Wie haben sie sich denn diese Frage beantwortet, wer ihr Publikum ist? Dem Bayerischen Rundfunk wird ja nicht unbedingt ein junges Publikum nachgesagt, dem Social Web schon recht deutlich.

Als jemand, der seit Jahren im Fernsehen und im Netz unterwegs ist, habe ich gelernt, dass unser Publikum, auch das TV-Publikum, nicht das gleiche ist wie vor zehn Jahren. Im Netz gibt es immer mehr "normale" Menschen, nicht nur Geeks und Nerds. 78 Prozent der Deutschen sind inzwischen online, jeder Dritte hat ein Smartphone. Es sind inzwischen mehr über 60-Jährige online als unter 20-Jährige.

Das liegt an der demographischen Struktur.

Ja, aber lassen Sie sich trotzdem mal darauf ein: Das sind wirklich viele Menschen. Wollen Sie die außen vorlassen? Ich würde mich freuen, auch ältere Zuschauer des BR mit der Rundshow anzusprechen. Und im Internet sind die Inhalte wichtiger als die Plattform. Die Leute finden schon das, was sie interessiert.

Sie setzen mit Rundshow den Social-TV-Gedanken sehr umfassend um. Können Sie den Redaktionsablauf skizzieren?

Der Online- und der TV-Chef vom Dienst beginnen morgens um sechs und sichten die Nachrichtenlage – klassische Agenturen und Medien wie auch Social Web. Um Zehn setzen sie sich mit dem Team zusammen und stellen die ersten Themen vor. Dann treffen wir uns mit den Kollegen der BR-Rundschau. So kristallisieren sich die potenziellen Themen des Tages heraus. Die besprechen wir in unserer live gestreamten Redaktionskonferenz um 14 Uhr. Daran können die Zuschauer über ein Google+ Hangout oder Facebook teilnehmen und mitdiskutieren. Anschließend planen wir die Sendung, erstellen Beiträge, laden den Gast ein.

Soll die Rundshow auch neue Zuschauer zum BR bringen oder ist er nur die Plattform für das Experiment?

Ich kann nicht sagen, was die Ziele des BR sind. Mir geht es darum, mal endlich nicht nur zu reden, sondern einfach Dinge auszuprobieren. Wir wollen in diesen vier Wochen so viel wie möglich lernen. Der zweite Punkt ist zu sehen, ob diese Mittel nicht auch für ganz klassische Sendungen Sinn ergeben würden. Wenn etwa in einer Bürgersendung nicht nur die im Wirtshaus ihre Meinung sagen können, sondern auch die vor dem Fernseher via App.

Sie sind nicht der Einzige, der ein digitales Medienkonzept mit Hilfe der Öffentlich-Rechtlichen stemmt. Der Elektrische Reporter läuft beim ZDF, das auch im Social Web gut dabei ist. Inhaltliche Breite wie der Erfolg der Tagesschau-App sind spätestens durch die Verleger-Kritik auch allgemein bekannt. Sind am Schluss die "alten" Öffentlich-Rechtlichen innovations- und experimentierfreudiger als die privatwirtschaftlichen Medien?

Gute Frage. Hätten Sie mich vor ein, zwei Jahren gefragt, hätte ich gesagt: Wir machen verdammt wenig. Es ist eine Entwicklung der letzten Monate, dass wir uns intensiv um diese Kanäle bemühen – genauso, wie es in den Verlagen der Fall ist. Es sind viele gute Dinge auf dem Weg. Jetzt ist die Zeit, zu experimentieren. Jetzt müssen wir unsere Hausaufgaben machen für den Punkt, an dem die Mehrheit digital konsumiert. Das wird TV genauso treffen wie Print. Auch die Musikindustrie wähnte sich Anfang der 90er in Sicherheit.

Können die Öffentlich-Rechtlichen in dieser Experimentierphase Vorreiter sein, als Labor für Konzepte?

Absolut. Das sähe ich sogar als unsere Aufgabe. Wenn sie Gebühren zahlen, haben Menschen auch den Anspruch, dass wir nicht nur die Vergangenheit abbilden, sondern an zukunftsweisenden Dingen arbeiten, von denen dann alle profitieren. Die ganz große Medienrevolution steht uns erst noch bevor. Social TV ist nur ein Vorgeschmack.

Zurück zur Gegenwart: Ab wann wäre die Rundshow für sie ein Erfolg? Ab bestimmten Kennwerten oder schon dadurch, dass Sie das Projekt umsetzen können?

Ich habe darauf keine wirkliche Antwort. Ich weiß auch nicht, ob die Rundshow die Antwort ist. Aber zumindest kennen wir jetzt die richtigen Fragen, die man sich stellen muss, wenn man in diese Richtung geht. Wir sind jetzt schon um ein Vielfaches klüger, als wir es vor zwei, drei Monaten waren. Denn wir haben uns jeden Tag mit juristischen, technischen, inhaltlichen Fragen beschäftigt, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie stellen müssen. Wenn die Zuschauer dann auch noch mitgehen und uns bei Facebook liken, wäre das aber auch nicht ganz verkehrt.


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.