Wie inszeniert wirkt auf Sie dieser "Spiegel"-Artikel? Hat Diekmann eher den "Spiegel" instrumentalisiert oder profitiert der "Spiegel" hier von Diekmanns Drang zur Selbstdarstellung?

Der "Spiegel" lässt sich nicht instrumentalisieren. Und Diekmann ist klug genug, dass nicht zu probieren. Der Artikel ist gut gedacht, skeptisch in seiner Betrachtung und wunderbar formuliert. Ein gutes Lesestück. Obwohl Diekmann und Kollegen nicht glänzen und als alte Männer einer neuen Welt bewertet werden, wird der Artikel doch seine Wirkung entfalten. Denn er beweist der meinungsbildenden Öffentlichkeit und der werbetreibenden Industrie, Diekmann meint es ernst und ist wild entschlossen. Er ist zwar in Palo Alto ein Alien, aber wenn er zurück kommt, ist er uns "Medienexperten" eben doch um einige Monate und 8000 Kilometer voraus. Wir reden zwar alle mit, aber waren nicht vor Ort. Das macht einen Unterschied.

Hätten Sie Diekmann zu so einem Artikel geraten?

Kai Diekmann weiß alles besser, er braucht keine Ratschläge. Der Artikel schmeichelt ihm nicht, ist aber auf Sicht wert- und wirkungsvoll. Getreu nach dem Motto: Ihr redet - ich mache es.
 
Wie authentisch ist dieser Springer-Trip überhaupt? Die Männer-WG der Top-Manager, der freitägliche Umzug zur Familie ein paar Wohnblocks weiter, die Kleidung.... Muss man sich als Medien-Manager heutzutage als Digital-Nerd verkleiden, um als innovativ durchzugehen?

Wenn man es ernst meint, muss man sich auch auf die Community mit Haut und Haaren einlassen. Dort mit Einstecktuch und Krawattennadel auf- und abzulaufen riefe nur Kopfschütteln und Abwehrverhalten hervor. Außerdem sind die Zugänge besser und das Erlebnis höher, wenn man sich als Teil der "Auserwählten" fühlt. Das scheint mir richtig und nachvollziehbar. Für die Glaubwürdigkeit ist es sogar noch wichtiger. Das dokumentiert: 'Ich habe das Alte hinter mir gelassen und verändere mich'. Als Chefredakteur (selbst im Sabbatical) ist das ein starkes Bild, das auch die Medienmarke selbst in der Wahrnehmung verändert.
 
Im Sommer kommt Diekmann wieder nach Berlin. Wie muss er sich dort geben? Zurück in den Anzug oder zwingt ihn das neue Image jetzt auf Dauer in die Chucks? Wird er tatsächlich der Digital-Innovator oder bleibt er der ewige "Bild"-Chef?

Er bleibt "Bild"-Chef, das ist schließlich sein Job. Wobei "Bild" mehr ist als die Zeitung. Er ist der Mann, der mit seiner Redaktion den Mehrwert schafft, der sich verkaufen lässt. Mit der Redaktion kippt auch das Geschäftsmodell. Was nun folgt ist nur die Verlängerung der Dareichungsform und Entwicklung neuer Erlösstränge. Er wird zurück ins seinen Anzug schlüpfen. Neben der Kanzlerin mit Sneakers und 4-Tage-Bart gibt man kein gutes Bild ab. Schon gar nicht, wenn man Größe und Zukunftsfähigkeit darstellen will.
 
Welche Rückkoppelung sehen Sie darin für die "Bild"? Schadet oder nutzt der exzentrische Auftritt dem Blatt als Marke? 

Die Leser am Büdchen werden kaum was davon mitbekommen - da gibt es keine Gefahr. Aus Markensicht passen Diekmann und "Bild" wunderbar. "Bild" ist ja selbst eine sehr extrovertierte Marke. Die befruchten sich gegenseitig. Dass ein Medienmensch die mediale Darstellung liebt, ist nachvollziehbar. Hätte er sonst diesen Job? Was bei uns übertrieben wirkt, ist bei Diekmann passend. Aber natürlich wird der Großteil der Meinungsbildner den Kopf schütteln ob dieser Nabelschau und sich doch heimlich im stillen Kämmerlein wünschen, sie könnten auch mal ein Jahr auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Steve Jobs wohnen. Stellen wir uns einmal vor: Diekmann und Co. hätten diesen großen Aufwand gemacht und niemand hätte jemals davon erfahren. Das wäre für die Marke "Bild" eine traurige Geschichte.


Autor: Anja Janotta

seit 1998 bei der W&V - ist die wohl dienstälteste Onlinerin des Hauses. Am liebsten führt sie Interviews – quer durch die ganze Branche. Neben Kreativ- und Karrierethemen schreibt sie ab und zu was völlig anderes - Kinderbücher. Eines davon dreht sich um ein paar nerdige Möchtegern-Influencer.