Aber immerhin, eine erste Beobachtung: Podium und Publikum diskutieren schon längst. Viel zu früh, leider zu wenig aus Sicht potentieller Leser und daher wohlmöglich am Thema vorbei. Aber so sind die Zeiten. Und dieser selbstverständlich-zweifelhaften Sitte wollen wir uns ebenfalls anschließen, um ein wenig Aufmerksamkeit von Unbekannten zu erheischen. Der Nutzen dieser Erkenntnis über den Verlauf der öffentlichen Diskussion ist nämlich, daß der Umgang des Publikums mit dem Produkt wiederum zeigt, für welche Ansprüche das Produkt gemacht ist. Nehmen wir zum Beispiel die Aussage bei BasicThinking, daß sich bei Wired das Who-is-Who der deutschen Technikjournalisten fände. Ist es so? Sind Holger Schmidt, Chris Stöcker, Konrad Lischka, Michael Spehr, Jürgen Kuri, Blogger wie Matthias Schwenk und Martin Weigert zweite Wahl – genauso, wie wahrscheinlich noch drei Dutzend weitere Fachjournalisten, die einfach ihre Arbeit machen und sich täglich bis hin zur "Computer-Bild" abmühen, fehlerfreie Texte zu liefern, die aber zudem auch frei von Geschwätz und Floskeln sind? Nein, dieses Bild ist ganz schief, und ich frage mich nach der Loriotschen Entwicklung, was in der Wahrnehmung noch alles schiefer wird, wenn man mal genauer hinsieht, wer was über die "Wired" schreibt.

Und es fällt noch eines auf. Wen interessiert die englische "Wired" im Vergleich, wen interessiert eine uralte Vergangenheit ohne Kontinuität? Mich nicht. Die Diskussion ist geprägt von Vergleich mit Maßstäben, deren Selbstverständlichkeit einen eigenen Aufsatz wert ist. Ich meine, man sollte versuchen, die "Wired" wie die "Untitled" zu lesen. So wie man eine Rose ansieht, nämlich ohne Vergleich. Und sie bestaunen, beschnuppern, die Nase rümpfen oder Jubeln, weil sie diese eine Rose ist.

Leider, und das ist die nächste Lektion, wird damit das Elend aller erfolgreichen Marken offenbar (zu denen auch "Wired" gehört), denn unsere Rose behauptet schon auf dem Titel, nicht nur eine Rose zu sein. So macht sie zwar dem Lizenzinhaber Freude, doch sich mir nicht sehr sympathisch. Dieses Heft beginnt mit "Ich." Und, analysiert man die Texte des Covers genauer, dann wird deutlich, dass man diesem "Ich" nicht entgegengearbeitet, sondern systematisch an seiner Druckwelle gearbeitet hat.

Weiter mit dem Deckblatt. "Wir bauen um" steht auf der Maschine, die "Wired Builder" heißt. Da möchte man rufen: "YESSS!", nehmt wie auf dem Bild das "Fünf-Sterne-Hotel-Deutschland", und klebt ab der neunten Etage Solarzellen, Satelliten und Windkraftanlagen obenauf. "YESSS, TSCHAKKA – wo ist mein Blaumann?".

Man wird später von diesem Cover als dem Beginn der Neuen Düsseldorfer Schule sprechen, welche die postmoderne Architektur der Einfamilienhäuser im Osten mit der Tschakka-Schule des "Positive Thinking" zu einer neuen Melange verschmolz, welche die alten Geister aus Bonn und Bielefeld in ihre Gräber verwies. Wir sind Hotel! Ja, unser Schland ist ein Hotel. Und wenn das Bild wirklich Bedeutung tragen sollte, so hätte man noch den fünften Stern durchstreichen können, jedes fünfte Bett durch Arbeitslose vor dem Hotel symbolisieren können, ein kleines Schild mit "MwSt" anbringen können, bei dem die alte Währung durchgestrichen ist. Wobei wir es der Phantasie des Lesers überlassen, was die alte Währung ist.

Gut, verlieren wir uns nicht in der Koloratur der Analyse sozialer und politischer Systeme nebst deren Handelns. Was wollen die Texte des Covers mit uns machen? "Dark" ist dabei, "Sexual", "Deutschland", "Geeks", "Auto" (und "Ende"!), "Energiewende“. Ist das Zufall? Ja, vielleicht. Der Verlag könnte aber auch befürchtet haben, dass Kioskbesitzer die Auflage der "GQ" gefährden, weil sie das Oktoberpaket aus Unkenntnis falschherum aufstellen, mit dem Cover der Wired nach vorne gerichtet.

Ich habe nur bis Seite 90 lesen können, dann klingelte der selbstgestellte Wecker. Bis dahin waren ein paar schöne Sachen dabei, die mich angeregt haben, zum Beispiel nochmals über die Liebe im Netz nachzudenken, nochmals über die Digitale Gesellschaft e.V., nochmals über Berlin als Startuplocation. Aber für wen ist diese Zeitschrift, wenn ich solche Deja vues aus der Netzlese habe? Für Netzbewohner doch wohl nicht, sie werden wie ich drei Viertel der Autoren mit diesen Themen wiedererkennen. Für alle anderen? Dann würde das wohl suggerieren, dass Netzbewohner – ja, ich hasse diesen Begriff - diejenigen sind, die zusammen mit einigen Startups Deutschland renovieren? Dann hätte ich ein starkes Störgefühl. Die Akteure der Innenseite der Blase hätten sich dann an deren Außenwand gedruckt. Oder ich verstehe hier nicht mehr, dass die Schreiber nur Schreiber sind und die Konstruktion geschieht in meinem Kopf.

Man müsste zumindest darüber reden, wer und was diese Gesellschaft wirklich verändert. Es könnte ja Google sein, es könnten ja alte Ideen sein, vielleicht ist es auch der Europäische Rettungsschirm? Nein, mir ist das zu flach, zu unreflektiert, zu naiv. Auch ich mag meine Gadgets und ich will auch darüber lesen – aber ich hatte den Anspruch der "Wired" anders verstanden. Für mich wirkt es "irgendwie drauflos" und ich gebe zu, dass genau diese meine Meinung das ist, was ich in Deutschland nicht mag. Einer geht los, ein anderer meckert. Ich bin also schizophren geworden.

Ethik und Informatik gehören für mich aber zusammen, IT gestaltet soziale Systeme und bedarf der Begleitung durch Geisteswissenschaften, keine Veränderung ohne dass man (neues?) Unternehmertum zum Thema macht, und das sind bei weitem nicht Berliner Startups allein, so sehr ich diese mag und gefördert, ja, TSCHAKKA, gepusht, gepampert und geclustert sehen möchte. Unser Problem ist, dass schon das Wort Fortschritt schwere Zuckungen in Feuilletons auslöst und in der Old Economy zu gern scheitert. Dort sind die Blockaden: Der Motor der Old Economy möchte bleiben, wie er ist, und unser geistiges Benzin ist moralisch und ideologisch gefärbt (von allen Seiten übrigens).

Vielleicht habe ich das Coverbild falsch verstanden und es war doch mit Ironie gemeint: Deutschland schraubt herum? Dann sollte man aber den "Wired"Aufkleber von der Umbaumaschine nehmen und eine Art Eisenbahnlandschaft zeigen. Mit Parteizentralen aus Beton, Konzerngebäuden in Gelbklinkern und Intellektuellensalons in Schwarzwaldhäuschen. Man sollte mit Leuchtdioden zeigen, wie Finanzen, Information und Ökologie in ihren Kreisläufen immer schneller pumpen, während die gesamte Spanplatte leicht wackelt und hinten schon der Blitz in einen ICE gefahren ist. Und man sollte zeigen, dass dort, wo einst ein Steuerpult stand, nun ein Loch klafft, denn wir leben in einer Demokratie in arbeitsteiliger und globalisierter Wirtschaft. Viele bunte Männchen in fünf oder sechs Grundfarben flitzen auf der Spanplatte herum, streiten sich immer mit den andersfarbigen Männchen, und auf 256 kleinen Quadranten regeln Quadratfürsten die Gesellschaft, und treffen sich gelegentlich zu UberQuadrat- und Uberuberquadratgipfeln sowie hin und wieder zu Uberuberuberquadratgipfeln dort, wo einst das Steuerpult stand, und blättern in Papier. Das wäre mein Lieblingscover gewesen und ist auch mein konstruktiver Wunsch für die nächste Ausgabe.

Zurück zum Thema. Das Design stört allerorten meinen Lesefluss und beschießt mit penetrantem Aktionismus den Sinn der Texte, als hätte man Dutzenden von Freelancern gesagt: Los, macht es schön. Und schön ist es dann auch geworden. Menschen mit Sinn fürs Detail sollten einmal jeden Pfeil verfolgen und versuchen, seine Bedeutung einem Gegenüber in einer Kommunikationsform auszudrücken, die vor Internet, Buchdruck und Schrift prägend war.