
Jeremy Gilbert im Interview:
Wie Jeff Bezos die "Washington Post" profitabel macht
Aufbruchstimmung bei der Washington Post: Newsroom-Stratege Jeremy Gilbert erzählt im W&V-Interview wie die Zeitung zurück in die Gewinnzone kam.

Foto: Washington Post
Als Amazon-Gründer Jeff Bezos der Graham-Familie die Washington Post für 250 Millionen Dollar abkaufte, war sie seit Jahren defizitär. 2013 war die Redaktion nach vielen Sparrunden von 900 auf 500 Redakteure geschrumpft, die Stimmung am Boden.
2016 ist die altehrwürdige "Post" zurück in der Gewinnzone. Im Digitalgeschäft ging es kontinuierlich bergauf. Die Zahl der digitalen Leser stieg von 30 Millionen Unique Usern pro Monat im Oktober 2013 auf aktuell über 100 Millionen. Die digitalen Abo-Einnahmen haben sich verdoppelt.
Trumps Effekt und Bezos‘ Beitrag
Die Sehnsucht der Amerikaner nach verlässlichen Informationen in Zeiten eines US-Präsidenten Donald Trump spielt dabei eine gewisse Rolle, zumal auch die New York Times an Abonnenten zugelegt hat. Aber es ist nicht die alleinige Erklärung: „Das Abo-Wachstum ist weniger dem Trump-Effekt geschuldet als der Qualität unseres Journalismus“, sagt Jeremy Gilbert, Director of Strategic Initiatives im Newsroom der "Washington Post".
In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat die Post fast 300 Redakteure und Digitalspezialisten neu eingestellt. Die Zahl der veröffentlichten Artikel ist auf 700 Beiträge täglich gestiegen. Zugleich verfolgt „The Post“ seit Bezos Einstieg eine kompromisslose Distributions-Strategie: Grundsätzlich alle Artikel werden auf Facebook als Instant Articles veröffentlicht - zusätzlich zu mehr als einem Dutzend Facebook-Temenkanäle.
„Jeff Bezos hat der Post eine neue Denkweise eingeimpft“, sagt Gilbert. „Wir experimentieren lieber mit einer Plattform, um festzustellen, dass es nicht die richtige ist, als eine Gelegenheit auszulassen neue Leser zu erreichen“. Bezos investiert auch in "Post"-eigene Technologie wie das Multichannel-Publishing Tool Arc, das inzwischen an anderen Verlage lizensiert wird.
Audioservices für Amazon Echo und Google Home
Die Zeitung experimentiert ständig mit neuen digitalen Services, veröffentlich beispielsweise seit Februar regelmäßig auf Snapchat Discover. Sie erprobt neue interaktive Audioangebote auf Amazon Echo und Google Home oder testet Chatbots auf Kik, einem Messaging Dienst für Teenager.
Die "Washington Post" investiert in langlebige Podcasts und in Bewegtbild- Erklärvideos - Mini-Dokus, Breaking News, Meinungssbeiträge. Die Zahl der Videobeiträge soll sich in diesem Jahr auf 28 000 verdoppeln. Von den 70 Redakteuren, die in diesem Jahr neu eingestellt werden, sind allein 30 Videoredakteure.
Wie der Bezos-Effekt sich entfaltet, wie Werbung sein muss, damit sie nicht stört, und wie sich Social Distribution und Bezahlschranke miteinander verknüpfen lassen, erzählt Newsroom-Stratege Gilbert im Interview in der aktuellen Ausgabe (W&V 15/2017, EVT 10.04.2017).