Was ist ein Taugenichts?

Und ist es nicht genial, wie Eichendorff mit dem Wort Taugenichts verfährt? Wie er aus der herabwürdigenden negativen Bezeichnung nach und nach eine positive modelt? Das Buch erzählt doch, mit Aristoteles gesprochen, die Geschichte eines Menschen, der "sein bestmögliches Selbst" zur Entfaltung zu bringen sucht. Und der eben nur insofern nichts taugt, als dass er sich zum bloßen Mittel nicht degradieren lässt, sondern seinen eigenen Zweck verfolgt. Die Geige ist es dem Taugenichts, mir war's im Studium, das ich keineswegs mit Blick auf eine spätere Karriere begann, tatsächlich erst mal die Landwirtschaft.

Doch wie das Leben so spielt, stellte sich in den kommenden Jahren heraus, dass Menschen, mit denen ich beruflich in Kontakt trat, meine kommunikativen Fähigkeiten schätzen lernten und immer öfter mit konkreten Problemen Rat bei mir suchten. Plötzlich war ich, ohne es jemals geplant zu haben, selbstständiger PR-Berater, und die Kunst der Kommunikation ist meine Geige! Und bin doch immer noch auch: ein Taugenichts.

Hasso Mansfeld, der junge Taugenichts. (Fotos: privat)

Faulenzer und Teufel

Zumindest, wenn man manchen Stimmen glauben mag. Denn der Berater, das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes. Das ist wahlweise überhaupt kein richtiger Job, "der redet doch nur gestelzt daher und verbreitet Binsen", oder es ist eine wahre Teufelei, man verkauft die Seele an den Meistbietenden, ist ein fieser Propagandist, ein Manipulator der öffentlichen Meinung. Ohn- oder Allmacht, darunter machen es die Kritiker der Taugenichtse nicht.

Zugegeben, es gibt in meinem Metier auch Lügner und Manipulatoren, sicher gibt es auch Berater, die sich mit geringstmöglichem Aufwand durchs Leben blenden. Aber die Beratertätigkeit, wie ich sie nach dem Eichendorffschen Modell verstehe, ist eine fordernde, eine individuell erfüllende, eine anspruchsvolle und genussreiche Arbeit. Wie auch die Geige nicht über Nacht erlernt und gemeistert wird.

Aber was macht er denn nun ganz konkret, der Taugenichts? Werfen wir doch mal gemeinsam einen allgemeinen Blick auf sein Leben (in künftigen Episoden "Aus dem Leben eines Taugenichts" werde ich dann exemplarische Arbeitssituationen genauer vorstellen, natürlich prototypischer Natur, ohne mich auf individuelle Fälle zu beziehen).

Transparenz und Ernstfälle

Wenn ein Kunde sich erstmals an mich wendet, hat er für gewöhnlich eines von zwei Zielen. Er wünscht sich für sein Produkt, was immer das im jeweiligen Fall auch sei, generell mehr Aufmerksamkeit und vor allem mehr Transparenz darüber, was eigentlich verkauft wird. Und wir verkaufen ja alle immer irgendetwas, gerade wer öffentlich kommuniziert, hat für gewöhnlich stets auch ein wirtschaftliches Interesse. Oder es brennt gerade richtig im Haus, die Kacke ist am dampfen, ein Shitstorm zieht herauf, kurz: Ein öffentlicher Skandal rollt an oder hat den Kunden schon überrollt. Beziehungsweise was heute eben so alles zum Skandal taugt und einen #Aufschrei provoziert. Und nun scheint mit der eigenen Perspektive kein Durchdringen.

Oft ist es erst der Ernstfall, der den Wunsch nach generell besserer Unternehmenskommunikation befördert. Im Folgenden möchte ich mich auf diesen für den Leser wohl interessanteren Ernstfall konzentrieren.

Erkenne dich selbst!

Da hat nun also ein Kunde schlechte Presse. Die Berichterstattung kocht hoch, die öffentliche Meinung ist aufgeheizt. Man blockt ab, ist traut sich nicht Rede und Antwort stehen und hofft die Sache einfach auszusitzen, indes: Das klappt nicht. Also will man es von sich schieben, Verantwortung abgeben, einen anderen reden lassen. Auf zum PR-Berater, zum geliebten Taugenichts, der plötzlich wie ein Held in strahlender Rüstung erscheinen will.

Nur: Solch ein Held ist der gute Berater nicht. Zumindest ist das nicht das Bild, mit dem ich mich schmücken möchte. Gewiss, es gibt erfolgreiche Spindoctors, Dealer der öffentlichen Meinung, ich riss das oben bereits an. Man kann auf verschiedene Arten Erfolg haben und sich durchwieseln, die Öffentlichkeit vielleicht austricksen, das ist ein möglicher Weg.


Ein Mischkonzern, der tatsächlich die einige Leichen im Keller hatte und einen der größeren Wirtschaftsskandale der letzten Jahre provoziert hatte, trat etwa einmal mit der Bitte an mich heran, Studien zu eigenen Leistungen zu "lancieren", die man derzeit gerade mit klarer Schlagseite "anfertigen" lasse. "Sie haben doch Kontakte, Herr Mansfeld."


Sicher, aber doch nicht dafür. Ich empfahl dem betroffenen Unternehmen eine genau gegenläufige Strategie zu fahren. Kritischer reflektieren, was bisher in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Die noch nicht entdeckten Leichen selbst ausgraben. Die Hintergründe thematisieren, damit ins Reine kommen. Verantwortung übernehmen, entsprechende personelle Entscheidungen treffen. Und dann volle Kraft voraus. Von dem Kunden hörte ich nie wieder.


Aber andere Kunden fahren gut mit meinem Taugenichts-Verfahren. Denn das bedeutet ganz klassisch-aufklärerisch: Sich selbst bzw. das eigene Unternehmen erkennen. Weniger zu schauen, welche Fehler die anderen machen, als selber erst einmal zu hinterfragen, wo denn die eigene Verantwortung an der eigenen Misere liegt. An den Schwächen im kritischen öffentlichen Dialog arbeiten, aber auch die Stärken aus Angst, Angriffsfläche zu bieten, unter den Tisch fallen zu lassen. So können erste Gespräche schon mal einen therapeutischen Anstrich haben. Denn es geht um Unternehmenskommunikation, und das ist nicht nur externe, sondern auch interne Kommunikation.

PR ist Menschenrecht!

Es braucht dann auch für die weitere gemeinsame Arbeit eine entsprechende Basis. Man muss nicht immer gleicher Meinung sein, man muss außerhalb der konkreten Zusammenarbeit noch nicht einmal dieselben Ziele teilen. Aber man braucht ein gemeinsames Wertesystem, und ganz zentral ist dabei ein gemeinsames Verständnis über die Rolle der Presse im Zusammenspiel mit der öffentlichen Meinung. Hier gilt für mich unhintergehbar: Die Presse darf, ja sie muss die Wirtschaftswelt kritisch durchleuchten, wie jede andere gesellschaftliche Sphäre auch. Die aufklärerische Rolle der Presse ist anzunehmen und nicht trickreich zu hintertreiben oder gar in Frage zu stellen.

Dann kann man oft schon auf einer ganz generellen Ebene mit dem System arbeiten: Denn so frei die Presse ist, ihre Themen zu wählen, so unfrei ist in der Art der Bearbeitung. Trennung von Meinung und Reportage, das Anhören aller Seiten, eigentliche Basics redlichen Journalismus lassen sich umso wirksamer einfordern, je eher man die Berechtigung der Aufklärungsarbeit einer unabhängigen Presse grundsätzlich anerkennt. Auf dieser Basis lassen sich handfeste Forderungen stellen.

Und die muss man stellen. Ich formuliere das gern drastisch: PR ist Menschenrecht. Ich sehe es durchaus als meine Aufgabe an, Organisationen und Wirtschaftszweigen, die es schwerer als andere haben, mit ihrem Standpunkt Gehör zu finden, auf professioneller Ebene zu ermöglichen, die eigene Perspektive darzulegen. So wie etwa auch vor Gericht jeder das Recht auf einen Anwalt hat.

Ich weiß, große Worte für einen Taugenichts. Aber es ist eben so, dass je nach gesellschaftlichen Klima die Haltung bestimmter Gruppen, umweltbewegte NGOs etwa, traditionell gewachsene Fußballvereine oder Anne Wizorek in Berichterstattung und Rezeption einen ganz anderen Vertrauensvorschuss genießen als Hedgefonds, Gentechnikkonzerne, die Glücksspielindustrie oder der RB Leipzig. Manch einer wird jetzt einschreiten wollen: "Und zu Recht!" Aber gerade, dass man darüber in jedem einzelnen Fall wieder neu streitet, ist einer meiner Antriebe.

Spiel, Kampf und Grenzen

Doch natürlich gibt es dann, siehe oben, immer wieder Kunden, mit denen ich die Zusammenarbeit rundweg ablehne. Wo die gemeinsame Wertebasis und die Bereitschaft, auch an sich selbst zu arbeiten fehlen, ist eine Zusammenarbeit nicht möglich. Oder offener formuliert: Wer nicht bereit ist unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation überhaupt zuzulassen, mit dem lässt sich nicht für die Zukunft planen.

Besonders schwierig ist oft das weite Feld zwischen guter PR und eindeutiger Lüge abzustecken, worum in der Beraterbranche seit längerem ein unversöhnlicher Streit schwelt. Hier gilt es klar Farbe zu bekennen, um auch jenen dann manchmal eben doch berechtigten Vorwürfen des Manipulativen die Grundlage zu entziehen. So sind etwa die Herren Professoren Kocks und Merten überzeugt, dass PR quasi das Lügen mit Erlaubnis verkörpere.

Dagegen verwehre ich mich. Und zwar in erster Linie aus pragmatischen Gründen. Nur wer in der Selbstdarstellung mit einer gewissen grundlegenden Ehrlichkeit zu Werke geht, wird langen Atem haben und auf dem manchmal schwierigen Weg nicht über die eigenen Füße stolpern. Überhaupt ist es mit der gezielten Manipulation so eine Sache, auch wo sie sich nicht direkt zur Lüge aufschwingt. Man steckt immer mehr Energie in ein sich verselbstständigendes System, das man, einmal angestoßen, am Laufen halten muss. So kämpft man rasch mehr mit sich selbst als mit den Kritikern.

Eine Ausnahme mag man machen: Wo Kritik ebenfalls unter der Gürtellinie und mit falschen Tatsachenbehauptungen daherkommt, könnten Unwahrheiten im Sinne von Notwehr gerechtfertigt sein. Man sollte mit dieser Annahme nur unter äußerster Vorsicht experimentieren. Denn gerade wo der Gegner sich durch unrichtige Darstellung doch eigentlich diskreditiert, ist es für gewöhnlich weitaus effektiver, dort ganz offen den Finger drauf zu legen, statt es mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Sie merken, man gleitet manchmal leicht in die Terminologie des Kampfes ab, denn auch zum veritablen Wortstreit kann sich die beratende Tätigkeit auswachsen, und ich möchte nicht verhehlen, dass auch das etwas ist, was diesem Taugenichts Befriedigung verschaffen kann. Doch lieber ist mir das Elegante, das Filigrane, die Kunst, eben das Geigenspiel.

Prozesse durchschauen, nicht Personen

Das Spiel mit Kommunikationsprozessen, das am Ende doch stets im Mittelpunkt der Tätigkeit steht. Das heißt, nicht einfach Meinungen in den Äther brüllen und seine medialen Kontakte zu nutzen (die für gewöhnlich sowieso überbewertet werden), sondern auch zuhören lernen, dem Kunden, den Kritikern. In einem Gespräch, etwa mit einer Zeitungsredaktion, vertritt man ja nicht nur offensiv die eigene Position. Man erfährt überhaupt erst einmal aus nächster Nähe: Wie wird die Situation, der Kunde, von außen betrachtet? Was wird an uns herangetragen? Dann: Dem Kunden auch zuhören lehren, anderen, sich selbst, und schließlich: Ein Gespür für und einen Begriff von den Funktionsweisen des medialen und öffentlichen Diskurses gewinnen, insbesondere in Zeiten sozialer Netzwerke der Diskursdynamiken abseits der Leitmedien. Auch, weil heute jeder seine eigene Zeitung, sein eigener Fernsehsender oder Microblog sein kann treibt sich der Taugenichts regelmäßig auf Facebook, Twitter & Co. herum.

Man lernt und lehrt kommunizieren, und getreu nach Watzlawick gilt heute augenfälliger als je zuvor: "Man kann nicht nicht kommunizieren." Weshalb den Kopf einziehen und einen Shitstorm vorüberwüten lassen in den meisten Fällen dann auch keine gute Idee ist.

Perspektiven auf den Taugenichts

Naturgemäß spielt sich von dieser Arbeit vieles eher im Verborgenen ab, was sicher die Vorstellung Einiger erklärt, man sei vor allem auf Blendwerk und süßes Nichtstun beschränkt. Und wenn man dann einmal selbst in der Öffentlichkeit steht, hat es oftmals richtig geknallt. Hier finden die Vorteile über omnipotente und machtgeile Berater wohl ihre Nahrung. Alles eine Frage der Perspektive, ebenso die Herangehensweise an den Beruf und ob man sein Bestes mögliches Selbst zur Entfaltung bringen möchte und den Anspruch auch an andere heranträgt oder ob man Abkürzungen auf dem Weg zum Erfolg sucht.

Eine Frage der Perspektive ist auch, wie ich gezeigt zu haben hoffe, das "taugen" oder "nicht taugen" von Menschen und deren jeweilige Lebensweise. In der Eichendorffschen Novelle ist der Taugenichts etwa grad auf dem Weg nach Italien und durchquert eine idyllische abendliche Szenerie.

"Nur die Heimchen zirpten, und ein Hirt lag drüben im hohen Grase und blies so melancholisch auf seiner Schalmei, daß einem das Herz vor Wehmut hätte zerspringen mögen."

Und was denkt er sich da? "Ja, dachte ich bei mir, wer es so gut hätte wie so ein Faulenzer! unsereiner muß sich in der Fremde herumschlagen und immer attent sein."

Wer wem im Eichendorffschen Werk Nutzen und Nutzlosigkeit, Arbeitskraft oder Faulheit zuschreibt – oft so ganz en passant – ist ein Thema, über das es sich immer einmal wieder nachzudenken lohnt. Und mit diesen Gedanken lässt Sie der Taugenichts nun allein.