
"Der Spiegel":
Warum Ikea ohne Schweden funktioniert und "Bullerbü" trotzdem braucht
Lesetipp: "Der Spiegel" analysiert in seiner Titelgeschichte "Die Legende vom ehrlichen Möbelhaus" die widersprüchlichen Seiten des Konzerns Ikea. Denn Ikea schafft es, sein so wichtiges Bullerbü-Image zu pflegen - trotz weltweiter Expansion, Möbelbau in DDR-Gefängnissen, Diskussionen über Niedriglöhne und trickreiche Steuervermeidung. Mit Schweden hat das Ganze nicht mehr viel zu tun.
Ikea will in den nächsten Jahren noch stärker expandieren. Zwischen 20 und 30 neue Läden sollen jährlich neu eröffnet werden. "Allein in China wollen wir unsere Zahl an Filialen verdreifachen", erklärt Ikea-Vorstandschef Mikael Ohlsson im Interview mit dem "Spiegel". Das Magazin analysiert im aktuellen Heft in seiner Titelgeschichte "Die Legende vom ehrlichen Möbelhaus" die widersprüchlichen Seiten des Konzern. Denn Ikea schafft es, sein Bullerbü-Image zu pflegen und zu festigen - trotz weltweiter Expansion, Möbelbau in DDR-Gefängnissen, Diskussionen über Niedriglöhne und trickreiche Steuervermeidung.
Über 600.000 Billy-Regale hat Ikea alleine in den ersten drei Quartalen in diesem Jahr weltweit verkauft. Sie stehen in Berlin, Dallas und chinesischen Mittelklasse-Wohnzimmern. Wenn eine Ikea-Filiale neu eröffnet wird, gibt es Menschen, die davor zelten. Wie schafft es die Marke, über kulturelle Grenzen hinweg einen offenbar globalen Design-Geschmack zu treffen? Die Kunden wissen nicht viel über Ikea - aber Ikea weiß viel über die Kunden. So viel, dass laut "Spiegel" selbst Facebook und Google neidisch werden könnten. Im Concept Center im niederländischen Delft wird getestet, was die Kunden länger in den Filialen hält, in das Restaurant lockt und ihre Portemonnaies öffnet. Ikea besucht den Kunden auch zu Hause, die deutsche Marketingabteilung hat sich zweimal im Jahr zu Meetings in den Häusern von Kunden getroffen, erzählt Marketingchefin Claudia Willvonsender. All diese Erkenntnisse fließen in die Werbung und die Filial-Gestaltung: Wie auf Schienen wandeln die Massen dann durch das Möbelhaus, "von Attraktion zu Attraktion, wie bei einer Konsumgeisterbahn, aus der der Kunde nicht aussteigen kann", so der "Spiegel".
Chinesen, Amerikaner und Deutsche laufen an denselben Produkten vorbei. "Ikea ist ein Geschmackskrake, der sich immer weiter ausbreitet", erklärt der "Spiegel". Das klingt eher unsympathisch - auch Gigant Google wird immer wieder mit einem Kraken verglichen. Ikea schafft es jedoch, sich kleiner zu machen, als es ist, so das Magazin. Der Konzern gehe dem Kunden gegenüber "in die Hocke, suggeriere Augenhöhe", das "Du" fühle sich an wie Team, Kumpel und Familie. Hilfreich ist dabei, dass Ikea noch einen vorzeigbaren Firmengründer hat. Wenn der 86-jährige Ingvar Kamprad eine Filiale eröffnet, wird er wie ein Guru gefeiert - auch wenn er und seine Familie im heutigen Konzern nicht mehr viel Einfluss haben. So soll Kamprad die schnelle Expansion nicht gefallen, auch Fernseher wollte er offenbar nicht im Sortiment. Es wird trotzdem so passieren. "Früher war die Stärke von Ikea die Anwesenheit von Ingvar. Er hat diese Stärke auf die Organisation als Ganzes übertragen", erklärt Ohlsson vielsagend im Interview.
Kamprad prägte das Image von Ikea: Die Marke gilt als sympathisch, sozial, billig und nachhaltig zugleich. Effizient und trotzdem fröhlich - danach sehnen sich viele Menschen. Deshalb kaufen sie sich mit Ikea-Möbeln auch ein Stück Lebenswelt. "Wir sind getrieben und inspiriert durch unsere Vision. Und die heißt, vielen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen", erklärt Ohlsson. "Unser Ansatz ist ein humanistischer", sagt Marketingchefin Willvonseder. Das sagen viele Unternehmen. Aber Ikea wird es geglaubt.
Einen wesentlichen Anteil daran hat das Schweden-Bild von Ikea, das entsprechend gepflegt wird. Etwa mit Sprechern in der Werbung, die einen putzigen schwedischen Akzent haben. Und mit lustigen schwedischen Möbelnamen, die eine Kommode irgendwie menschlicher machen. Dabei hat Ikea mit Schweden nicht mehr viel zu tun. Das Image der Marke wird in den Niederlanden gepflegt, dort hat die Ikea-Zentrale ihren Sitz. Die Ikea-Gruppe gehört einer Stiftung in Lichtenstein. Ein kompliziertes Geflecht, mit vielen Stiftungen, Tochtergesellschaften und Holdings, das vor allem dem Zweck dient, Steuern zu sparen. "Wir halten uns an Standards und Gesetze. Wir mögen es aber nicht, doppelt Steuern zu zahlen oder mehr, als wir müssen", gibt Ohlsson zu. So hält es der Konzern auch mit den Gehältern. Gezahlt wird durchschnittlich: "Der wesentliche Ansporn bei Ikea ist niemals das Gehalt", so der Ikea-Chef. Klingt gar nicht nach Bullerbü.
An Bullerbü haben auch die Gefangenen in DDR-Gefängnissen wohl kaum gedacht, als sie in den 80er Jahren Ikea-Möbeln zusammenschraubten. Der Konzern hat dies in diesem Jahr zugegeben - heikel für das höchste Markengut von Ikea, die Glaubwürdigkeit. Noch funktioniert das Schwedenbild, das Bullerbü-Image bestrahlt die Marke Ikea - doch der Schatten des globalen Konzerns dahinter wird größer.