Amerikanische Conventions fühlen sich immer ein bisschen an wie Feldmessen für Soldaten, die CMW ist da keine Ausnahme. Laute Musik, aufgeregt schnatternder Agenturnachwuchs, abgeklärte Agenturveteranen, alles ein bisschen religiöser als bei uns, aber auch ein bisschen mehr "Get it done" Mentalität, bessere Organisation und viel Kaugummi.

Worum geht es? Im Grunde ist Content Marketing eine uralte Sache, die das Internet aus dem Halbschlaf geküsst hat. Unternehmen teilen ihr Wissen mit Kunden und unterhalten sie, statt sie immer intensiver mit Werbung zu bombardieren. Relevante Inhalte statt Anzeigen und PR.

Als exotische Spezialdisziplin im Umfeld von Unternehmens-Blogs und Kundenmagazine gestartet, rissen sich in den USA bereits die Marketing-Fachleute das Thema unter den Nagel. Dass sich so gut wie alle Kommunikations-Disziplinen in den Content Marketing-Markt einmischen, hat handfeste Gründe. Aus einer im Oktober 2013 erscheinenden Studie des Content Marketing Institute geht hervor:

– 92 Prozent der US Firmen setzen inzwischen Content Marketing ein (B2B sogar 93 Prozent)

– 60 Prozent wollen ihr Budget noch dieses Jahr weiter erhöhen

– Content Marketing verbraucht damit in diesen Firmen schon 30 Prozent des totalen Marketing Budgets

Content Marketing wird in den USA vor allem als Lead Generierungs-Strategie eingesetzt, aber auch um im Reputationsmanagement oder Employer Branding neue Wege der Kommunikation zu gehen. Transparente Unternehmen schaffen hohe Sichtbarkeit im Markt, Reportagen über Arbeitsbedingungen und die konkreten Herausforderungen im Job locken High Potentials besser an als dümmliche PR-Sprüche.

Die Software-Industrie beginnt sich in den Markt einzuarbeiten: Tools wie "Curata" helfen mit semantischen Funktionen bei der Content-Erstellung, "Kapost" baut ganze Redaktionssysteme rund um Content Marketing. Die generelle Einschätzung zu Technik ist aber: Es gibt genug Tools, sie müssen nur besser verknüpft werden.

Im Interview definiert Joe Pulizzi die größte Baustelle im US-Content Marketing-Markt: 50 Prozent der befragten Unternehmen haben keine dokumentierte Content Marketing-Strategie. Genauer gesagt: Eine präzise Beschreibung der Zielgruppen in Form von Buyer Personas, professionelles Monitoring der Social Media Diskussionen zur Realtime-Themensteuerung, eine Content-Strategie, die ernsthaft versucht transparent und hilfreich über die Firma und ihre Angebote zu informieren, der Einsatz von Social Media als "Verstärker" in einer Gesamtstrategie Content Marketing statt als abgekoppeltes Projekt.

Hier sieht Pulizzi die USA etwa ein bis zwei Jahre vor dem Rest der Welt: „Wir haben unsere erste Runde Fehler gemacht. Jetzt passen wir unsere Strategien an.“ (die kompletten Interviews finden Sie auch im Blog "Narrative")

Jay Bear, Autor der erstaunlich hypefrei geschriebenen Content Marketing-Bibel "Youtility", zitiert auf der Bühne aus einer Google Studie "Zero moment of truth": Im Jahr 2012 werden im Schnitt 10,4 meist digitale Informationsquellen vor einem Kaufentscheidung zu Rate gezogen, fast doppelt so viele wie noch ein Jahr zuvor. "Be a Farmer, not just a Hunter" ruft er den Marketing-Truppen im Saal zu "Help, not Hype". Wer hätte das vor fünf Jahren gedacht.

Four Seasons produziert inzwischen 3.406 einzelne Contents - pro Woche. National Instruments führt uns durch ihre extrem fortschrittliche "Mental Modell" Content Strategie zur Lead-Generierung: Wie bringt man Content und Consumer Needs systematisch zusammen. 60-70 Prozent von B2B Content liegt komplett ungenutzt auf Fimenwebsites. Ich beginne zu verstehen, warum Pulizzi die USA vorne sieht.

Lee Odden, Social Media Spezialist, rechnet vor, das alleine in den letzten zwei Jahren 90 Prozent aller Information im Internet generiert wurden: Kein Unternehmen wird es sich auf Dauer leisten können, KEINEN Chief Content Officer zu beschäftigen. Die Killer-Frage lautet: Welche Firma gibt mir "die beste Antwort"?  "Thought Leadership", also die Themenführerschaft eines Unternehmens auf einem Wissensgebiet, führt zu beachtlichen wirtschaftlichen Erfolgen.

Odden sieht in den nächsten Jahren die Publikationen von Unternehmen als direkte Konkurrenten zu Fachzeitschriften und -Portalen. Adobe "CMO", American Express "Open Forum", aber auch Red Bull sind da Pioniere.

Eines eint aber alle Vorträge zum Content Marketing der Zukunft: Nichts geht mehr ohne professionelle Analyse, Monitoring und laufende Messung der Ziele, der Key Performance Indikators einer Content-Strategie. Wie ein guter Freund, Matthias Protzmann, bei einem Brainstorming ausdrückte: "Big Data ist nicht mehr die Lösung. Big Data ist das Problem".

Jordan Edminston, die größte amerikanische Investmentbank im Bereich Medien und Kommunikation, beziffert den zukünftigen Markt für Content Marketing in ihrem neuesten JEGI Market Update auf über 40 Milliarden Dollar – alleine in den USA. Joe Pulizzi und seine Jünger haben allen Grund, freudig in eine gesegnete Zukunft zu blicken.

Die übrigens auch für Journalisten neue Chancen eröffnet, wie er im Interview erklärt:


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.