Wenn einmal ein Student eines seiner Lieblingsbücher noch nicht gelesen hatte, ein Kafka-Werk oder etwa Friedrich Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker", dann freute sich Walter Jens und sagte: "Sie haben es gut, Sie haben das wunderbare Buch noch vor sich…"Und er meinte es ernst.

Längst schon war er emeritiert, Walter Jens, im Jahr 1990, als er meine Magister-Prüfung abnahm, als einen der drei letzten Prüflinge überhaupt. Jens erzeugte keine Prüfungssituation, setzte sich an eine völlig andere Stelle des Raumes, nicht mir gegenüber und nahm ein Buch zur Hand. Dann begann er vorzulesen, fünf Minuten, zehn, wohl zwanzig Minuten lang, eine Ewigkeit. Er klappte das Buch zu und fragte, ob mir das Buch bekannt vorkäme. Tja, leider musste ich negieren. Den "Anton Reiser" von Karl Philipp Moritz hatte ich nicht gelesen. "Dann besorgen Sie sich das Buch nachher direkt auf dem Heimweg. Es ist es wert", sagte Jens und setzte die Prüfung fort, in dialogischer Weise, über Sprache des Widerstands im Dritten Reich.

Die Kreativbranche hat der intellektuell-kreative Rhetor nie besonders gemocht – im Gegensatz zu den wenigen weiteren Rhetorik-Professoren an der Eberhard-Karls-Universität, die jede Menge Seminare zum Thema Werbesprache anboten. Und doch ist es der Jens-Schule gelungen, einen großen Teil seiner Studenten in die Werbe- und Medienbranche zu führen.

Danke, lieber Walter Jens!


Autor: Jochen Kalka

ist jok. Und schon so lange Chefredakteur, dass er über fast jede Persönlichkeit der Branche eine Geschichte erzählen könnte. So drängt es ihn, stets selbst zu schreiben. Auf allen Kanälen.