Wer meint, einen Twitter-Stream zu einer Live-Sendung anzubieten, sei die Speerspitze der Innovation, zeigt fehlendes Verständnis für das Verhalten in einer Welt von Digitalität und Social Media. Die TV-Sender verlieren eine ganze Generation, ohne es zu merken. Um diesen Mangel zu beheben, müssen alle Beteiligten im Sinne des Kunden zeitgemäß, innovativ und mutig sein. Wenn es um die Bereitstellung von Unterhaltungsangeboten geht, liegt Deutschland im internationalen Vergleich um Lichtjahre zurück. In den Vereinigten Staaten bieten Freemium-Dienste wie Hulu oder Abo-Anbieter wie Netflix nutzerfreundliche Geschäftsmodelle an, indem sie beispielsweise neueste Folgen beliebter Serien zum Streaming bereitstellen und eine umfassende Mediathek auf Abruf vorhalten. Nicht mehr der Besitz von Entertainment-Inhalten ist für Konsumenten relevant, sondern der Zugang zu ebendiesen. Übrigens ist dies eine Forderung über alle Altersgrenzen hinweg.

Das betrifft natürlich nicht nur die Inhalte, sondern auch den technischen Zugang zu Content. Denn in der Debatte um die Zukunft des Fernsehens wird neben der Qualität der TV-Inhalte auch über neue Beschaffungswege und die veränderte Mediennutzung der Fernsehzuschauer diskutiert. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass ein Teil der Fernsehzuschauer auf die Video-On-Demand-Angebote der Sender zugreift, die Zuschauer also nicht verloren gehen oder abwandern sondern zusätzlich den so genannten "Second Screen", also PC, Tablet oder Smartphone nutzen.

Aber warum machen wir es in Deutschland dem Konsumenten derart schwer? In der Tat leben wir bereits in einer Multiscreen-Realität, in der immer mehr Menschen Inhalte zu jeder Zeit und unabhängig von einer Programmabfolge konsumieren möchten. In dieser Realität läuft das TV-Gerät Gefahr, zum Screen von gestern zu werden, der außer dem linearem TV keine Innovationen zu bieten hat. Selbstverständlich gibt es Video On Demand auch nativ auf dem Fernsehbildschirm. Die allseits propagierte Smart-TV-Lösung der Hersteller von Unterhaltungselektronik führt in die falsche Richtung, weil einzelne Anbieter singuläre Lösungen im Markt platzieren wollen. Geschlossene Systeme als Insellösung werden jedoch von den Konsumenten abgelehnt und fallen somit als nachhaltiges Geschäftsmodell aus. Wir sind überzeugt, dass dem geräte- und plattformunabhängigen Entertainment über alle Kanäle die Zukunft gehört. Der Konsument wird zum mündigen Programmdirektor.

Das Angebot für Inhalte, die konsequent "crossplattform" genutzt werden können, ist erst in der Entstehung. Der Mehrwert dieser Möglichkeiten ist noch längst nicht ausgeschöpft. Dies sollte als positive Chance in Angriff genommen werden. Gefragt sind deshalb plattformübergreifende Konzepte mit einem offenen Ökosystem, das den Nutzer in den Mittelpunkt stellt und den Marktanbietern neue Chancen aufzeigt, Inhalte zu vermarkten. Das Fernsehen muss sich jetzt die Möglichkeit erschließen, jeden Zuschauer höchstpersönlich und individuell zu gewinnen. Das geht nur mit einer intelligenten Multiscreen-Strategie, die den plattformunabhängigen Zugang über TV, PC, Tablet und Smartphone bis zur Spielekonsole ermöglicht.

Insgesamt ist die Debatte um die Qualität des Fernsehprogramms nicht konstruktiv, wenn wir nicht anfangen, auch die technischen Möglichkeiten mit den Wünschen und Anforderungen der Menschen zusammenzubringen. Technik ist einer der Lösungsparameter, der allerdings in der Ansprache zu den Konsumenten tunlichst im Hintergrund verbleiben sollte. Konsumenten erwarten Experiences. Voraussetzung sind und bleiben demnach die Inhalte. Nichts gegen "Musikantenstadel" und "Wetten dass…?" – wenn Mischung und Vielfalt stimmen und für jeden überall und zu jeder Zeit verfügbar sind. Deutschland hat besseres Entertainment verdient, oder?


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.