Wie umfangreich sind denn die Blinks?

Eine Kernaussage wird in 200 bis 300 Wörtern erörtert – die Länge eines kurzen Nachrichtenartikels. So habe ich als Nutzer die Möglichkeit, unterwegs auf dem Smartphone in ein, zwei Minuten eine Kernaussage eines Sachbuchs zu lesen. So erschließt man sich schnell neue Themenfelder. Aber das ist erst der Start. Wenn man merkt, dass das ein spannendes Buch ist, das einem im Job wirklich weiter hilft, kann man zielgerichteter und tiefer einsteigen.

Sie richten sich also vor allem an Business-Leute?

Der Fokus liegt tatsächlich derzeit auf Business und Karriere. Dieser Bereich macht fast 80 Prozent unserer Bibliothek aus. Die restlichen Bücher fallen in die Kategorie „General Interest“, Titel etwa mit aktuellem Bezug zur Euro-Krise oder zur Krise der Emerging Markets. Es sind aber auch populärwissenschaftliche Bücher darunter, etwa zur Evolutionsbiologie. 

Auch englischsprachige Literatur?

Ja. Wir haben mittlerweile rund 200 Bücher in der Bibliothek und wachsen aktuell monatlich um etwa 35 Titel. Etwa die Hälfte davon ist englischsprachig.

Das heißt aber auch, ein ganzes Sachbuch wird auf eine Zwei-Minuten-Lektüre reduziert?

Nein, natürlich nicht. Im Durchschnitt haben wir etwa zehn Blinks pro Buch. Das hängt davon ab, wie viele Kernaussagen ein Buch hat. Letztendlich ist das also ein Text von rund 3000 Wörtern. Das entspricht etwa fünf bis sechs DIN-A-4-Seiten. Nur muss man diese fünf bis sechs Seiten nicht in einem Stück lesen.

Wodurch unterscheiden sich denn Ihre Texte von Verlagsankündigungen oder Klappentexten?

Die Klappentexte der Verlage und auch viele Rezensionen sind eher Marketing-getrieben. Unsere Blinks spiegeln dagegen Kernaussagen eines Buches wider, sie gehen tiefer als ein Klappentext oder manche Rezension. Sie sind so geschrieben, dass sie als Stand-alone-Format funktionieren, dass Reflektionsprozesse in Gang gesetzt werden. Sie sind gleichzeitig Inspiration, mehr zu lesen.

Blinks sind aber auch ideal für Poser, die gern so tun, als hätten sie jede Menge Bücher gelesen.

Mit dieser Kritik werden wir häufiger konfrontiert. Aber es ist ja nicht so, dass wir Leute zu Posern machen. Poser sind schon Poser, wenn sie zu uns kommen. Wenn man das Produkt tatsächlich auf diese Weise nutzen will, dann ist das eben so. Wir bekommen aber viel Nutzer-Feedback von Leuten, die eigentlich schon länger keine Sachbücher mehr lesen und über die Blinks plötzlich das Sachbuch wieder für sich entdecken: als Wissensquelle und Werkzeug für lebenslanges Lernen. Das ist ein wesentlicher Punkt.

Und welchen gibt es sonst noch?

Wenn man ein Buch liest, ohne noch genau zu wissen, was man damit anfangen kann, liest man es weniger aufmerksam als jemand, der vorher schon die Blinks gelesen hat und sich dann beim Lesen des ganzen Buches auf das Konzept, die Kernaussagen konzentriert. Man liest aktiver, man geht mit einer Suche, einer Fragestellung in das Buch hinein. Man liest mit einem konkreteren Ziel.

Haben Sie schon Zahlen dazu, wie viele Nutzer auch das Buch bestellen?

Wir sehen – und das ist etwas, worauf wir stolz sind –, dass im Moment rund 15 Prozent der Leute, die Blinks lesen, auf den Bestell-Button für das Buch drücken. Die realen Käufe sind dann allerdings deutlich geringer. Das liegt daran, dass wir noch nicht viele Buchhandelspartner eingebunden haben. Die meisten Leute wollen über Amazon bestellen, weil sie das gewohnt sind und weil es am einfachsten ist. Amazon haben wir aber derzeit noch nicht eingebunden.

Wie reagieren denn die Verlage auf Ihr Produkt?

Mittlerweile haben wir mit fast allen großen Verlagen Lizenzvereinbarungen, beispielsweise mit der Random-House-Gruppe und ihren Tochterverlagen. Aber auch mit Campus und Ullstein. Mit anderen Verlagen sind wir in Gesprächen. Natürlich sind die Verlage anfangs skeptisch und fürchten, dass unsere Blinks den Kauf des Buchs kannibalisieren. Aber wir können sie meist durch unsere Daten und dadurch, dass wir unsere Vision erklären, auf unsere Seite ziehen. Die Verlage wissen selbst, dass das Sachbuch in seiner jetzigen Form in fünf Jahren an seine Grenzen kommt, dass jetzt Innovationen erfolgen müssen.

Setzen die Verlage eine Obergrenze für Blinks?

Nein. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wir kopieren ja nicht 1:1 aus dem Buch. Die Blinks sind eigene Werke. Wir haben Autoren, die das Buch lesen und daraus abstrahieren. Die Struktur der Blinks hat nichts mit der Struktur des Original-Buchs zu tun. Unsere Autoren verwenden ihre eigene Sprache, übernehmen nicht die des Buches.

Gibt es denn keine Zitate?

Doch. Bei Büchern aus den Verlagen, mit denen wir eine Lizenzvereinbarung haben, wird auch zitiert. Hier haben wir das Recht, bis zu 500 Wörter zu zitieren. Wenn wir keine Lizenzvereinbarung haben, verzichten wir auf Zitate.

Wer sind denn die Blink-Autoren?

Fachexperten, teilweise Doktoranden, Unternehmensberater, Coaches, Leute, die in einem speziellen Gebiet Expertise haben und analytisch denken können. Leute, die leicht abstrahieren können, die ein Buch lesen und sofort die Kernaussagen erkennen.

Und wie kommen Sie an diese Autoren?

Viele von ihnen finden wir in Hochbegabten-Netzwerken und über persönliche Networks, denn gute Leute ziehen andere gute Leute an. Inzwischen schreiben uns aber auch viele an, weil sie sagen, „Bücherlesen und dafür bezahlt werden, das ist ein Traumjob“.

Wie sieht denn Ihr Business-Modell aus?

Wenn man vollen Zugriff auf Blinkist haben möchte, muss man ein Abonnement abschließen. Jeder Nutzer kann das Angebot drei Tage lang kostenlos testen und dann ein monatliches, vierteljährliches oder Jahres-Abo abschließen. Das jährliche Abo kostet 45 Euro, das monatliche fängt bei 6,99 Euro an, abhängig davon, wie lange man sich binden will. Mittelfristig, wenn die Zahl der aktiven Nutzer eine bestimmte Größe erreicht hat, werden auch die Provisionen, die über Buchverkäufe hereinkommen, relevant. Was wir aber nicht sind und auch nicht werden, ist eine bloße Marketing-Plattform für Bücher. Wir wählen sehr streng aus und nehmen nur Bücher auf unsere Plattform, die wirklich gut sind und die wir uneingeschränkt empfehlen können.

Wie entwickeln sich denn die Downloads?

Wir sind mittlerweile bei knapp 75.000 Downloads und wachsen täglich um etwa 1000. Im November haben wir eine neue Finanzierungsrunde gehabt, eine Wachstumsfinanzierung. Wachstum steht jetzt im Fokus.

Welches sind Ihre nächsten Schritte?

Wir wollen jetzt den Sprung von einem Start-up zu einem nachhaltigen Business machen. Das bedeutet, dass man nachhaltige Wachstumskanäle findet, dass man bei überschaubaren Kosten wachsen kann. Im Laufe des nächsten Jahres wollen wir den Break-even erreichen. Dazu brauchen wir nochmals eine Finanzierungsrunde in diesem Jahr.

Wäre das eine A-Runde, also die erste nach der Anschubfinanzierung?

Ja.

Die gilt als besonders schwierig...

Genau. Es ist eine Herausforderung. Wir haben im Moment aber gute Zahlen. Wenn diese Entwicklung anhält, müssen wir uns keine Sorgen machen. Zumal wir schon finanzkräftige Partner an Bord haben.

Zum Beispiel?

T-Ventures, die IBB Beteiligungsgesellschaft und MGO Ventures. Zudem sind wir in Europa First Mover in einem neuen Markt. Es ist ein Thema mit einem unglaublichen Potenzial. Der Markt für mobile Lerndienste wird weltweit 2015 bei etwa 52 Milliarden Dollar liegen, der Markt für Sachbücher, an dem wir auch partizipieren, liegt in den USA und Europa bei etwa 15 Milliarden Dollar. Diese Märkte agieren meist noch in alten Strukturen. Im Lern-Segment ist noch vieles Desktop-orientiert. Und auch bei den Sachbüchern muss es Format-Innovationen geben. Deshalb sind wir guter Dinge, dass wir Investoren begeistern können.

Dies ist Teil zwei der Interview-Reihe mit Berliner Gründern und Investoren. Im ersten Teil stellte W&V-Autor Franz Scheele das Start-up Openers und seine Chefin Kerstin Bock vor. 


Autor: Franz Scheele

Schreibt als freier Autor für W&V Online. Unverbesserlich anglo- und amerikanophil interessieren ihn besonders die aktuellen und langfristigen Entwicklungen in den Medien- und Digitalmärkten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.