Das Problem lässt sich relativ leicht lösen: Warum nicht Qualitätsstandards formulieren und ein Instrument entwickeln, um ihre Einhaltung zu überprüfen? Das ist weniger kompliziert, als man meinen könnte. Wir wissen das, weil wir es getan haben: Im Auftrag der Dortmunder "Ruhr Nachrichten" und in Zusammenarbeit mit ihnen haben wir die Ansprüche der Zeitung an die eigene Arbeit in ein Kategoriensystem gegossen. Der Verlag hat nun einen Maßstab, den er Tag für Tag an das eigene Produkt anlegen kann. Und genau das tut er. Jeden Tag aufs Neue erfahren die Redaktionen, ob sie ihre eigenen Standards umgesetzt haben. "Cockpit" heißt das Verfahren. Es ist kein Instrument der Kontrolle, sondern eines, das seit seinem ersten Einsatz fruchtbare Diskussionen anregt.

Die Qualitätsmessung mit "Cockpit" hatte bei den "Ruhr Nachrichten" insgesamt erstaunliche Effekte – erwünschte Wirkungen und auch unerwartete Nebenwirkungen:

- Die Redaktionen einigen sich darüber, was unter Qualität in der Zeitung zu verstehen ist. Qualitätsstandards werden klar formuliert und für alle transparent gemacht. Die Redakteure wissen genau(er), was von ihnen erwartet wird. Sie diskutieren täglich darüber, ob sie den Qualitätskriterien gerecht wurden. Und sie diskutieren auch über die Bedingungen, unter denen bessere Ergebnisse erzielt werden könnten.

- Die Redaktionen entdecken ungeahnte Stärken und Schwächen in der eigenen Berichterstattung. Der neutrale Blick auf die handwerkliche Leistung geht Journalisten gelegentlich verloren – "Cockpit" machte auf einige systematische Schwachstellen aufmerksam.

- Die Redaktionen arbeiten gezielt daran, die Standards einzuhalten und die Qualität zu verbessern. Der Ehrgeiz besteht darin, die Ergebnisse für einzelne Ausgaben, Seiten, Texte zu verbessern.

Nach welchen Kriterien messen wir die Qualität der Zeitung? Zunächst einmal: Wir haben weder eine Wunderwaffe erfunden noch haben wir neue, geheime Methoden verwendet. Unsere Methode beruht auf der bewährten Inhaltsanalyse, die wir in unserer Agentur bei verschiedenen Medien vielfach genutzt, erprobt und verfeinert haben.

Die Kategorien und Kriterien für unsere Inhaltsanalyse speisen sich aus drei Quellen:

- Erstens basieren sie auf den Standards der Journalisten-Ausbildung; also auf Normen, die Journalistenausbilder lehren, Journalismusforscher in Lehrbüchern formulieren und Journalisten verinnerlicht haben (sollten). Zwar gibt es unter Journalismusforschern keinen verbrieften Konsens darüber, was Qualität im Journalismus bedeutet. Nach eigener Forschung zur Qualität und auf Basis des aktuellen Standes wissenschaftlicher Literatur zum Thema behaupten wir jedoch: Die Experten sind so uneins nicht. In der Diskussion geht es eher um Fragen der Zuordnung einzelner Kriterien, um Formulierungen und Bezeichnungen und um die Frage, wie umfassend das Instrument sein muss. Einer Umsetzung in ein praktikables Instrument der Qualitätsmessung steht das nicht im Wege.

- Zweitens orientieren wir uns an Leserwünschen. Dabei rekurrieren wir auf die Ergebnisse der Leserforschung. Das sind Daten, die wir und andere in den vergangenen Jahrzehnten bei Dutzenden Befragungen erhoben haben: Wünschen von Lesern und Nichtlesern, Jugendlichen, Familien oder Singles.

- Drittens berücksichtigen wir die spezifischen Anforderungen des Mediums, dessen Qualität wir messen. Denn wir gehen nicht mit dem gleichen Maßstab an täglich und wöchentlich erscheinende Zeitungen, an Anzeigenblätter und Regionalzeitungen, an Publikumsmagazine und Spezialzeitschriften. Für jedes Medium wird das Instrument neu justiert. Das Cockpit-Instrument der "Ruhr Nachrichten" ist zugeschnitten auf diese Zeitung; es misst allgemeingültige Ansprüche und spezielle, die die Redaktion an sich selbst stellt. So legen die "Ruhr Nachrichten" besonderen Wert auf Zwischenzeilen und Infokästen, während die "Hessisch-Niedersächische Allgemeine" (HNA) bestimmte Standard-Fotomotive vermeiden möchte. Andere Blätter haben andere Standards. Daher ist es wichtig, sich mit jeder Redaktion vor dem Einsatz von "Cockpit" gut abzustimmen. Trotzdem ist das Instrument so angelegt, dass die Ergebnisse mit denen anderer Zeitungen vergleichbar bleiben. Das erreichen wir, indem wir für einzelne Zeitungen bei Bedarf nur die Gewichtung einzelner Kriterien und Dimensionen verändern. Das Gerüst der Messung ist für jedes Medium gleich.

Grundsätzlich beruht die Messung auf vier Qualitätsdimensionen, die ich bereits 1994 entwickelt habe: Aktualität, Richtigkeit, Relevanz und Vermittlung. Diesen Dimensionen ist jeweils ein Bündel an Kriterien zugeordnet. Einige Beispiele:

- Für die Aktualität wird etwa kodiert, ob der Artikel einen Aufhänger hat und wie groß der Abstand zum Ereignis ist.

- Um die Richtigkeit zu messen, wird untersucht, ob alle für den Text relevanten W-Fragen beantwortet werden oder ob zum Verständnis wichtige Informationen fehlen.

- Um die Relevanz zu beurteilen, wird unter anderem überprüft: Welche Nachrichtenfaktoren liegen zugrunde? Wird das beschriebene Ereignis in einen Zusammenhang eingebettet? Werden Konflikte oder Kontroversen dargestellt?

- Für die "Vermittlung" schließlich werden Verständlichkeit und optische Umsetzung begutachtet. Ist ein Text genregemäß umgesetzt? Ist die Überschrift verständlich und macht sie neugierig? Gibt es für die Leser einen Nutzwert, und können sie sich beteiligen?

Meist werden nicht alle Seiten einer Ausgabe untersucht, sondern eine Auswahl: zunächst einzelne Artikel, dann die Seite insgesamt, auch der Blattmix wird berücksichtigt. Die Analyse geht ins Detail: Um zum Beispiel einen längeren Text zu bewerten, werden mehr als 40 Kriterien überprüft. Für Artikel, Bilder sowie das Layout wird dabei jeweils ein Index-Wert ermittelt, der mit einer Signalfarbe unterlegt wird: Die Redaktionen können auf einen Blick erkennen, ob sie sich im roten, gelben oder grünen Bereich bewegen. Auch die komplette Seite sowie die gesamte Ausgabe erhalten Index-Werte. Diese werden grafisch in einem Tacho dargestellt – die Redaktionen nehmen Einblick ins Cockpit.

Dieser externe standardisierte Qualitätscheck betrachtet nur das Ergebnis, wie die Leserin und der Leser es sehen. Produktionsbedingungen sind außen vor: Ob eine Ausgabe von vier oder acht Redakteuren produziert wurde, spielt für das Messergebnis keine Rolle. Alle Texte und Fotos werden mit gleichem Maßstab gemessen – egal, ob sie vom Redakteur stammen, von einem freien Mitarbeiter oder von einem Leser eingereicht wurden. Leser machen keine Unterschiede, "Cockpit" auch nicht.

Verlage, die "Cockpit" eine gewisse Zeit durchziehen, haben mehrere Vorteile:

- Sie können verfolgen, wie sich die Qualität der eigenen Ausgabe entwickelt und gezielt an Baustellen arbeiten.

- Sie können einzelne Seiten oder Lokalausgaben miteinander vergleichen.

- Sie können die Qualität des eigenen Blatts mit der des Mitbewerbers oder anderer Regionalzeitungen vergleichen.

Nicht beantworten kann "Cockpit" allerdings eine Frage: Trifft ein als gut bewerteter Artikel auch den Nerv der Leser, interessiert er die Zielgruppe? Anders gesagt: Stimmen die professionellen Ansprüche der Journalisten in allen Fällen mit den Wünschen und Interessen der Leser überein? Wo gibt es Schnittmengen im Qualitätsverständnis von Journalisten und Rezipienten? Und wo driften die Vorstellungen auseinander? Diesen höchst spannenden Fragen werden wir demnächst in einem weiteren Forschungsprojekt nachgehen – und das Instrument Cockpit weiter entwickeln.