Es gibt keine Verleger mehr und keine Verlage. Freischaffende, gut vernetzte Blogger haben die digital-journalistische Weltherrschaft übernommen. Sie distribuieren ihre Beiträge via Social Networks und finanzieren sich aus Crowd-Sourcing. Gabor Steingart ging für seinen Ausspruch "Bloggen ist Hartz4-Niveau" ins freiwillige Exil.

Burda hat sich komplett in Zooplus umbenannt und zusammen mit HuffPo die Überreste von Bertelsmann (inkl. RTL) für einen symbolischen Euro übernommen. Helmut Thoma, der nur 50 Cent (nämlich eine Mark) zu investieren bereit war, wurde überboten. Die ProSiebenSat1 AG ging an Electronic Arts, die daraus einen Games-Vertriebs-Channel machten - was niemanden wirklich überraschte.

Springer, SWMH, WAZ, Ippen, Dumont Schauberg - alle großen Zeitungshäuser sind zusammengebrochen. "FAZ", "Handelsblatt" und "Zeit" wurden davor bewahrt, zusammengelegt und in "Digital IQ Monitor" umbenannt. Eine Printausgabe erscheint noch zweimal wöchentlich; ihre Auflage hat sich inzwischen bei 240.000 eingependelt.

Paid Content hat komplett versagt. Alle Medien sind digital und kostenlos. Sie werden ausschließlich über Werbung und Equity Deals finanziert. Die durchschnittliche Klickrate ist von ehemals 0,2 Prozent auf ein Rekordtief von 0,05 Prozent gefallen. Das stört jedoch niemanden, weil durch extrem teures Targeting Klickraten von bis zu 0,075 Prozent erreicht werden können.

In jedem Wirtschaftszweig der modernen Medienwelt gibt es einen einzigen Plattform-Weltmarktführer: Google, Facebook, Ebay, Amazon, TripAdvisor, Apple & Co. Beim Digital TV ist es inzwischen AppleTV, das in jedem Land eine Allianz mit dem führenden Telco-Anbieter einging. Herkömmliches Fernsehen findet auf YouTube statt.

Szenario 2: Die Werbung und Media

Die ehemals mächtigen Werbekonzerne mit ihren weltweiten Werbe- und Media-Agentur-Netzwerken haben inzwischen Google und Facebook unter sich aufgeteilt.

Die digitalen Werbeplattformen der Medien werden längst über Ebay- und RTB-Auktionen abgewickelt. Der Vertrieb der wenigen, verbliebenen Printmedien ist Amazon zugefallen. Presse-Grosso und der stationäre Buchhandel sind passé. Ausgestorben. Wie seinerzeit die Dinosaurier.

Die meisten Werbe-Medien werden von digitalen Buchungssystemen in Realtime angesteuert. Die ehemaligen Vermarktungschefs, Sales Manager, Anzeigenleiter, Verlagsrepräsentanten und Sachbearbeiter wurden obsolet. Es gibt sie nicht mehr. Dafür immer mehr ITler, Pricing-Experten, die aus der Versicherungsbranche angeworben wurden - und Callcenter für Reklamationen. In Bangladesch…

Nachdem der Digital-Anteil der Werbespendings die 80 Prozent-Marke durchbrach, stellte Nielsen Media Research die Beobachtung der Werbeaufwendungen in analogen Medien ein. Danach sich selbst.

Trading, hochrabattierte Kontigentbuchungen seitens GOOMA, der Google Mediaagentur, sind längst Standard geworden. Mediaplaner, Mediaforscher, Optimierer und Einkäufer wurden durch hochintelligente Maschinen ersetzt. Automatisiertes Hyper-Tracking steuert selbständig Zielgruppen und Werbemittel aus. Der Begriff "Zielgruppe“ wurde aus dem Marketing-Repertoire gestrichen und durch "Ziel-URL" ersetzt.

Das digitale Medieninventar ist pure Commodity: Billig zu planen, billig zu buchen, billig zu haben.

Szenario 3: Media und die Kreativagenturen

Alles, was nur irgendwie digitalisiert werden konnte, wurde automatisiert und durch Algorithmen ersetzt. Schließlich hatten es alle so gewollt: Kunden, Medien und interessanterweise sogar die Mediaagenturen selbst. Eine Mediaagentur, die früher Milliarden Werbegelder betreute, würde heute in eine Kaffeeküche passen. (Die ebenfalls nicht mehr benötigt würde, weil Computer erstaunlich wenig Kaffee trinken.) Media findet in der Cloud statt. Wir werden alle sterben.

Die Wahl der Mediapersönlichkeit des Jahres wurde ohnehin zur Farce, als ein bis dato unbekannter Algo Rithmus gewann…

Herkömmliche Werbeagenturen, soweit nicht von Google und Facebook übernommen, konnten durch preiswerte, freischaffende, vernetzte Teams ersetzt werden. Der Großteil der Kreation entsteht gleich an den Rechnern der Mediengestalter. Erste Kreativprogramme, die Kreation völlig eigenständig erstellen, sind bereits auf dem Markt. Noch vor den Grafikern wurden die Texter durch Siri ersetzt.

Szenario 4: Die Marken und Marketing

Haben wir etwas vergessen? Ach, natürlich: Das Marketing. Zunächst wurde es als "Vertriebeting" neu positioniert, um dann komplett von Modeling-Systemen ersetzt zu werden. In verstaubten Marketing-Clubs treffen sich Greise und fabulieren davon, dass früher alles besser war.

Marken? Sie waren schlichtweg nicht mehr nötig. Nachdem die Markenloyalität ihren Tiefpunkt erreicht hatte und die Individualisierung immer weiter voranschritt, ging der Endverbraucher dazu über, seine eigene Markenwelt am 3D-Drucker selbst zu gestalten. Diese Entwicklung war abzusehen, nachdem die etablierten Marken die Bedürfnisse der Verbraucher über ein Jahrzehnt hinweg ignoriert hatten.

Nach dem Werbeverbot für Zigaretten, Alkohol, OTC-Präparate, Süßwaren, Bio-Gemüse und Barbie-Puppen erwägt die EU-Kommission in Ermangelung einer Markenwelt nun ein generelles Werbeverbot.

Aus die Maus

Entwicklung kann man nicht aufhalten, heißt es so schön. Sie hat seit jeher Jobs gekostet. Früher waren es die Setzer. Heute die Lokaljournalisten und Anzeigenverkäufer. Und morgen wir alle. Wenn alle Medienmenschen, Marketer und Werber in einigen Jahren keinen Job mehr haben, weil sie ausschließlich die Digitalisierung, Automatisierung und Bigdataisierung mit Vehemenz und vorauseilendem Gehorsam vorangetrieben haben (statt ihnen einen angemessen Platz im Werbegeschäft zuzuordnen), stört mich das wenig.

Macht nur. Vielleicht kriegt man das ja schon in vier oder fünf Jahren hin. Man will ja nicht hinter der Entwicklung zurückbleiben. (Schauen Sie sich aber vorher bitte mit Wehmut die diesjährigen Cannes-Grand Prix-Gewinner an - womöglich die letzten Kampagnen, die noch mit Leidenschaft, Herzblut und Zielgruppen-Liebe gemacht wurden.)

Fakt ist, dass die Wirtschaft und mit ihr jede Entwicklung in Wellen verläuft. Und dass es zu jeder Bewegung eine Gegenbewegung gibt. Vielleicht gründet ja doch jemand eine Zeitung, die zeitgemäß und relevant ist. Vielleicht gründet doch jemand eine Marke, die ihren Käufern zuhört. Vielleicht gründet doch jemand eine Mediaagentur, die sich wieder mit den Medien selbst und ihren Zielgruppen beschäftigt.

Wahrscheinlich aber nicht. Ich kann keine Gegenbewegung erkennen. Ich sehe nur Lemminge, die eifrig daran basteln, ihr einstmals attraktives Gewerbe zu vernichten.

Aber sagt später nicht, ihr hättet es nicht gewusst…

Thomas Koch, Agenturgründer, Ex-Starcom-Manager, Wirtschaftswoche-Kolumnist, Herausgeber von "Clap" und Media-Persönlichkeit des Jahres, bloggt ab sofort für W&V. Er ist "Mr. Media".


Autor: Thomas Koch

Eine Ikone der Branche. Der Agenturgründer und frühere Starcom-Manager kennt in der Media-Branche alles und jeden. Thomas Koch ist Mr. Media.