gehen, finden wir. Entweder sind hier die gesetzlichen Bestimmungen falsch und Kalb ist Kalb, ohne Wenn und Aber - oder Recht und Gesetzt sind korrekt, dann bedarf es einer besseren Aufklärung der Bürger.

Die Seite Lebensmittelklarheit dient auch diesem Ziel - und kann in der Kategorie "Erlaubt!" sicher viel erreichen. Ob der Verbraucher aber Schweinefleisch in der Kalbswurst lieber isst, wenn er erfahren hat, dass das Gesetzt das erlaubt, ist fraglich.

Hintergrund: Im Vorfeld hatten vor allem Interessenverbände aus Werbung, Markenartiklern und der Industrie ihre Bedenken angemeldet - die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ließ verlauten, "eine ganze Branche und ihre Beschäftigten werden angegriffen" (NGG-Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg). Der Vorsitzende des Agrarausschusses, Michael Goldmann (FDP), nannte im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung": die Nennung von Produkten "höchst riskant", an gleicher Stelle sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie Matthias Horst, produktbezogene Angaben, "bei denen Marke sowie Hersteller- und Händlernamen genannt werden", seien nicht tragbar.

Die Organisation Foodwatch, die u.a. mit Aktionen wie der Verleihung des goldenen Windbeutels bereits seit langem ähnliche Ziel verfolgt wie die Verbraucherschutzplattform, begrüßt die Initiative des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).

Verbraucherministerin Ilse Aigner reagierte zum Start der Seite auf die Kritik der Branchenverbände: Lebensmittelklarheit sei kein Internet-Pranger, sagte sie. "Wir fördern den Dialog. Das ist das Gegenteil von Pranger", erklärte Aigner am Mittwoch in Berlin. DPA zitiert Ute Bitter, Sprecherin der Verbraucherzentrale Hessen: "Wir haben alles an Kapazität gegeben, was wir konnten, aber der Ansturm - über den wir uns natürlich sehr freuen - war einfach zu groß."


Autor: Susanne Herrmann

schreibt als freie Autorin für W&V. Die Lieblingsthemen von @DieRedakteurin reichen von abenteuerlustigen Gründern über Medien und Super Bowl bis Streaming. Marketinggeschichten und außergewöhnliche Werbekampagnen dürfen aber nicht zu kurz kommen.