
Omnichannel:
Ship from Store: Die Filiale als Mini-Fulfillment-Center
Bei Ship from Store kommt die Ware nicht aus dem E-Commerce-Lager, sondern aus der nächstgelegenen stationären Filiale des Händlers. Damit ist sie oft schneller bei der Kundschaft. Weiterer Vorteil: Die optimale Ausschöpfung des Warenbestandes über alle Kanäle hinweg.

Foto: Shutterstock / Insta_Photos
"Kauf mich!", flüstert die cremefarbene Bluse im Onlineshop einer bekannten Fashion-Brand in verführerischem Tonfall. Ein schmeichelhafter Schnitt, ein schönes Material - und ein verlockend günstiger Preis. Die Kundin ist mehr als bereit, das gute Stück in den Warenkorb zu legen. Doch mit der Größenauswahl folgt die Enttäuschung: Ausgerechnet in Größe 38 ist die Bluse ausverkauft.
Theoretisch bliebe jetzt noch die Möglichkeit, die örtlichen Filialen der Modekette abzuklappern, aber wer will das in Corona-Zeiten schon? In einer anderen Stadt, weit weg vom Wohnort der Kundin, hängt in einer Filiale noch ein Exemplar in Größe 38. Doch davon weiß die Kundin nichts. Auch für den Händler wäre es besser, Bluse und Kundin würden zusammenfinden. Hier kommt Ship from Store ins Spiel.
Picken direkt in der Filiale
Bei Ship from Store wird das Filialnetz eines Händlers oder einer Brand in das E-Commerce-Geschäft mit einbezogen. Die stationäre Filiale dient - neben dem Zentrallager - als zusätzliches Versandlager und wickelt auch Bestellungen über den Webshop oder über einen Marktplatz mit ab. Im Laden wird die Bestellung gepickt, verpackt und direkt zur Kundschaft geschickt.
Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereiches E-Commerce beim EHI Retail Institute
EHI
"Ein großer Vorteil von Ship from Store ist die Schnelligkeit", erklärt Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereiches E-Commerce beim EHI Retail Institute. Je nachdem, wo die Filiale liegt, ist die Bestellung manchmal schneller bei der Kundschaft, als wenn man sie von einem Zentrallager aus verschicken würde. Wenn man einen lokalen Radlogistiker beauftragen kann, ist der Versand sogar nachhaltiger. "Außerdem wird der Kunde so gleich darauf aufmerksam gemacht, dass es in seiner Nähe auch eine Filiale gibt", sagt Hofacker.
Dieser Service hat für Händler auch finanzielle Vorteile. "Gerade für Unternehmen mit einem umfangreichen Filial-Netzwerk kann unsere Lösung schnell viele Tausende Euro im Monat einsparen, da durch intelligentes Order-Routing die Anzahl von Paketen deutlich reduziert werden kann", berichtet Wolfgang Holzhauser, Content Manager bei dem Omnichannel-Lösungsanbieter Shopgate. Weiterer Vorteil von Ship from Store: Der Warenbestand kann über alle Kanäle hinweg optimal ausgeschöpft werden.
Ship from Store als Teil einer Omnichannel-Strategie
Bei einer erfolgreichen Omnichannel-Strategie werden alle Werbe- und Verkaufskanäle eines Unternehmens auf sinnvolle Art und Weise miteinander verknüpft. Ziel ist es, mit Services wie Ship from Store, Click & Collect oder Instore Return ein umfassendes Kundenerlebnis zu schaffen.
Omnichannel-Lösungen werden zum Beispiel von Unternehmen wie Arvato Systems, Fulfillment Tools by Rewe Digital, NewStore, Metapack und Shopgate angeboten.
Die Stärke einer intelligenten Kanalverknüpfung zeigte sich vor allem in der Corona-Pandemie, als viele Ladengeschäfte geschlossen waren. Ship from Store war ein Ausweg, die Ware doch noch an den Mann oder die Frau zu bringen. Da wundert es nicht, dass über die Hälfte (51,9 Prozent) der Versender, die auch ein Filialnetz betreiben, mittlerweile Ship from Store nutzen - so das Ergebnis einer Onlinebefragung von EHI unter 77 großen Händlern in Deutschland, die im April 2021 durchgeführt wurde.
Dienstleister profitierten von einer gestiegenen Nachfrage nach Omnichannel-Lösungen: "Wir verzeichnen ein deutlich gesteigertes Interesse an unserer Lösung 'Ship from Store' in den vergangenen Monaten. Eigentlich jedes Projekt und jede Anfrage beinhaltet auch den Wunsch nach einer Fulfillment-Lösung direkt aus den Filialen oder Läden heraus", berichtet Shopgate-Mann Holzhauser.
"Die Pandemie hat die Einführung von Omnichannel im Einzelhandel beschleunigt", stellt auch Stephan Schambach, Gründer und CEO von NewStore, fest. Schambach ist E-Commerce-Pionier, gründete 1995 Intershop und 2004 die SaaS-Shop-Plattform Demandware. Das 2015 gegründete Start-up NewStore bietet mobile SaaS-Lösungen für diverse Omnichannel Services an und konnte sich im Juli 2021 eine Finanzierungsrunde erfolgreich abschließen, die 45 Millionen US-Dollar in die Firmenkasse spülte.
Neue Lösung vom Intershop-Gründer
Die Software von NewStore läuft komplett in der Cloud, Bestellungen und Bezahlung werden über Smartphones abgewickelt. Für Kunden, die in den Laden kommen und bar bezahlen wollen, kann eine echte Kassenschublade integriert werden.
Geht eine Online-Bestellung ein - zum Beispiel für eine cremefarbene Bluse in Größe 38 - findet die Software die nächstgelegene Filiale, in der diese Bluse vorrätig ist. Auch die voraussichtliche Lieferzeit wird errechnet. Die Verkäuferin in der Filiale wird per Smartphone benachrichtigt und kann sich auf die Suche nach der Bluse machen.
Das Verpacken und versandfertig machen der Ware erfolgt in der Filiale. Das Versandlabel wird noch - ganz oldscool - per Drucker ausgedruckt. Platz für ein Mini-Fulfillment-Center mit Drucker, Packtisch und Verpackungsmaterial muss das Geschäft also haben. Der Auftrag an den zuständigen KEP-Dienstleister zur Abholung der Sendung erfolgt automatisch.
Lohnend ab 20 Filialen
Dennoch: Etwas mehr als einen Packtisch und einen Drucker braucht es schon, um Ship from Store mit NewStore einzuführen. Die Implementierung der Omnichannel-Software kostet - abhängig vom Projektumfang - erfahrungsgemäß 200.000 bis 300.000 Euro, danach wird ein prozentualer Anteil am Umsatz fällig. Sie rechnet sich "ab circa 20 Stores und einem Jahresumsatz ab 50 Millionen Euro", sagt Rudolf Geiger, Director Sales Europe bei NewStore.
Lokale Ein-Stunden-Lieferung in Manhattan
Die dänische Fashion Brand Ganni will Ship from Store bis Ende 2021 einführen - basierend auf NewStore. "Wir starten behutsam und bevorzugen Distribution Center Fulfillment. Wir nutzen die Stores "nur" als Backup. Aber eine lokale Ein-Stunden-Lieferung, zum Beispiel in Manhattan, in Los Angeles oder London ist ein interessantes Konzept, welches das Store-Fulfillment steigern könnte", sagt Anders Lindberg Madsen, Solution Architect & Integration Manager bei Ganni.
Worauf sollten Händler, die Ship from Store einführen möchten, besonders achten? Lindberg Madsen empfiehlt, sich im Vorfeld Gedanken darüber zu machen, wie man Einnahmen und Kosten zwischen den E-Commerce- und den Einzelhandelskanälen sowie zwischen den Filialen aufteilt. Auch die Mitarbeiterschulung hält Lindberg Madsen für wichtig - und "physischen Raum für das Fulfillment in den Geschäften, denn einige haben sehr kleine Backoffices."
Doch auch für kleine Filialen gibt es bereits Lösungen am Markt: Das Münchner Startup Charry zum Beispiel nimmt dem Ladenpersonal die Arbeit des Verpackens und Verschickens ab. Über eine Schnittstelle ist der Ship from Store Provider mit dem Shopsystem und der Warenwirtschaft des Händlers verbunden.
Sobald eine Bestellung eingegangen ist, werden die Auftragsdaten an Charry weitergeleitet. Ein Mitarbeiter des Start-ups holt die Ware in der Filiale ab und bringt sie in ein zentrales Fulfillment-Zentrum, wo sie verpackt und versandfertig gemacht wird.
Text: Bärbel Edel
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