Was die Kosten angeht, bleibt Wegner ohnehin gelassen: "Die Storytelling-Formate sind in der Erstellung nicht so aufwendig, wie sie vielleicht scheinen." Der journalistische Teil ist zwar nicht unerheblich, die größere Baustelle liegt aber im technischen Bereich. "Einen sehr wesentlichen Teil der Arbeit sieht man nicht – nämlich, dass das Design und alle multimedialen Elemente auf jedem Endgerät verlässlich funktionieren", erklärt der Chefredakteur. Wenn diese allerdings erst einmal standardisiert sind, fällt das übersichtlicher aus. Und mit dem Trend zur steigenden mobilen Nutzung ist ein responsives Design ohnehin auf der Zu-Erledigen-Liste. Ein, zwei Projekte wird es bei Zeit Online wohl noch geben, für die viel von Hand erstellt und programmiert werden muss. Dann sollten die Prozesse so weit gediehen sein, dass auf vorhandene Elemente zurückgegriffen werden kann.

Neben dem Image-Effekt – Wegner und seine Kollegen werden derzeit auf kaum ein Format häufiger angesprochen als auf diese Multimedia-Reportagen – gibt es also auch handfeste Ergebnisse. Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil entsprechende Storytelling-Formate nicht in dem Sinne alltagstauglich sind. Nicht ohne Grund heißt das Layout bei Zeit Online "Feiertagslayout". Nicht aus allem lässt sich mal eben eine Reportage stricken. Es gibt aber noch ganz andere Formate: "Ich glaube, dass sich die Darstellungsform auch hervorragend für Features eignet, die komplexe Zusammenhänge erklären", sagt Wegner. Gerade Datenvisualisierung, Animationen und Elemente, die beim Abwärtsscrollen immer wieder neue Aktionen auslösen, können hier ein starker Hebel sein. Der –  aus didaktischer Sicht würde man sagen: Methodenwechsel - ist auch ein hervorragendes Element, um das Interesse der Leser zu halten und den Absprung zu verhindern.

An entsprechend handfesten Lösungen arbeiten Verlag und Vermarkter auch, was die Vermarktung angeht. Es ist die alte Krux, dass sich in ein innovatives Umfeld trotzdem mit überschaubarem Aufwand Standard-Werbeformate übertragen lassen müssen, weil sich nicht überall aufwendige Sonderformate vermarkten lassen. Die hier offenbar schon recht weit vorangetriebenen Lösungen können aber auch wieder dem Haupt-Produkt zugute kommen: "Responsives Design könnte auch ein Schlüssel sein, um Mobile endlich besser zu monetarisieren", erklärt Wegner. Gerade mit den steigenden Mobilzugriffzahlen für Online-Medien ein an Bedeutung gewinnendes Problem.

Zu guter Letzt ist an den gern zitierten Projekten wie A Game of Shark and Minnows oder eben der Stalinallee noch etwas anderes interessant: Die Multimedia-Reportagen stellen eigentlich guten, altmodischen Journalismus dar. Gut konzipiert, gut geschrieben und gestaltet, gut das Interesse des Lesers weckend und haltend. Reportagen, denen es gelingt, dem Nutzer zu vermitteln, warum es interessant und relevant ist, sich über Grenzstreitigkeiten im südchinesischen Meer oder die Geschichte einer Straße in Berlin überhaupt auseinanderzusetzen. Und mit interaktiven oder multimedialen Elementen als Teil der Geschichte, nicht als Rich-Media-Glasperlen.

Vielleicht sind es auch deshalb ausgerechnet die eher traditionellen Titel, die als Beispiele herhalten müssen.

Die ursprüngliche Fassung dieses Texts erschien im Kontakter 44/2013. Abo?

Ein weiteres spannendes Multimedia-Projekt startete am Freitag der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). Die Rundfunkanstalt öffnete ihre Archive und erzählt auf Berlin-mauer.de die Geschichte der Mauer.


Autor: Ralph-Bernhard Pfister

Ralph Pfister ist Koordinator am Desk der W&V. Wenn er nicht gerade koordiniert, schreibt er hauptsächlich über digitales Marketing, digitale Themen und Branchen wie Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. Sein Kaffeekonsum lässt sich nur in industriellen Mengen fassen. Für seine Bücher- und Comicbestände gilt das noch nicht ganz – aber er arbeitet dran.