Das Schmähgedicht, das man in die Anführungszeichen setzen müsste, die seinem Verfasser – oder vermutlich eher – dem Vortragenden die ironische und gesetzlich erlaubte Distanz geben sollte, war nicht lustig. Wie die politischen Witze der "heute show" oder die politischen Facebook-Posts von Comedians nur in Ausnahmefällen Spurenelemente von Komik enthalten. Das meiste ist ähnlich vermufft wie das Filterblasen-Kabarett aus dem Schwarzweiß-Fernseher, wo in verrauchten Sälen SPD-Wähler schon losprusteten, wenn nur der Name "Franz-Josef Strauß" fiel. Heute ist der Strauß eine Storch und immer noch reicht bereits der Verweis auf die Physiognomie für einen Höhö-Lacher.

Andererseits – das Gedicht hatte nie den Anspruch lustig sein, sondern wollte nur Schlüsselreize bei der Kundschaft bedienen. Das extra3-Video hatte den Boden bereitet, und die Welle war zu verführerisch, um sie nicht zu reiten. Und alle machen mit und fragen sich: Ist das noch doppelt ironisch oder vielleicht sogar schon dreifach? Ist das Verlesen rassistischer Scheißhausparolen rassistisch oder nicht möglicherweise hochgradig raffiniert? Springer-Konzernchef Mathias Döpfner bekennt, über das Gedicht "laut gelacht" zu haben und nennt es ein "Kunstwerk". Eine Nobilitierung von einer Seite, die selbst Dieter Hildebrandt vermutlich in den Vorruhestand getrieben hätte. Nach quälend langen Tagen kommt endlich die türkische Regierung aus der Reserve und fordert juristische Sanktionen. Fast hat man das Gefühl, die diplomatischen Schritte folgten einer ähnlich einstudierten Choreografie. "Kommt Leute, das Ding war jetzt in allen Zeitungen – jetzt fordern wir seinen Kopf."

Satire muss alles dürfen können und sie muss gegen Macht und Willkür gefährlich sein. Ob es satirisch ist, einen Haufen wüster Beleidigungen in eine Möglichkeitsform zu pressen, auch darüber wurde in der vergangenen Woche viel zu viel gesprochen und die Stilfragen standen dabei meist im Vordergrund. Worüber viel zu wenig gesprochen wurde, ist die Realität, in der Erdoğan die Demokratien Europas gegen ein Schutzgeld erpresst und Flüchtlinge zu Geiseln macht.

Das eigentlich Traurige an dem ganzen Wirbel ist sein sedierender und ablenkender Effekt. Der Hype ist der Hype ist der Hype und eine Geschichte erst auserzählt, wenn die Klickzahlen im Sinkflug sind. Zum Hype wird, was niemanden zwingt, das Haus zu verlassen und jede Referenzierung auf einen anderen Baustein des Hypes hält die Geschichte am Laufen.

Als in der vergangenen Woche Anwohner des Hamburger Björnsonweges die Rodungsarbeiten für ein Flüchtlingsheim verhinderten, indem sie mit ihren geparkten Autos den Anfahrtsweg der Waldarbeiter versperrten, wurde darüber ausführlich berichtet. Das Für und Wider der zu schnellen Bauplanung wurde erörtert und die Klagegründe benannt: Ein Trockenbiotop mit – die Umweltverträglichkeitsuntersuchung weist es aus – zwei Pflanzen der geschützten Art "Feld-Mannstreu" und 18 Stück "Dornige Hauhechel". Hätte sich auch nur ein einziger Journalist selbst in den Björnsonweg begeben, wäre vielleicht sogar die Frage aufgekommen, warum schräg gegenüber vor nicht allzu langer Zeit keine Bedenken gegen 32.207 Kubikmeter umbauten Raum eines Investors aufkamen. Feld-Mannstreu wächst nämlich nur dort, wo man nach ihm sucht. Und ein Hype wächst nur da, wo man ihn macht.

Der Autor: Peter Breuer ist Texter und W&V-Kolumnist. Manchmal parodiert er auch Tchibo-Prospekte.