Dass in diesem Spiel Werbekampagnen gerne zum Ziel der Erregung werden, liegt an der natürlichen Unterkomplexität ihrer Botschaften, an der leichten Verfügbarkeit von Anschauungsmaterial und vermutlich auch daran, dass Werbung ohnehin oft als störend wahrgenommen wird.

Wird eine Kampagne oder ein Unternehmen zur Zielscheibe der öffentlichen Aufmerksamkeit, fragt kaum noch jemand nach den Ursachen des Ärgers. Mag sein, dass es Übersensibilitäten gibt und Meinungsführer bestimmter Lager, die ihre Popularität aus der Weiterverbreitung schlechter Nachrichten beziehen. Aber andererseits – die Möglichkeit, der Stein des Anstoßes könne tatsächlich wirklich verletzend wirken, wird doch häufig gar nicht mehr gedacht.

Inzwischen gibt es Unternehmen, die einfach patzig reagieren und ihre Kritiker als hypersensibel vorführen, den Werbern fällt selten mehr ein als "Good news are bad news" und die Social-Media-Experten messen in Charts minutengenau die Dynamik der Erregung für ihr nächstes Shitstorm-Panel.  

Und auf der anderen Seite? Muss man wirklich gegen einen doofen Weihnachts-Pappbecher von Starbucks anrennen, weil er nur rot, grün und weiß ist und zufällig nicht die vermeintlich christlichen Symbole der Vorjahre trägt? Nein, man muss sich nicht erregen und es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Dinge nicht vielleicht noch komplizierter lagen und der Shitstorm sogar vom Unternehmen gegen sich selbst ausgelöst war. Denn selbst diese verstiegene Verschwörungstheorie mit einem selbst entzündeten Feuer, in das eigenes Öl gegossen wurde, ist langweilig.   

In einer Ära so vieler ungelöster Probleme und so viel echter Not ermüden diese lauen Befindlichkeiten. Hellblau und rosa verpackte Produkte für den "Kerl" und seine "Lady" sind kein Sexismus, sondern saudumme Rollenklischees und eine Moschee auf einer Flüssigseife mit orientalischem Duft – ach, kommt doch mal wieder runter Leute.

Muss man in einer Zeit, in der es die Pornoindustrie ermöglicht, jede erdenkliche Spielart sexueller Zurschaustellung  mit einem Mausklick abzurufen, überhaupt noch mit sexuellen Klischees arbeiten oder ist das nicht einfach auch mal langweilig geworden? Bezeichnenderweise hat der Werberat in den vergangenen Jahren nur wenige Rügen gegen einige wirklich unappetitliche Ausreißer ausgesprochen. Meistens waren es kleine Unternehmen, denen zu ihrem glatten Estrich nicht viel mehr als ein glatter Frauenhintern einfiel.

Und ansonsten? Die Welt ist so riesig groß und so knallbunt und trotzdem gibt es Journalisten und Werber, die Denkverbote beklagen? Man kann es sich halt auch einreden – wer sich nur lange genug auf einen kleinen schwarzen Punkt konzentriert, wird bald das ganze Blatt schwarz sehen. Bis auf den kleinen schwarzen Punkt. Der ist dann nämlich weiß.

Gerade als Werber fällt es doch leicht, Rassismus, Sexismus und Homophobie abzulehnen, weil diese Ideologien zutiefst menschenfeindlich sind. Ohne ein großes Maß an Menschenliebe lässt es sich gar nicht vorstellen, welche Emotionen und Ideen in Menschen Begeisterung hervorrufen.

Vielleicht sollte man dabei auch mal seine eigene Rolle außer Acht lassen und sich in die Position von anderen begeben. Das wäre eine Sichtfelderweiterung, die nicht nur völlig legitim, sondern auch ungewöhnlich und neu wäre.

Es gibt zum Beispiel ungefähr genauso viele Tennisspieler wie Rollstuhlfahrer in Deutschland – beide Gruppen zählen jeweils rund anderthalb Millionen Menschen. Wenig überraschend: In der Werbung sind deutlich mehr Tennisschläger als Rollstühle zu sehen. Wenn es Rollstuhlfahrer überhaupt ins Layout einer Anzeige schaffen, müssen sie Übermenschliches vollbringen. Unter einem Wheelie mit rauchenden Reifen läuft da wenig.

Angeblich geht es um Identifikation mit den handelnden Personen, aber die entsteht durch den Tennisschläger allein ja eben auch nicht. Menschen mögen Menschen, die empathisch, freundlich, witzig oder geistreich sind. Diese Eigenschaften sind unter Tennisspielern und Rollstuhlfahrern gleich häufig vertreten. Das Thema Behinderung engt die Kommunikation nicht ein; es könnte sie sogar erweitern. Wenn man nur wollte.