
Messemarketing:
"Ausstellungen sind die legale Form des Exhibitionismus"
Im W&V-Interview erklärt Rheingold-Psychologe Stephan Grünewald, warum analoge Messen wichtig bleiben und welche Rolle dabei Exhibitionismus, Jagdinstinkt und Pilgerfahrten spielen.

Foto: Rheingold
Ausstellungen sind die legale Form des Exhibitionismus - so beschreibt es der Psychologe Stephan Grünewald, Geschäftsführer beim Rheingold Institut. Im Interview mit W&V erklärt er, warum analoge Messen noch heute wichtig fürs Geschäft ist. Mehr zum Thema Messen gibt es in der aktuellen Ausgabe von W&V im W&V Plus "Messen & Events".
Apps, Bots und Künstliche Intelligenz: In ist, was digital ist. Da stehen analoge Messen vergleichsweise altmodisch da. Welche Rolle spielen sie heute noch im Marketingmix?
Nähe zu erleben und sich untereinander auszutauschen ist ein menschlich elementares Bedürfnis. Aussteller bekommen auf Messen die Gelegenheit, ihren Wettbewerb und ihre Kunden hautnah zu erleben. Das ist eine intensive Erfahrung, so ähnlich wie ein Schulausflug, wenn sich alle mal in anderer Umgebung kennenlernen.
Solche Erfahrungen gibt es nur analog?
Überwiegend ja. Natürlich sind heute auch Apps wichtig, um sich auf der Messe zu orientieren und Personen sowie Dinge zu suchen, die einen besonders interessieren. In unserer aktuellen Analyse “Die sechs G-Points zur Messe” haben wir sechs Faktoren ausgemacht, die den Erfolg einer Messe treiben. Diese Punkte sind alle analog. Wie zunächst die Zeigelust. Es ist menschlich immanent, dass derjenige, der etwas produziert, das auch zeigen will. Mit der Zeigelust ist auch ein Zeigestolz verbunden. Ausstellungen sind so gesehen also die legale Form des Exhibitionismus.
Wer steht genau im Ziel dieser Zeigelust?
Natürlich die Besucher, aber auch die Wettbewerber. Auf einer Messe wird der Konkurrenzkampf auf engsten Raum ausgetragen. Wer hat den größeren Stand? Welcher wird häufiger frequentiert? Das alles sind entscheidende Faktoren, an dem sich Zuspruch und Abverkauf bemessen lassen. Auf einmal wird aus einem virtuellen Konkurrenzkampf aus der Ferne ein prickelnder Nahkampf. Man steigt quasi in den Ring mit den Wettbewerbern und agiert dabei seine Zeiglust aus. Das hat eine ganz andere Dynamik und Qualität.
In der W&V (36/2017) kritisiert Liganova-Geschäftsführer Marc Schumacher das häufig nicht so gute Essen auf den Events. Ist Kulinarik denn ein Kriterium für den Messe-Erfolg?
Ein gemeinsames Essen trägt dazu auf jeden Fall seinen Teil bei. Das ist wie bei einer Kommunion, bei der man Teil einer Gemeinde ist und in ihr aufgeht. Auch bei Messen wird über das Essen Gemeinschaft hergestellt, und man erlebt das Gefühl einer starken Community.
Auch im Netz gibt es zahlreiche Communitys. Haben die eine andere Qualität?
Auf einer Messe steht das unmittelbare Erleben stärker im Vordergrund. Der Hautkontakt beim Händeschütteln mit Personen bis hin zum das Anfassen von Produkten bieten sinnliche Erlebnisse. Virtuelle Communitys funktionieren sicherlich auch gut, aber konkrete Verkaufsgespräche finden nach wie vor von Auge zu Auge statt. Örtliche Nähe weckt den Jagdinstinkt, und sie motiviert dazu etwas bewegen zu wollen. Letztlich ist ein Messebesuch auch eine Art Pilgerfahrt - eine Reise zu sich selbst: Wer ein paar Tage dort zugebracht hat und Gemeinschaft erleben konnte, weiß wieder warum er in der Branche tätig ist. In kürzester Zeit lernt er vieles und lässt sich von unterschiedlichen Eindrücken insprieren. Bei Abreise ist er dann um ein paar Lebenserfahrungen reicher.
Manche Messen funktionieren super, manchen geht es aber auch weniger gut: Hat das damit zu tun, dass die G-Punkte nicht ausreichend vorhanden sind?
Wenn es einer Messe zum Beispiel nicht gelingt die Platzhirsche als Aussteller zu gewinnen, entsteht auch kein Konkurrenzgeist. Denn der wiederum intensiviert das Gefühl der Nähe und des Austauschs - auch im Hinblick auf die die Besucher, die sich ja rundum informiert fühlen wollen. Sicherlich trägt auch das Ambiente dazu bei, um bei den Messebesucher ein Wohlgefühl auszulösen und sie aufnahmebereiter zu machen. Messe-Veranstalter müssen daher auch dafür sorgen, dass die Infrastruktur bei der Anreise funktioniert. Wenn Besucher erst lange nach Parkplätzen suchen müssen und deshalb gestresst ankommen, stellt sich ein soziales Gefühl des Miteinanders nur schwer ein. Ein anderes Beispiel ist, wenn die Messehallen in einem schlechten Zustand oder Stände nicht sichtbar genug sind - dann klappt es auch mit der Zeigelust nicht.
Ist eine analoge Messe nicht überholt, wenn es um das Zeigen digitaler Technologien geht - wie zum Beispiel auf der Dmexco?
Bei der Dmexco soll das Digitale begehbar sein. Um alle neuen Technologien anfassbar zu machen, sind die Aussteller gefragt aus allen digitalen Rohren zu feuern. So entsteht für die Besucher der Reiz, sich die virtuellen Welten einmal ausführlich zu erschließen. Auf diese Weise kommen sie in den Genuss des Digitalen - auf analogen Wegen.
Wie lassen sich diese analogen Wege abseits der eigentlichen Messe ins Digitale verlängern?
Der Kern ist die analoge Messe, über die sich eine Vorlust aufbauen lässt. Apps, über mit Funktionen wie Navigation und Suche sowie Kontakttools, über die man Verabredungen optimieren kann, stehen dabei im Zentrum. Im Nachgang lässt sich die Messe etwa über Foren weiter begleiten. Messaging Apps wie Whatsapp eignen sich auch dafür.
In welchen weiteren Kanälen lassen sich Messen abbilden - und so die Lust schüren?
Das hängt von der Messe ab. Bei einer Automobilmesse kann man Menschen auch über Autozeitschriften und Katalog erreichen, um die Liebesbeziehung zum Auto zu vertiefen. Doch auch für andere Warengruppen lässt sich der jeweils optimale Medien-Mix ermitteln.
Nimmt die Bedeutung von analogen Happenings künftig eher zu oder nimmt sie ab?
Natürlich verlagert sich das Leben mehr und mehr auch ins Digitale. So bestelle ich zum Beispiel gerne auf Amazon - deshalb gehe ich aber trotzdem noch gerne einkaufen. So wie viele andere auch: Weil wir immer mehr Zeit vor Computer und Smartphone verbringen haben wir eine kompensatorische Sehnsucht nach dem analogen Leben. Die Messe als analoges Event wird daher auch in digitalen Zeiten nicht aussterben.