Natürlich hinkt dieser Vergleich zur Krise der Printmedien, die wahlweise auch eine Journalismuskrise oder ein kaputter Online-Journalismus ist, aber die Nähe zum Wandel durch die Veränderung eines Kommunikationsmittels ist zu verführerisch. Allein: Die Radio- und Fernsehtechniker waren an die Stofflichkeit des Medienträgers gefesselt, während der Journalismus anfangs euphorisch die neuen papierlosen Abspielstationen für seine Inhalte begrüßte.

Der Satz "Der Journalismus ist tot" ist immer häufiger zu lesen und bereits die drastische Wortwahl ist Symptom und Ursache des Phänomens in nur vier Worten. "Der Journalismus hat Schnupfen" liest kein Mensch, und wer lässt sich schon eine deftige Einladung zur Leichenschau entgehen? Was im Text folgt, muss hier nicht beschrieben werden, weil es bekannt ist – es sind im Wesentlichen Variationen eines Themas. Es geht um Monetarisierung von Geschriebenem, Auflagen, die in Grafiken nach rechts unten zeigen, Szenarien eines Roboterjournalismus und das Spagat zwischen Glaubwürdigkeitsverlust und Produktionsdruck. Häufig formuliert von Medienschaffenden, die durch die Penetration des Themas ihre eigene Marke schärfen.

Vielleicht fing das Sprechen des Journalismus über sich selbst genau in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1991 an. Die ganze Welt fieberte damals dem Ablauf des von George Bush an Saddam Hussein gestellten Ultimatums zum Rückzug aus Kuwait entgegen. Es war die Nacht dunkler Bildschirme: Nachthimmel über Bagdad, Tel Aviv und Amman. Erst um 0.50 Uhr bekam Sabine Christiansen die Tickermeldung  gereicht, in Bagdad seien Detonationen zu hören gewesen. 

Eben weil nichts zu sehen war von diesem Krieg, außer dem Rennen um die Meldung seines Beginns, folgte in den Tagen darauf die minutiöse Aufbereitung der medialen Berichterstattung. Die Bilder aus dem Irak waren unscharfe Explosionen in Bomber-Fadenkreuzen – also wurde darüber geschrieben, wie telegen die Fernsehkollegen ihren Job machten. Sabine Christiansen war "die Harzige von den Tagesthemen" ("Spiegel") und Peter Staisch trug in Washington auch im Studio den Schal, der sein damals aktuelles Buchcover zierte.

Als selbstreflektiver Part des Journalismus hatte Medienjournalismus bis dahin im Idealfall seine Leser mit einbezogen und lenkte den Blick auf den Mechanismus, der aus Ereignissen Nachrichten machte. Natürlich gab es längst Kollegenschelte und Eitelkeiten, aber was sich seit jenem Abend mehr und mehr verengte, ist die Perspektive: Ursprünglich waren es Inhalte und ihre Aufbereitung, jetzt wurde der Wettlauf um Informationen und das Schaulaufen der Vermittler rezensiert.

In den Jahren seitdem ging es zunehmend um die verschiedenen popkulturellen Meta- und Zitatebenen von neuen Formaten und inzwischen ist der Medienjournalismus ganz bei sich selbst angekommen und lebt zu Teilen von seinem eigenen Tod.

Häufig wird in den pessimistischen Texten über die Zukunft des Journalismus die stark veränderte Aufmerksamkeitsökonomie des Publikums betont, wobei unerwähnt bleibt, dass auch schon vor dem Internet der leise Langtext über die Probleme der Bienenzüchter am Orinoco viel weniger Leser hatte als der 60-Zeiler über den spektakulären Horrorcrash auf der A7. Es ließ sich eben nur nicht messen, weil das Medium als ganzes Paket auf dem Frühstückstisch lag und kein Controller die Klicks auswerten konnte.

Trotzdem trugen natürlich beide Texte zum Mix und zum Markenbild des Gesamtprodukts Zeitung bei und konnten nicht ohne einander existieren. An diesem Mechanismus hat sich nichts geändert – man muss das Angebot eben wie einen Supermarkt verstehen, in dem Toastbrot ein Schnelldreher ist und das Sortiment ohne den selten gefragten Kreuzkümmel nicht komplett wäre.

Das Relevanzproblem von Medien lässt sich weder allein durch mehr Beiträge mit hoher Aufmerksamkeit, noch durch datengetriebene Interessenserkundung der Leserschaft lösen – es fordert eine neue alte Kultur des Aushaltenkönnens von Inhalten, die schwerer konsumierbar sind und das Tolerieren von Meinungen, die nicht die eigene sind.

Die schiere Zahl von Klicks beweist häufig nur die leichte Konsumierbarkeit von Inhalten und mehr eben auch nicht. Zur Steigerung des Vertrauens in ein Nachrichtenangebot gehört es nicht erst seit heute, eine zwar heiße, aber noch nicht verifizierte Information zurückzuhalten, auch wenn das bedeutet, im Kampf um Aktualität und "Buzz" kurzfristig hinten zu liegen.

Die Anziehungskraft und damit auch der Wert eines journalistischen Produktes war schon vor dem Internet kein solitärer Fixpunkt. Nicht ein einzelner profilierter Autor als Gallionsfigur und auch nicht eine besondere Darreichungsform stehen für glaubwürdige Informationen – es werden immer das gesamte Paket und die transportierte Haltung bleiben, die den langfristigen Erfolg sichern.

Die Nervosität, mit der im Moment kurzlebige Hypes und der jeweils tagesaktuelle Aufreger aus den sozialen Medien journalistisch zweitverwertet werden, führen zu Sodbrennen bei denen, die längst übersättigt sind und zu Unverständnis bei allen, die das Netz nur sporadisch nutzen und Hashtags auf Papier seltsam finden.

Vielleicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um zwanzig Jahre nach den verlegerischen Geldverbrennungsorgien bei dem Versuch, regionale Angebote im Internet zu etablieren, einen Neustart zu wagen. Wissend, dass es damals eine fixe Idee war, lokale Nachrichten für die ganze Welt zu machen, aber dass es nach dem Abbau von Kleinstadtredaktionen inzwischen ein Publikum gibt, die diese Nachrichten aus ihrem unmittelbaren Lebensraum interessieren. Relevanz wird schließlich dann besonders handgreiflich spürbar, wenn die Leser den Realitätsabgleich nachvollziehen können. Nur von weitem betrachtet, ist die Welt kreisrund; geht man näher ran, erkennt man Berge und Täler.

Verglichen mit dem Berufsbild der Radio- und Fernsehtechniker hat der Journalismus noch lange nicht verloren: Zwar ändern sich die Konsumgewohnheiten, aber Text, Bild und Ton funktionieren ebenso gut auf anderen Trägermaterialien. Die Bedingungen haben sich natürlich geändert und es gehört mit Sicherheit sehr viel Hartleibigkeit dazu, in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten zu arbeiten und dabei gleichzeitig seine eigene Arbeit ständig der Kritik in den sozialen Medien ausgesetzt zu sehen. Aber der Wunsch, ein Ereignis, das man nicht selbst erleben konnte, von einem Augenzeugen berichten zu lassen, ist in der menschlichen DNA verankert. Das ist doch eine gute Basis.

W&V-Blogger Peter Breuer nennt sich einfach nur "Werbetexter"  - eine Berufsbezeichnung, die auf Creative Junior Copywriter Evangelists wie eine Eisdiele aus der Adenauer-Zeit wirkt. Er schreibt und konzipiert für Kunden aus zahlreichen Branchen und gilt als einer der besten Texter Hamburgs. Wer daran zweifelt, kennt seine Facebook-Seite und seine Tweets nicht.