Klären wir zunächst, was Künstliche Intelligenz oder Machine Learning überhaupt in einem Suchalgorithmus zu suchen hat: Wer auf Google nach "Urlaub Ko Lipe" sucht, erwartet ja kein GO-Spiel oder ein Gespräch mit einem Roboter, sondern ordentliche Suchergebnisse. Und in den vergangenen Jahren sind diese ohnehin immer besser geworden. Schon lange spielen nicht mehr nur (gekaufte) Backlinks und (übertrieben häufige) Keywords eine Rolle für die Position, denn Google analysiert längst das Verhalten der Benutzer. Wird ein Ergebnis häufiger angeklickt und bleibt der Besucher dann auf der ausgewählten Seite, ist das ein starkes Signal, dass diese Seite ein tolles Ergebnis für die Suchanfrage ist. Mit anderen Worten: Wenn du liebenswerten Content hast, wird dich die Suchmaschine auch lieben. 

Vom Bot gelinkt?

Doch die Analyse der Besuchersignale hat ein fundamentales Problem: Was, wenn es keine Besucher gibt? Wie soll eine neue Webseite im Vergleich bewertet werden? Wie soll der Algorithmus entscheiden, ob diese ein Kandidat für eine gute Ranking-Position ist? Analysierbaren Traffic bekommen ja nur Seiten auf einem der ersten Suchergebnisplätzen. Und so lange eine URL dort nicht gelistet wird, weiß Google nicht, wie die Suchenden darauf reagieren. Ebensowenig weiß Google über die möglichen Rankings für unbekannte Suchanfragen, also Fragen, die noch nie gestellt wurden. Und genau das ist gar nicht mal so selten: Von immerhin 15 Prozent aller Suchanfragen werden die Suchingenieure in Mountain View kalt erwischt. Für diese gibt es noch keine Erfahrung mit schon gelisteten Seiten, also mit Benutzersignalen. Google muss also "kalt" schätzen, welche Seite dazu passen könnte. In diesen beiden Fällen kommt "Rank Brain" und damit die Künstliche Intelligenz ins Spiel. 

Um unbekannte Seiten und unbekannte Suchanfragen einzuordnen, muss Google diese also verstehen. Nicht Wörter oder Sätze miteinander abgleichen, sondern wirklich verstehen, was bzw. welche Frage dahinter steckt.  Was will einer wissen, der auf Google "Urlaub in Thailand"  eingibt? Tolle Hot-Spots in Bangkok und auf den Inseln? Vielleicht aber auch günstige Hotels oder Tipps, was man bei einem Urlaub in Thailand sonst so zu beachten hat. Google muss genau dieses Interesse möglichst umfassend, aber konkret herausfinden und Webseiten anzeigen, die diese Fragen beantworten. 

Um dies zu erreichen, macht Google - einfach gesagt - Tests und analysiert, wie User auf Suchantworten reagieren. Dann sucht der Algorithmus mehr oder weniger selbstständig nach Mustern bei den Seiten, die gut angekommen sind. Gibt es darüber eine ausreichende Datenmenge, kann "Rank Brain" schließlich selbstständig von einer Suchanfrage auf die nächste schließen und einen Tipp abgeben, ob ein Suchergebnis passt oder nicht. Da auch dieser Erfolg (oder Misserfolg) wieder ein Feedback an den Algorithmus sendet, lernt dieser ständig weiter, wird intelligenter.

Das klingt relativ kompliziert und ist in Wahrheit noch viel komplizierter. Paul Haahr musste Anfang März zugeben, dass auch die Google Entwickler "Rank Brain" nicht vollständig verstehen kann.

Und, klar, so ist das, wenn man Intelligenz an eine Maschine auslagert: Kein Entwickler bei Google wird am Ende wissen, warum eine Seite eigentlich eine sehr gute oder eine sehr schlechte Position bekommt. Das kann ihm auch egal sein - Hauptseite das Ranking passt. Wenn nicht, muss der Algorithmus noch weiter lernen. 

Soweit die Theorie. Was fangen wir Online Marketer nun damit an? Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Ich möchte für die operative Arbeit einige Tipps geben: 

Online-Marketer aller Disziplinen vereinigt euch!

Damit meine ich SEOs, Conversion Optimierer, Social Media Gurus und Usability-Manager: Setzt Euch an einem Tisch und hört aufeinander. Denn nur, wenn die Usability stimmt, ist deine Webseite ein gutes Suchergebnis. Nur wenn auch die Facebook-Freunde drauf stehen, nimmt Google die Seite wirklich ernst. Und vielleicht redet Ihr auch mit der PR-Abteilung, denn dort weiß man sehr gut, welche Inhalte bei Influencern prima ankommen. Und nehmt die Redaktion erst - die wissen, wie unsere Leser ticken. 

Denkt semantisch!

Ein Suchergebnis für "Urlaub in Thailand" zeichnet sich inhaltlich NICHT dadurch aus, dass häufig die Phrase "Urlaub in Thailand" drauf steht. Darüber sind wir Menschen uns im Klaren. Einer Maschine wie Google gibt dies jedoch höchstens einen Hinweis darauf, welches Thema auf der Seite am wichtigsten ist. Und selbst mit minimaler künstlicher Intelligenz wird es Google klar sein, dass sehenswerte Hot-Spots in Thailand auch prima zum Suchbegriff "Reiseziele Thailand" passen können. Wie viel Google von manchen Themen schon versteht, kann man unter den Suchergebnissen sehen. Wer bei Google  nach "Urlaub in Thailand" sucht, findet unter den zehn Treffern den Block "Verwandte Suchbegriffe". Und schon mit ein wenig Nachdenken wird ganz schnell klar, welche konkrete Fragen bei Suchverfeinerungen wie "urlaub in thailand erfahrungen / tipps / wohin / gefährlich / kosten / mit Kindern" dahinter steht. Das ist also der semantische Hintergrund - wer diese Fragen ordentlich beantwortet, hat eine gute Chance auf ein gutes Ranking. 

Vergesst die alten SEO-Zöpfe (aber nicht ganz)!

Wenn Google beginnt, Deine Webseite wirklich zu verstehen, dann spielt es eine immer kleinere Rolle, ob das Keyword wirklich drauf steht. Oder dass Backlinks von möglichst vielen Seiten darauf zeigen. Vielleicht reichen in Zukunft wenige Verlinkungen von externen Seiten - aber eben von den richtigen. Steckt also bitte nicht so viel Energie in überkommenes Einbahnstraßen-SEO - arbeitet lieber an guten, informativen Webseiten. Das soll aber nicht heißen, dass nun alles unwahr ist, was noch bis kurzen "SEO" geheißen hat. Denn "Rank Brain" ist laut Andrey Lipattsev, Search Quality Senior Strategist bei Google, immerhin "nur" der drittwichtigste Ranking-Faktor. Lipattsev sagte neulich in einem Hangout auf die Frage, was denn die zwei Ranking-Faktoren sind, die wichtiger als "Rank Brain" sind: "I can tell you what they are. It is content. And it’s links pointing to your site. He wouldn’t say which was more important, so the top three list now looks like this: 1 & 2: Links & Content, 3: Rank Brain."

Übrigens: Es ist kein Zufall, dass Google gerade jetzt mit Neuronalen Netzwerken und Künstlicher Intelligenz antritt. Denn die technische Welt ist nun mal reif dafür. Die Ideen und Algorithmen gibt es schon eine ganze Weile - aber bisher hat es vor allem an Rechenpower gefehlt. Das ist daran zu erkennen, dass auch andere Technologie-Riesen nun mit KI arbeiten: Etwa die Auswahl von Fotos auf der Facebook-Timeline wird seit Ende vergangenen Jahres von Künstlicher Intelligenz ausgesucht. Auch Twitter sortiert seine Tweets auf der Timeline seit Februar 2016 mit KI - was allerdings zu wenig begeisterten Kommentaren geführt hat. Und Instagram geht mit KI gegen Spam- und Hass-Inhalte vor.

Offenbar hängt die Zukunft der Suche also eigentlich von der Zukunft Neuronaler Netzen, Artificial Intelligence und am Ende vom Quantencomputer ab. Und, ja, es gibt noch verdammt viel zu berechnen, bis die Algorithmen von Google wirklich perfekt sind.

Aber eines sind sie schon heute nicht mehr: Mit einfachen Tricks und Kniffen zu überlisten.

Eric Kubitz ist einer der "Digital Leader", eine feste Gruppe von Bloggern, die ihre Meinungen und Kommentare via LEAD digital verbreitet. Mehr zum Autor und den weiteren Mitgliedern der "Digital Leader" lesen Sie hier auf der Übersichtsseite.