
Call a Journalist: Wie Verlage ihre Redaktionskosten drücken
Auch wenn Holtzbrincks "Main-Post" ihr Leiharbeitsmodell auf Eis gelegt hat: Das Thema Zeitarbeit und Outsourcing ist in deutschen Redaktionen angekommen - und damit im Herzstück der Verlage. W&V-Redakteur Thomas Forster hat sich in der Branche umgehört.
Der Deutsche Journalisten-Verband konnte sich das Jubeln nicht verkneifen. Michael Konken, DJV-Bundesvorsitzender, begrüßte die Entscheidung der "Main-Post", die Leiharbeitspläne in der Redaktion nicht weiter zu verfolgen. „Der Missbrauch der Leiharbeit durch fast 20 Zeitungsverlage ist Tarifumgehung in Reinform“, wettert Konken.
Die Meldung, die der DJV versandte, klingt nach einem Triumph für die Standesorganisation. Sie hat nur einen großen Nachteil: Sie stimmt so nicht. Jedenfalls sagt das Main-Post-Geschäftsführer David Brandstätter.
Tatsächlich seien die Pläne nur „auf Eis gelegt“, wie der Verlagsmanager betont: „Wir müssen überlegen, wie es jetzt weitergeht.“ Seine Zeitarbeitsfirma, die Redaktions-Service-Würzburg (RSW), besteht im dritten Jahr und beschäftigt bislang 40 von 130 Redakteuren - auch solche mit Einkommen deutlich über Tarif. Wegen sinkender Anzeigenerlöse setzt der zur Holtzbrinck-Gruppe gehörende Verlag nur noch 60 Prozent mit der Zeitung um. Den Rest steuern Briefgeschäft, Call-Center und Druckvorstufe bei.
Brandstätters Berechnung lautet: „Ein durchschnittlicher Redakteur kostet uns an die 80.000 Euro im Jahr.“ Sein Ziel liege deutlich darunter. In einer Musterrechnung geht die Beratungsfirma Schickler von ähnlichen Zahlen aus: einem Durchschnitt von 75 000 Euro pro Jahr inklusive Lohnnebenkosten. Außerhalb der Tarifumgebung, so die Umstrukturierer und Headhunter, lassen sich die Kosten pro Redakteur auf 40 000 Euro senken - also um fast die Hälfte. Der Posten Personal, weiß Schickler-Chef Rolf-Dieter Lafrenz, liege bei 30 bis 40 Prozent der Gesamtkosten, plus jährliche Tariferhöhungen zwischen einem und drei Prozent. Lafrenz: „Wo sonst kann ein Verlag heute noch solche Beträge einsparen?“ Für ihn ist die Stoßrichtung klar: „Das Ausgründen und Outsourcen wird weitergehen.“
Der vermeintliche (Sünden-)Fall am Main zeigt eins: an Leiharbeit von Redakteuren scheiden sich die Geister. Es geht nicht wie in den vergangenen Jahren um die Druckerei-Branche oder um das Sekretariat. Vielmehr geht es ans Eingemachte, ums Kerngeschäft. Früher verband man Leiharbeit mit der Metallindustrie und vor allen mit den Automobilherstellern, die so ihre schwankende Auftragslage ausgleichen. Mittlerweile ist die Leiharbeit längst nicht mehr auf diese Branchen beschränkt. Erste Anfänge sind in den Verlagen seit den neuziger Jahren zu beobachten. Doch noch vor wenigen Jahren waren die Redaktionen von Tageszeitungen meist ein Tabu.
Jetzt sind Leiharbeit und Outsourcing Alltag geworden, wenn auch noch mehr oder minder im Verborgenen. Die Namen der Verleiher aus dem recht neuen Dienstleistungsgewerbe dürften nur wenigen geläufig sein: Sie heißen Topas, Browa oder Nordwest Personaldienstleistungsgesellschaft (NWP) - und sie stehen zweifellos für einen Trend.
Dagegen kennt deren Auftraggeber jedes Kind, zumindest in der jeweiligen Region. Die "Allgemeine Zeitung" in Mainz gehört laut DJV dazu (Topas), "Weser-Kurier" und "Nordwest-Zeitung" (beide NWP) sind dabei oder Madsack-Heimatzeitungen (Browa). Die "Leipziger Volkszeitung" zum Beispiel beschäftige elf Leihredakteure, hat der DJV ausgerechnet. Bei Madsacks "Waldeckischer Landeszeitung" liege der Anteil bei einem Viertel der Redaktion, so der DJV, bei der "Frankenberger Zeitung" stellen die Hilfskräfte fast die komplette schreibende Mannschaft. Die "Nordwest-Zeitung" beschäftigt ver.di-Schätzungen zufolge von ihren 370 Arbeitnehmern etwa 60 Leiharbeiter. Laut ver.di verdient ein Leih-Redakteur bei der Nordwest-Zeitung im Monat - je nach Beschäftigungsdauer - zwischen rund 440 und fast 2000 Euro brutto weniger als sein festangestellter Kollege.
Dabei ist Leiharbeit nur eine Spielart, Outsourcing ist eine andere. Ganze Redaktionen wandern mehr oder weniger stillschweigend in Unterfirmen. Einer der ersten war die "Rhein-Zeitung". Geschäftsführer Walterpeter Twer leitete 1995 den „Systemwechsel“ in Koblenz ein. Twer teilte den Verlag schließlich in mehrere Redaktions-GmbHs.
Mehr dazu in der aktuellen W&V (ET 28. Januar).