Auf den ersten Blick scheinen beide Phänomene direkt miteinander zusammenzuhängen: Werden Abonnenten gelöscht, scheint es nur logisch, dass auch die Zuschauerzahlen zurückgehen. Doch diese Gleichung, die auch im "Tagesthemen"-Beitrag aufgemacht wird, geht nicht auf. Abonnent ist nicht gleich Account ist nicht gleich Zuschauer. Blicken wir zunächst also mal auf das Phänomen der ominösen "Fake-Accounts".

Der Einfachheit halber lassen wir an dieser Stelle mal offen, was ein "Fake-Account" eigentlich sein soll. Denn hier gibt es durchaus Varianten: Maschinell erstellte Profile können genutzt werden, um die Zahl der Abonnenten bei bestimmten Kanälen hochzutreiben. Es gibt aber auch abertausende "Fake-Accounts", hinter denen echte Menschen stecken. Manche nutzen sie, um anonym trollen zu können. Andere erstellen dutzende Fanprofile für ihren Lieblingsyoutuber (was durchaus zu einem echten Wettstreit unter Hardcore-Fans ausarten kann). Eins haben die meisten dieser Accounts aber gemeinsam: Ihr Beitrag zu den Videoaufrufen eines Kanals ist marginal. Es handelt sich schlicht um Karteileichen, die von Youtube im Übrigen regelmäßig aus der Statistik entfernt werden.

Ein PR-Stunt von Youtube

Gerüchte, dass es ein Problem mit der Abo-Funktion gibt, halten sich dennoch hartnäckig. Gemutmaßt wird, dass bestimmte Kanäle willkürlich aktive Abonnenten verlieren, wenn sie ein neues Video hochladen. Warum das passiert, ist unklar. Für Youtube ist das kein kleines Problem. Das "Abonnieren" ist die essenzielle Funktion, um zwischen Zuschauern und Künstlern eine erste Bindung herzustellen. Youtube ohne "Abo-Button" ist schlicht nicht vorstellbar. Tatsächlich sah Youtube sich nach der anhaltenden Kritik genötigt, ein offizielles Video-Statement zu veröffentlichen, in dem Entwickler explizit zum "Subscription-Bug" Stellung nahmen. Quintessenz: Alles in Ordnung, es gibt keine Fehlfunktion.

Das war ein fast schon einmaliger PR-Stunt von Youtube, wo man üblicherweise verschlossener als eine Auster ist, wenn es um den Maschinenraum der wichtigsten Videoplattform der Welt geht. Ausgeräumt sind die Zweifel nicht: Vor allem die vielen übereinstimmenden Berichte von Youtubern rund um den Globus sprechen dafür, dass es trotz aller Beteuerungen ein Problem mit der Abofunktion gibt. Offiziell bestätigen wird Youtube das wahrscheinlich nie.

Youtube orientiert sich an Facebook

Was sich hingegen nicht bestreiten lässt: Dass Youtube die Abo-Funktion in den vergangenen Monaten massiv entwertet hat. Wer über neue Videos eines abonnierten Kanals informiert werden will, muss inzwischen eine zusätzliche Benachrichtigungsfunktion in Form einer Glocke direkt unter dem Kanalbanner aktivieren. Außerdem bekommen Nutzer beim Einloggen nicht mehr als erstes die neusten Videos ihrer abonnierten Kanäle angezeigt.

Stattdessen zeigt Youtube eine Mischung aus neuen Videos abonnierter Kanäle, aktuellen Trends und Videos, die zu denen passen, die man zuletzt angeschaut hat. Damit sollen die Zuschauer auf neue Inhalte gelockt werden. Kanäle, die man vor Jahren mal abonniert hat, aber längst nicht mehr anschaut, verschwinden hingegen aus dem Videofeed. Das erinnert stark an die gefilterte Timeline von Facebook.

Neben weiteren Anpassungen am Algorithmus, vor allem bei den Videoempfehlungen, kann diese Änderung tatsächlich ein Grund für Verluste bei den Videoaufrufen sein. Wenn ein Kanal sehr viele Abonnenten hat, und dessen Zuschauer die neuesten Videos nicht mehr angezeigt bekommen, verliert er durchaus Videoaufrufe. Kleinere Nischenkanäle, wie der Fotografie-Youtuber Benjamin Jaworskyj, berichten hingegen, dass sie der Vieweinbruch kaum getroffen hat. Oft haben diese Kanäle Zuschauer, die ganz gezielt nach bestimmten Inhalten suchen (wie zum Beispiel Fotografie-Tutorials). Derartige Inhalte sind unempfindlicher gegen Trends und Schwankungen, die durch Änderungen am Algorithmus verursacht werden. Und es gibt sogar Gewinner in der Krise.

Auch für Youtube gelten die Regeln der Unterhaltungsindustrie

Die Erfolgsgeschichte des Bundeswehr-Kanals "Die Rekruten" hat vermutlich viel mit den Änderungen auf der Plattform zu tun. Angeschoben wurde der rasante Aufstieg der Kasernen-Seifenoper von einer millionenschweren Marketingkampagne für den Kanal. Die brachte viele Zuschauer dazu, sich die ersten Folgen anzuschauen und spülte "Die Rekruten" weit nach vorne in die Youtube-Trends. Dort wurden noch mehr Nutzer auf den Kanal aufmerksam. Ab hier war es dann ein Selbstläufer. Trotz weniger als 300.000 Abonnenten kam "Die Rekruten" im November auf beachtliche 20 Millionen Views.

Das Beispiel "Die Rekruten" zeigt, was tatsächlich hinter den ganzen Veränderungen steckt: Am Ende des Tages funktioniert Youtube wie jede andere Unterhaltungsplattform auch. Wie im Fernsehen oder in der Musikbranche will das Publikum nicht die immer gleichen Gesichter sehen, sondern giert ständig nach neuen Inhalten. Youtube muss viel dynamischer werden und es für neue Formate leichter machen, an Minecraft-Let's Plays und Beauty-Vlogs vorbeizukommen.

Inhaltlich hat Youtube in den letzten Jahren ohnehin viel an Frische verloren. Viele Videos, die es einst nur dort gab, sieht man inzwischen woanders; und besser. Snapchat und Instagram sind kürzer, knackiger und näher dran an den Machern. Anspruchsvoll und auf Hochglanz machen Netflix und Amazon Prime. Um nicht noch mehr Nutzer an diese Konkurrenten zu verlieren, reicht es nicht, quietschbunte Jahresrückblicke auf bisher Erreichtes zu produzieren. Es wird Zeit für Youtube, statt auf "Rewind" wieder auf "Fast Forward" zu drücken.


Autor: Moritz Meyer

Moritz Meyer (Jg. 1981) schreibt hauptsächlich über Online-Video und den digitalen Wandel. Er war schon so häufig im Internet, dass er aus Versehen mal in einem Video von Y-Titty gelandet ist. Wenn er nicht auf Burgen lebt, trifft man ihn meist in Köln. Fun Fact: Liest immer noch Comics von den Teenage Mutant Ninja Turtles.