Work-Life-Balance: Mehr Spielraum im Job
Beruf und Privatleben flexibler zu gestalten: diesen Wunsch registriert Personalberaterin Sophia von Rundstedt bei vielen Bewerbern. Im W&V-Interview skizziert sie die Trends.
Beruf und Privatleben flexibler zu gestalten: diesen Wunsch registriert Personalberaterin Sophia von Rundstedt bei vielen Bewerbern. Im W&V-Interview skizziert sie die Trends.
W&V Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitangebote, Home-Office-Regelungen oder Kindergartenplätze: Diese Begriffe prägen meist das Verständnis von Work-Life-Balance. Sie sehen das anders?
Von Rundstedt Nicht anders, nur umfassender. Flexibilität ist wirklich der zentrale Begriff, der die derzeitige Entwicklung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bestimmt. Aber er bezieht sich mittlerweile nicht nur auf Arbeitszeitmodelle oder Kinderbetreuung, sondern meint vor allem auch die freiere Gestaltung von Arbeitsplätzen und Neubestimmung von Positionen.
W&V Das heißt konkret?
Von Rundstedt Arbeitgeber sollten beispielsweise bei der Besetzung vakanter Stellen schon von vornherein die strategische Bedeutung eines ausgeschriebenen Jobs mit den Ansprüchen eines potenziellen Kandidaten abstimmen. Der Vorteil: Arbeitsweisen, Entwicklungsmöglichkeiten und Ziele lassen sich gemeinsam und so flexibel wie möglich planen.
W&V Sie glauben an Karrieplanung anhand von Lebensphasen und wechselnder Berufsorientierung?
Von Rundstedt Ja. Unterschiedliche Lebens- und Altersstufen setzen verschiedene Schwerpunkte: Mal steht die berufliche Herausforderung oder das Projekt im Ausland auf der Agenda, mal die Familiengründung oder die Pflege von Angehörigen. Berücksichtigt der Arbeitgeber die wechselnden Bedürfnisse und Ansprüche kontinuierlich, entwickelt er also wirklich, dann bleibt Führungskräften und Mitarbeitern persönlicher Spielraum, der die Balance zwischen Berufs- und Privatleben ermöglicht und sie besonders motiviert. Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber aus regelmäßigen Mitarbeitergesprächen weiß, in welcher Lebensphase sich der Mitarbeiter befindet und welche privaten Verpflichtungen er schultern muss.
W&V Sie sprechen von maßgeschneiderten Jobprofilen, die gemeinsam entwickelt werden. Ein ungewöhnlicher Ansatz, da sich doch bislang Personalgespräche eher um Vergütung, Einsatzorte oder neue Kompetenzen drehten. Sind Personalmanager und Vorgesetzte hier nicht überfordert?
Von Rundstedt Der neue Ansatz, der verfolgt wird, ist sicher ungewohnt. Teilzeitverträge abzuschließen und Mütter wiedereinzugliedern, ist allen Personalverantwortlichen geläufig. Doch darüber hinaus für Mitarbeiter Einzellösungen am Arbeitsplatz zu kreieren, erfordert eine intensivere Beschäftigung. Zielführende Work-Life-Balance rückt das Individuum in den Mittelpunkt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen lernen, den offenen Dialog zu pflegen, der die Vorstellungen beider Seiten in Einklang bringt. Dafür die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zu überschreiten, Vorstellungen, Wünsche und Ansprüche ehrlich zu kommunizieren, das ist erlernbar. Wenn nötig, helfen geschulte Coaches.
W&V Persönliche Wertschätzung lautet das Rezept?
Von Rundstedt Ja. Jede aktuelle Human-Resources-Studie zeigt, dass gerade dieser Begriff alles umreißt, was der Mitarbeiter spürt, der eine Perspektive im Unternehmen sieht, es voranbringen und sich langfristig binden will.
W&V Ganz so leicht, wie es klingt, ist es in der Praxis aber meist nicht. Gerade in krisengebeutelten Branchen - so auch in der Kommunikationsbranche - sind Vorgesetzte und Führungskräfte doch meist der Meinung, Mitarbeiter könnten froh sein, überhaupt noch einen Job zu haben.
Von Rundstedt Solche Attitüden werden bald überholt sein. Auch wenn es keiner mehr hören mag: Die demografische Entwicklung wird ein Umdenken erfordern. Das gilt auch für die Kommunikationsbranche, in der Kreative nur Höchstleistung erbringen können, wenn sie einerseits als Mensch wertgeschätzt werden - ihre persönliche Work-Life-Balance zählt - und sie durch das Verhalten ihrer Kollegen und Vorgesetzten motiviert werden. Gerade junge Talente, die für einen Job dort interessiert werden sollen, suchen sich ihre Arbeitsplätze nach solchen Kriterien aus. Werden sie enttäuscht, wechseln sie schnellstmöglich. Ganz nach dem Motto „Mitarbeiter suchen sich ein Unternehmen, aber sie verlassen Chefs“.
W&V Ist Work-Life-Balance eine Frage der Führungskultur?
Von Rundstedt Unbedingt - genauso wie der Trennungskultur. Im Berufsleben trifft man sich mindestens zweimal. Der Leumund des Arbeitgebers ist nicht zu unterschätzen.
W&V Achten die Kandidaten, die Sie vermitteln, darauf?
Von Rundstedt Meine persönlichen Gespräche mit potenziellen Kandidaten belegen das in jüngster Zeit immer wieder.
W&V Können Sie Beispiele nennen?
Von Rundstedt Erst in der vergangenen Woche habe ich mit einem versierten Produkt-Manager gesprochen, der sich jetzt, ganz bewusst, nach der „Zwangs-Freistellung“ einen Arbeitgeber sucht, der seine Ideen auch wirklich realisieren will und sie nicht mit einer Menge anderer Konzepte in der Schublade verschwinden lässt. Dieser Marketer vermisste die Wertschätzung für die Leistung und das Erfolgserlebnis, das er künftig haben will. Kein Einzelfall.
W&V Sie besprechen solche Aspekte prinzipiell neben der üblichen Diskussion über Hard- und Soft-Skills?
Von Rundstedt Wir betrachten sie grundsätzlich als Teil der beruflichen Standortbestimmung. Neben Know-how, Skills und Erfahrungsschatz klopfen wir auch die sogenannten Treiber ab. Diese Motivationsgründe sind für die optimale Besetzung besonders wichtig. Sie steuern die Zukunfts- und Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Kandidaten.
W&V Haben Sie Ihre Work-Life-Balance im Griff?
Von Rundstedt Natürlich arbeite auch ich in einer Branche, die viel persönliches Commitment und hohen zeitlichen Einsatz erfordert. Aber meine Gespräche regen mich zum Kurzcheck meiner Situation an. Zusätzlich halte ich als zweifache Mutter Kontakt zu Gleichgesinnten über das Netzwerk „Working Moms“. Der Austausch dort hilft mir zu reflektieren und gegebenenfalls auch nachzujustieren.