"Gammel"-Media

Was niemand sehen will: Es ist die gleiche Mechanik wie bei den jüngsten Lebensmittelskandalen. "Ihr wollt billiges Fleisch?" "Bitte sehr, dann fresst eben Müll." Auch in unserer Branche verdient es daher nichts Besseres als den Begriff "Gammel"-Media.

Die Mediaagenturen lachen sich dabei ins Fäustchen. Sie sind die einzigen und wahren Profiteure dieser bizarren Situation. Eine "Win-Win"-Situation ist nichts dagegen. Sie profitieren von beiden Seiten, von der Schwäche der Medien und deutlich mehr an der Rabatt-Daumenschraube als ihre Kunden. Hinzu kommt: Mediaeinkauf ist billiger als Mediaplanung. Ihre Rendite hat längst ein unter ehrbaren Kaufleuten unanständiges Niveau erreicht. Dennoch stehen sie unter enormem Druck, denn die CEOs ihrer börsennotierten Holdings wollen noch höhere Renditen. Und siehe da: Es geht doch.

Die Geister, die sie riefen

Wie haben wir uns nun angesichts dieser Entwicklung die nächsten Jahre vorzustellen? Hat da mal jemand drüber nachgedacht?  Was ist, wenn immer mehr Qualitätsmedien sterben und die verbleibenden nur noch "Gammel"-Content liefern? Wenn kein Medium mehr investiert? Was ist, wenn die Aufmerksamkeit der Verbraucher noch weiter sinkt und irgendwann, zuallererst bei Online, auf dem nicht mehr fernen Null-Punkt aufschlägt? Waren daran womöglich die Auditoren Schuld, die aus purem Eigeninteresse die Schraube bis zum Anschlag weiter drehten? Oder doch die Mediaagenturen, die ihre Machtposition bis zum Äußersten ausnutzten? Oder die Medien und Werbekunden selbst, die es tatenlos zuließen?

Sie finden, ich übertreibe? Dann lassen Sie sich die folgenden drei Anekdoten aus jüngster Zeit auf der Zunge zergehen: Die Geschichte vom verblüfften Kunden, dessen Mediaagentur ihm kündigte, weil der Agentur-CEO nicht mehr bereit war, die Vertragskonditionen zu erfüllen, die auch dem Kunden Vorteile einräumten. Oder die Geschichte vom enttäuschten Kunden, der sich auf eine Trading-Kampagne einließ, die ihm zwar abenteuerlich viele GRPs lieferte - aber auch eine völlig wirkungslose Kampagne. Oder vom erbosten Kunden, der nach der Zusammenarbeit mit fast allen Media-Networks zur Erkenntnis gelangte, dass den Agenturangeboten grundsätzlich nicht zu trauen sei.

Die Kunden lernen langsam, aber leider nicht voneinander. Sie sprechen nicht mit einer Stimme. Zusammen wären sie stark, aber sie nutzen ihre Nachfragemacht nicht dazu, die eigenen Interessen durchzusetzen. Zumal sie ihre eigenen Interessen nicht mehr zu kennen scheinen. Sie kommen bei einem Agenturwechsel ohnehin vom Regen in die Traufe. Und, nur zur Erinnerung, es waren ursprünglich die Medien-Vermarkter, die das herrschende Agentur-Oligopol erst haben entstehen lassen. Sie stärken es mit jedem Tag und jedem neuen Deal und werden nun die Geister nicht mehr los, die sie riefen.

Gehen wir auf "Reset"

Was also tun? Folgen Sie mir auf eine spannende Reise in eine märchenhafte Vergangenheit:

Es war einmal… ein Dreieck. Es gab Kunden, das waren die mit dem Geld. Nennen wir es "Nachfrage". Es gab Medien, das waren die mit den Werbeträgern. Nennen wir es "Angebot". Und dann gab es Mediaagenturen, das waren die Dienstleister. Sie waren die Berater der Kunden. Man nannte sie "Mittler". Es war eine glanzvolle Zeit mit großartiger Werbung. Alle waren zufrieden. Die Kunden freuten sich über erfolgreiche Kampagnen und loyale Verbraucher. Die Medien besaßen Geld für Innovationen. Und die Agenturen hatten mit ihrer Provision ein gar erkleckliches Auskommen.

Heute verfügen die Kunden nicht einmal mehr über ihre eigenen Media-Gelder. Sie haben, geblendet durch immer höhere Rabatte, die Verfügungshoheit an die Agenturen abgetreten. Heute besitzen die Agenturen das Geld und damit die Macht - und nutzen sie, um die Medien gegeneinander auszuspielen. Das muss man den Agenturen schon lassen: Sie waren immer cleverer als alle anderen. Und sie haben richtig erkannt, dass sich ihre Macht in einem oligopolistischen System sogar ausweiten lässt. Mit Themen wie Trading, Real-Time-Bidding und Big Data erschaffen sie zwar keine wirksameren Kampagnen, dafür bauen sie ihre Macht über Kunden und Medien immer weiter aus. Sie sind sehr schlau.

Mir geht es hier nicht um Schuldzuweisung. Es geht um die Zukunft unseres Werbesystems, das nur einen einzigen Zweck haben darf: Die Angebote der zahlungskräftigen Werbekunden mithilfe gezielt gesteuerter Kampagnen an zufriedene Verbraucher heranzuführen. Um diesen Zustand wieder herzustellen, müsste man sich vorstellen (Vorsicht: Jetzt wird es vollends absurd), dass die Werbekunden im Interesse ihrer Marken selbst lernen, ihre Werbegelder besser durch den Medienwald zu steuern und die Medien-Vermarkter zu einem Wettbewerb um die geeignetsten, weil wirksamsten, Plattformen und Mix-Angebote zu bewegen.

In diesem, zugegebenermaßen unvorstellbaren, Szenario würden die in ihre gerechten Schranken verwiesenen Mediaagenturen die Rolle fachkundiger Berater übernehmen, die im Wettstreit um die wirksamsten (!) Kampagnen stehen. In diesem Umfeld würden sogar endlich wieder neue Mediaagenturen entstehen können. Das Ergebnis wären vermutlich gestärkte Marken und Medien, tatsächlich ein höherer ROI - und Endverbraucher, die Werbung nicht mehr hassen. Ach ja, und Mediaplaner, die einer sinnvollen - ja womöglich intellektuellen und kreativen - Arbeit nachgehen.

Ist das nun Real-Satire? Pure Phantasie? Wunschdenken? Nur einem kranken Hirn entsprungen? Oder gar Idealisierung einer längst vergangenen Zeit? Wenn ich Kunde wäre, würde ich mich nach dieser Zeit zurücksehnen. Und alles in meiner Macht stehende tun, um wieder wirksame Werbung in wirksamen Medien zu erzeugen. Meiner Marke zuliebe.  Entscheiden Sie bitte selbst: Billige GRPs oder Wirkung. Gammelfleisch oder Black Angus…

 Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt ab sofort für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.