Viel leichter ist mir die Entscheidung hier gefallen: Tauchen im Atlantik vor Key Largo, das schreit danach, das in 360 Grad zu machen. Weil man die Leute mitnehmen kann, weil ich keine lange Geschichte erzähle und weil man sich dort buchstäblich umsehen kann.

Das führt letztendlich zu ein paar Fragen, die man sich selbst stellen sollte, bevor es losgeht. Wenn Sie eine oder mehrere davon mit „Nein“ beantworten, müssen Sie zumindest diesen Abschnitt nicht mehr weiterlesen. Weil sich die Frage nach 360 Grad dann nämlich erledigt hat.

  • Der Wow-Effekt? Haben Sie vielleicht schon mal gehört, wenn Sie sich ein bisschen mit Videos befasst haben. Ein solcher Wow-Effekt sollte nach der 5-Shot-Regel in jeder Sequenz enthalten sein. Also, eine Perspektive, ein Panorama, ein Bild, das dem Zuschauer ein solches "Wow" entlockt. Bei 360-Grad-Aufnahmen ist dieser Wow-Effekt erstmal der einzige Maßstab. Ohne "Wow" keine 360 Grad. Haben Sie eine solche Perspektive?
  • Lohnt es sich? Man kann sich die Frage auch anders stellen: Würden Sie an den Ort, den Sie gerade filmen wollen, privat einen guten Freund mitnehmen, weil er das unbedingt mal gesehen haben muss? Und noch eine Zusatzfrage: Warum tut es ein ganz normales 16:9-Video an dieser Stelle nicht auch? Wenn Sie dagegen zu der Auffassung kommen, dass dieser Ort unbedingt rundum erlebt und gesehen werden muss, dann holen Sie die Kamera raus.
  • Bringe ich den Nutzer dazu, sich auch tatsächlich das ganze Panorama anzusehen? Eine Frage, die schon im Vorfeld interessant und wichtig ist: Gibt es jemanden, der den Zuschauer als eine Art "Guide" durch die Gegend führen kann? Kann ich mit Texten (Inserts) arbeiten? Oder finden sich womöglich direkt vor Ort Punkte und Stellen, an denen sich der Nutzer orientieren kann? Das tollste 360-Grad-Video ist nämlich nur so mittelgut, wenn man damit nichts anderes machen kann als sich ein bisschen umzusehen.

Der Kniff dabei ist: Natürlich sind 360-Grad-Videos kein klassisch interaktives Format. Als linear kann man sie aber auch nicht gerade bezeichnen. Weil man als Produzent eines solchen Videos ja nie genau weiß, wo genau im 360-Grad-Universum sich der User gerade aufhält. Falls Sie also beispielsweise moderieren (egal ob im On oder aus dem Off), dann denken Sie bitte daran, dass beispielsweise ein Satz wie "Und hier sehen wir jetzt…" ziemlich schief gehen kann.

Welches Equipment brauche ich?

Wer es hochprofessionell will, kann sich einen "GoPro-Würfel" zusammenbauen. Er besteht aus sechs GoPros, die gemeinsam filmen. Man landet dann allerdings schnell mal bei Kosten von rund 2500 Euro. Und ob man vor jedem Dreh erst mal sechs Kameras zusammenbauen und auf Funktionsfähigkeit testen will, sei auch dahingestellt. Diese Lösung ist wirklich nur etwas für Profis.

Eine einzelne GoPro 360-Grad-Kamera gibt es mittlerweile auch (GoPro Fusion). Die wollte ich erst als Ersatz für meine Nikon Key Mission verwenden, die Kritiken sind bisher aber eher durchwachsen. Und nachdem sie nur bis zu einer Tiefe von fünf Metern wasserdicht ist, fällt sie zum Tauchen auch aus.

Ein gutes Mittelding: Die Kodak Pixpro SP360. Kleiner Nachteil: Ihr Bildwinkel beträgt maximal 235 Grad. Das heißt, ein Bild hat einen kleinen toten Winkel. Auch wenn das nicht immer schlimm sein muss – es handelt sich dabei dann eben nicht um "richtiges" 360-Grad-Material. Das lässt sich allerdings ausgleichen mit dem sogenannten „Dual Pack“. Dabei werden zwei Kameras zu einem Würfel zusammengebaut. Man hat dann also zwei Kameras, die in hochwertiger Auflösung "echte" 360 Grad machen. Allerdings müssen die Aufnahmen dann noch gestitcht werden.

Meine Nikon Key Mission 360 habe ich im Video-Teil dieser Serie schon mal kurz beschrieben. Ihr größter Vorteil: wasserdicht bis 15 Meter, stoßfest und sehr, sehr robust. Die Bildqualität ist ordentlich, die App, mit der man die Kamera von einem Handy aus steuern können soll, ein Totaldesaster.

Wie Sie sehen: Ich habe die eine, uneingeschränkte Empfehlung noch nicht gefunden. Mein Eindruck ist, dass beim ersten großen Boom von 360 Grad viele Hersteller etwas auf den Markt geworfen haben, was nur so mittelgut ausgereift war. Hoffen wir mal, dass das bald besser wird.

Am anderen Ende der Skala finden sich vergleichsweise günstige 360-Grad-Linsen für Smartphones. Für halbwegs hochwertige Produktionen eignen sie sich aber nicht so richtig. Für ein schnell gebautes Teil für soziale Netzwerke reicht es allemal. Die Preise beginnen schon bei 50 Euro. Klar, das mühevolle Zusammenschustern über die Google Street-View-App ist auch noch eine Möglichkeit. Eine kostenlose dazu. Aber wenn man das dann wirklich mal gemacht hat, dann ahnt man schnell: Das ist zu aufwändig und zu umständlich, als dass es für hochwertiges Storytelling infrage kommt. Zumal sich die mit dem Handy gemachten Bilder auch nur innerhalb der App bzw. bei Facebook nutzen lassen. Und: nur Fotos, keine Videos!

Natürlich sollten Sie dann noch sowas wie einen Monopod haben. Aus der Hand lässt sich auch bei 360 Grad kaum drehen.

Und was gibt es an Software?

Inzwischen zu viel, um alles aufzulisten. Für den User ist die ganze Geschichte mittlerweile einfach geworden: Die meisten Browser und auch Seiten wie Facebook und YouTube unterstützen 360 Grad. Für die Produktion ist das schon etwas schwieriger. Als Adobe-Nutzer ist die Sache für mich vergleichsweise komfortabel. In der Kombination von After Effects, Premiere und Photoshop lässt sich schon eine ganze Menge machen. Nach meinem Eindruck ist es bei der Software ähnlich wie bei der Hardware: Da ist noch vieles im Fluss. Und auch noch einiges an Luft nach oben.

Jakubetz empfiehlt

Eine ganze Reihe großer Medien hantieren inzwischen mit 360 Grad-Videos. Auch wenn sich aktuell feststellen lässt, dass der Boom etwas zurückgegangen ist. Die New York Times beispielsweise hatte mehrere Monate lang eine Rubrik "Daily 360" auf der Startseite, die inzwischen wieder verschwunden ist (schöner Beleg dafür, wie schwer es ist, jeden Tag etwas zu finden, was in 360 richtig gut aussieht). Ein paar wunderbare Momente gibt es hier. Und wer sich mal einen Überblick über die mehr als 400 produzierten 360-Grad-Videos der NYT verschaffen will, wird hier fündig.

Lohnenswerte Angebote aus Deutschland:

SZ: https://gfx.sueddeutsche.de/pages/vr/

ZDF: https://vr.zdf.de

Euronews: http://de.euronews.com/tag/360-video

 


Autor: Christian Jakubetz

ist Autor und Podcaster bei W&V. Spezialgebiete: digitale Transformation, sowohl aus technischer als auch inhaltlich-strategischer Sicht. Daneben Buchautor, Berater und Dozent/Lehrbeauftragter.