Kommentar zur US-Wahl:
Sind wir nicht alle ein bisschen Trump?
Man kann die Wahl von Trump auf das Versagen von Medien und Marktforschern reduzieren. Aber es ist leider viel unbequemer: Willkommen in der Welt des Populismus, die wir selbst mit erschaffen haben. Ein Kommentar von Frank Zimmer.
Willkommen im postfaktischen Zeitalter, schrieb heute ein Kollege auf Facebook. So kann man die Wahl von Donald Trump und das damit verbundene Desaster von Medien und Marktforschern sehen. Aber es geht leider noch einfacher: Willkommen in der Realität. Willkommen in der Welt des Populismus, die wir selbst mit erschaffen haben.
Moment mal, werden Sie jetzt sagen. Was habe ich mit Populismus zu tun? Was mit einem großmäuligen Bauunternehmer, der peinliche Frisuren und viel zu weite Anzughosen trägt? Jemandem, der Fakten verdreht und Minderheiten diskriminiert?
Genau das ist das Problem. Denn wenn wir über Populismus reden (und das werden wir heute noch oft tun), ist es immer der Populismus der anderen. Wenn wir Intoleranz anprangern, dann nie unsere eigene, und wenn wir uns über gesellschaftliche Gruppen wundern, die sich manipulieren lassen, dann sehen wir diese Leute überall außer in unser eigenen Filterblase. Und schon gar nicht im Badezimmerspiegel.
Es ist kein besonders schöner Gedanke, aber sind wir nicht alle ein bisschen Trump? Auf die Marketing- und Medienbranche bezogen ist diese Frage rein rhetorisch. Postfaktisches Zeitalter? Die Werbebranche kennt kein anderes, auch wenn Jean-Remy von Matt neulich allen Ernstes erzählte, Marktransparenz und Verbraucherinformationen seien die "Ur-Funktion von Werbung".
Werbung lebt seit jeher von Gefühlen, nicht von Tatsachen. Warum sonst schleppen erwachsene Menschen schwere Bündel Plastik-Mineralwasserflaschen in Wohnungen mit mitteleuropäischer Luxus-Wasserversorgung?
Aber auch die Medien funktionieren nicht allein über Fakten. Sie brauchen Emotionen. Und sie schüren sie. Weil sie ihre Zielgruppen bedienen müssen. Also schlachtet man genüsslich das Video mit Trumps Pussy-Sprüchen aus und prognostiziert exakt einen Monat vor der Wahl:
"Wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, wird Trump am 8. November gegen Hillary Clinton verlieren"
Sagen Sie jetzt bitte nicht, "die Medien" seien wieder mal Schuld. 2016 sind wir alle "die Medien". Wir lesen, wir klicken, wir kommentieren, wir posten, und in uns ist mehr Trump als uns lieb ist. Wir sind populistisch im Social Web unterwegs. Auf Likes, Follower, Friends aus. Fixiert auf unsere Filterblase. Mehr Teaser als Texte lesend. Eher oberflächlich politisch gebildet. Gegenüber Andersdenkenden und Anderswählenden eher mitteltolerant. Dafür aber für jede gute Showeinlage empfänglich: Die meisten von uns hätten neulich Michelle Obama innerhalb von 5 Minuten zur Präsidentin, Päpstin und Königin von England gewählt, weil das Video mit ihrer Rede so cool war.
Wir lieben gute Stories, aber wir lesen keine politischen Programme. Vielleicht sind wir gar nicht besser und nicht so viel informierter als die weißen US-Rentner. Wir hatten nur früher iPhones als sie.
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